“Ich will keinen Fehler machen!” sagte einmal eine besorgte Mutter zu mir. Komisch, dachte ich mir. Eltern sein lernt man doch erst, wenn man Kinder bekommt, es ist noch keine Mutter vom Himmel gefallen. Wir versuchen täglich Dinge – manche funktionieren, andere nicht.
Wie will man denn lernen, wenn man keine Fehler machen möchte? Gehen lernen ohne Hinfallen? Skifahren ohne Stürzen? Sprechen ohne ein falsches Wort? Schule ohne einen Fehler? Obwohl ich ihre Sorge wahrnehmen konnte sagte ich ihr, dass “keinen Fehler zu machen auch heißt, sich nicht weiterentwickeln zu wollen.”
Es ist die Bewertung, die wir Fehlern geben, die sie wirklich problematisch machen.
Fehler sind schlecht.
Fehler werden rot angestrichen.
Fehler werden verheimlicht.
Fehler sind eine Schwäche.
Fehler werden geschreddert.
Fehler werden vertuscht.
Fehler sind etwas Peinliches.
“Aus Fehlern wird man klug” lautet ein altes Sprichwort, dessen Bedeutung wir in unserer Gesellschaft teilweise vergessen. Wir streben nach dem Vollkommenen, dem Perfekten, dem Optimalen und Idealen und loben uns gegenseitig ausgiebig, wenn wir diese Dinge (fast) erreichen. Es ist beinahe Kult, sich selbst, die eigenen Kinder, den Partner, die Wohnung, den Garten, den Beruf, die Freundschaften, Freizeitaktivitäten, Urlaube und Zukunftspläne einem richtigen Optimierungswahn zu unterwerfen. Alles soll makellos sein und dabei merken wir irgendwie: das geht sich alles nicht aus.
Fehler sind Erfahrungen
Leider sehen wir Fehler als etwas Falsches und Schwaches an, wir würden sie am liebsten ungeschehen machen. So schade. Denn Fehler sind nichts anderes als Erfahrungen. Genau gesagt: eine Erfahrung, die uns gefehlt hat. Ja, manchmal schmerzhaft und meistens nicht sonderlich angenehm, doch: sie bringen uns voran! Sie bieten uns die Chance, uns zu entwickeln und neue Möglichkeiten zu probieren. Jeder Fehler ist eine Gelegenheit zu lernen.
Manche guten Pädagogen setzen das schon in der Schule um und schreiben unter ein Diktat: 20 Wörter richtig und 5 Chancen, dich zu verbessern! Das ist ein völlig anderer Blick auf die Dinge als “5 Fehler”. (Falls die Lehrperson deines Kindes das -noch- nicht macht, sag deinem Kind daheim selbst diesen Satz dazu, wenn du es dir ansiehst!”).
Es braucht Ehrlichkeit
Zwischen Müttern entsteht leider oft großer Druck, weil wir uns ständig miteinander vergleichen und dann bewerten, obwohl wir alle in verschiedenen und individuellen Lebenssituationen sind. Manche Mütter bekommen viel Unterstützung vom Umfeld, andere sind völlig auf sich gestellt oder wollen alles allein schaffen. Es gibt Mütter, die in vielen Bereichen sehr hohe Ansprüche haben (sinnvolle Beschäftigung, gesunde, selbstgekochte Nahrung, aufmerksame Pflege, reflektierter Umgang mit den Kindern) und andere, die recht sorglos ihre Elternschaft leben. Die Unterschiedlichkeit der Kinder mit ihren jeweiligen Temperamenten spielt hier auch eine große Rolle und beeinflusst unseren Alltag.
Durch diesen Dschungel kommen wir nicht, ohne Fehler zu machen, eine falsche Abzweigung zu erwischen, gegen eine Wand zu laufen, verletzt zu werden oder die Orientierung zu verlieren.
Es ist nicht die immer aufregende Safari mit stets neuen und schönen Entdeckungen und berauschenden Eindrücken, die uns fasziniert das Wunder des Lebens bestaunen lässt. Statt diese Reise des Elternseins immer schön zu reden sollten wir eine freundlichere Fehlerkultur entwickeln.
Ja, ich hab meine Kinder angeschrien.
Ja, ich hab ihnen Tiefkühlpizza gemacht.
Ja, ich hab sie mit einem Eis erpresst.
Ja, ich hab ihn eine Stunde vor dem Bildschirm geparkt.
Ja, ich hab heut gedroht, das Spielzeug wegzunehmen, wenn es nicht aufgeräumt wird.
Eltern sein ist schwierig, besonders, wenn man von sich selbst so viel erwartet. Wir spüren, wie mühsam es ist, Säuglinge zu begleiten, monatelang nicht durchzuschlafen, wie viel Energie die Beziehungsarbeit fordert und wie anstrengend es ist, so viele Bedürfnisse zu balancieren. Wir haben unsere Zweifel, ob wir auch gut genug sind, wir schaffen es nicht allein, wir brauchen Hilfe und Unterstützung von Partnern, Familie und Gesellschaft. Es ist ein vielseitiger Job, der unendlich viele Qualitäten erfordert und besonders beim ersten Kind machen wir das zum ersten Mal.
Wir alle machen Fehler. Wir alle scheitern. Mit dem Scheitern werden wir ge-scheiter, genau so wie Fehler uns wachsen lassen und reifen. Sie bieten die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen und uns zu entwickeln. Auch wenn sie manchmal schmerzhaft sind und Narben hinterlassen sollen und dürfen wir dennoch dankbar sein dafür. Wenn wir uns dann auch noch gegenseitig von unseren größten Fehlern, ääähm, Erfahrungen offen erzählen können, können wir miteinander wachsen. Machen wir uns menschlich.
Und für alles, wo wir wirklich das Gefühl haben, etwas verbockt zu haben, gibt es die Möglichkeit sich zu entschuldigen, zu sagen:
Es tut mir Leid.
Ich nehme mir die Erfahrung mit.
Ich lerne daraus und entwickle mich weiter.
Für dich und für mich. Und für diese Gesellschaft.
Wenn ich mein Leben noch einmal Leben könnte, würde ich die gleichen Fehler machen.
Aber ein bisschen früher, damit ich mehr davon habe.
Marlene Dietrich
Welchen Fehler hast du gemacht, aus dem du viel gelernt hast? Lasst uns anfangen, ehrlich zu sein!
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- #1Elke Gruber Franthall (Freitag, 06 September 2019 14:35)Toller Beitrag Kerstin!!�! Wie war wie war!!! Ich oute mich��
Bei deinem Vortrag in Roitham im November wär das auch super zu erwähnen (falls du es nicht ohnehin machst �) Glg und einen schönen Schulstart, Elke - #2
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