Langeweile fühlt sich für viele Eltern nach Versagen an – und für Kinder wie eine Zumutung. Doch was, wenn genau darin ein Schatz liegt?
In diesem Beitrag zeige ich dir, warum nichts tun manchmal das Beste ist, was deinem Kind passieren kann, wie du es dabei liebevoll begleitest und was das mit diesem vierzig Jahre alten Bild zu tun hat.
Mir ist soooooo fad!
Kaum ein Satz lässt mich als Mama von drei Kindern so widersprüchlich fühlen wie dieser eine. Einerseits bekomme ich augenblicklich ein schlechtes Gewissen: „Bemühe ich mich am Ende nicht ausreichend, meinen Kindern ein anregendes Umfeld zu schaffen?“ Andererseits kocht im selben Moment Wut hoch, weil ich mir zwischen unbezwingbaren Wäschebergen, endlosen Aufräumarbeiten und fordernder Erwerbsarbeit denke: „Mir wär auch gern mal wieder langweilig – an dieses Gefühl kann ich mich gar nicht erinnern!!! Bitte, lass uns tauschen..“.
Im besten Fall folgt dieser inneren Alarmiertheit und meinen Gedanken
- „Was sollen wir tun?“
- „Muss ich etwas anbieten?“
- „Bin ich zu wenig präsent?”
eine abgeklärtere Denkweise aus meinem erwachsenen Pädagoginnengehirn. Das weiß nämlich sehr genau: Langeweile ist kein Zeichen von Mangel. Sondern ein wichtiger Motor für Entwicklung und Kreativität. Unsere Kinder, die mittlerweile fast bis ganz erwachsen sind, wuchsen noch ohne Smartphones und Tablets auf. Seit Bildschirme allgegenwärtig sind, ist die Verlockung enorm, jede Sekunde „sinnloser“ oder ungenutzter Zeit mit Inhalt vollzustopfen. Das verwehrt der nächsten Generation die Entwicklung einer bedeutenden Superkraft: Langeweile auszuhalten.
1. Warum Langeweile eine unterschätzte Superkraft ist
Kreativität wächst auf dem Boden der Langeweile
Wenn meine Kinder einen Satz von mir als Mama besonders gehasst haben, dann den: „Oh, dir ist fad – wie wunderbar. Dir fällt bestimmt demnächst etwas Tolles ein!“ Ich wusste, nachdem ich meine Alarmbereitschaft, wie oben beschrieben veratmet hatte, wie ich reagieren wollte: ihren Gehirnen Zeit geben, eigene Ideen zu entwickeln, ohne vorschnell Reize vorzugeben oder ein Spiel anzuregen.
Ohne sofortige Ablenkung durch Medien oder Aktivitäten (durch Erwachsene initiiert) beginnt die kindliche graue Masse selbst kreativ zu werden – ganz im Sinn eines freien Spiels. Nein, das geht nicht auf Knopfdruck. Ja, die Zeit bis dorthin ist für mich als erfolgsorientierte, durchgetaktete und effiziente Erwachsene oft schwer auszuhalten.
Langeweile als emotionaler Spiegel
Genau dieses „schwer aushalten“ ist schon die nächsten Kompetenz, die dabei trainiert wird (auch bei mir als erwachsene Begleitung!). Mit innerer Leere, Frust und Unruhe umgehen zu können, ist eine wichtige Basiskompetenz beim kreativen Problemlösen und das werden wir bei Gott in einer immer komplexer werdenden Welt gut brauchen können.
Emotionale Entwicklung fördern bedeutet für mich auch, einer anderen Person (auch nicht dem geliebten Kind) jedes unangenehme Gefühl sofort abnehmen zu wollen. Das einzige was wirklich wichtig ist: in Verbindung bleiben und verfügbar sein, damit das Kind erfährt: ich bin auch okay, wenn ich frustriert, gelangweilt und unrund bin.
Wenn ich mich als Mama zurückhalte und es nicht gleich für mein Kind „besser weiß“, kann das junge Leben seine Selbstwahrnehmung entwickeln und für sich selbst nach und nach herausfinden: „Was tut mir gut?“
Selbstwirksamkeit statt Dauerbespaßung
Ich habe mich lange erfolgreich gegen Spielkonsolen und portable Dauerbespaßung in unserer Familie gewehrt. Unsere Kinder liefen dadurch zu kreativen Höchstleistungen auf – zum Beispiel, indem sie alle Geräte, die wir ihnen nicht gönnten einfach selbst bastelten. Ein wenig Karton, Kleber und Kinderfantasie und die erlebte Handlungsfähigkeit wuchs ins Unermessliche. Kinder, die erleben, dass sie sich selbst aus der Langeweile „herausmanövrieren“ können, entwickeln überdies ein stärkeres Selbstvertrauen.
2. Was uns als Eltern so schwerfällt – und warum
Wenn du bis hierher gelesen hast, denkst du vielleicht „wie konnte ich Langeweile jemals negativ empfinden“? Das ALLES will ich unbedingt für mein Kind!
Die Angst vor Stillstand.
In unserer durchgetakteten Welt gibt es Glaubenssätze, die wirksam und nachhaltig dafür sorgen, dass wir Leere oder Stillstand als Rückschritt erleben. Wir leben nicht mehr in einer Leistungsgesellschaft – leisten allein reicht gefühlt schon längst nicht mehr. Wir sind eine Erfolgsgesellschaft – alles muss effizient, ertragreich und extragut sein. So geht Kindheit jedoch nicht. Oft projizieren Eltern ihre eigenen Unruhe auf die Kinder und stopfen jedes Loch im Kalender mit (gutgemeinten) Aktivitäten, Erlebnissen und Programm voll.
Das ist ein ausdrückliches Plädoyer für „faule Elternschaft“ in der richtigen Art und Weise – es gibt ein hervorragendes Buch dazu von Tom Hodgekins , das ich wärmstens empfehle.
Das schlechte Gewissen.
Die meisten Eltern wollen für ihre Kinder das absolut Beste. Dafür strengen sie sich auch oft an. Entwickelt hat sich eine Bespaßungsmentalität, die nicht zuletzt auf Social Media befeuert wird und gleichzeitig tatsächlich relevante elterliche Kompetenzen völlig vermissen lässt.
Schlechtes Gewissen sollten wir haben, wenn wir unsere Kinder nicht gut co-regulieren, unsere eigenen unangenehmen Gefühle nicht managen können oder die Verbindung zum Kind trennen, weil sie nicht unserem Idealbild entsprechen. Definitiv aber nicht, weil wir keinen Ausflug machen, keine Freunde einladen oder keine instagrammable Abenteuer inszenieren.
Die Verwechslung von Bedürfnissen und Wünschen.
Nicht jede geäußerte Idee eines Kindes ist ein echtes Bedürfnis. „Mir ist fad!“ kann bedeuten:
- Ich brauche Verbindung.
- Ich fühle mich unwirksam / ohnmächtig / hilflos / leer.
- Ich bin überreizt und finde keinen Weg heraus.
Eltern brauchen sehr viel Feinfühligkeit, um Kinder hier gut zu begleiten und ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten statt im Außen einfach zu überdecken. Ein Prozess, der Frustration und innere Unruhe einschließt. Die Entwicklungsaufgabe ist, nicht jede „unangenehme“ Emotion lösen zu müssen und die Frustationstoleranz zu erhöhen, damit das Kind lernt in die Selbstwirksamkeit zu kommen.
3. STRATEGIEN für den ALLTAG – wie schaffen wir das nun mit der Langeweile?
„Ich sehe dich“ – ohne eine Lösung anzubieten
Was jedem Menschen gut tut: wenn jemand anerkennt und sieht (auch mit Worten), wie es uns geht: „Aha, dir ist langweilig. Das fühlt sich bestimmt doof an.“ Wirklich hinsehen und hinfühlen hilft. Kein sofortiges Eingreifen und mit einer Idee um die Ecke kommen! Es gilt: genau beobachten, ob und wie viel Impuls nötig ist. Meistens ist weniger mehr und es reicht eine kindgerechte, anregende Umgebung, um den Spieltrieb und die Kreativität zu aktivieren.
Ideenräume statt Entertainment
Lass mich dir als gelernte Elementarpädagogin sagen: wir sind nicht die Alleinunterhalter unserer Kinder! Ich hab praktisch nie in all den Kinderjahren aus eigenem Antrieb eine Bastelarbeit angefangen. Jedes kreative Werk hab ich aber so gut wie möglich unterstützt und begleitet. Was es braucht, damit Ideen entstehen können? Einfache Materialien: Zettel, Schnüre, Kleber, Locher und Stifte. Ein Tisch, wo sie werken können und ganz oft waren Verpackungsmaterial, leere Klopapierrollen oder Jogurtbecher ein fantastischer Zeitvertreib. Von Kastanienrutschen, Bügelperlenapotheken und Jogurtbecher Cocktailbars ist dabei so viel Großartiges entstanden, dass ich heute noch vor Freude heule, wenn ich daran denke.
Ja, das Chaos war zeitweilig selbst für mich (kreativen Geist) unerträglich. Manchmal landete Farbe auf dem neuen Terrassenboden, der ganze Küchentisch war voller Klebstoff und Locherschnipsel verteilten sich bis in die letzte Möbelritze. Und es war jede Sekunde des Aufräumens wert, sie so im Flow zu erleben statt vor platten Bildschirmen geparkt zeitliche Lücken zu füllen.
3 PROFI TIPPS:
- Zweckentfremdung von Materialien und Gegenständen zulassen bzw. fördern (Stühle als Zugabteil einsetzen, Schachteln als Spielhäuser, Erde & Sand für die „Matschküche“ erlauben)
- Auf vielseitig bespielbares Spielmaterial (Kappla, Konstruktionsmaterial usw) setzen (keine Legosets, wo beinah jeder Baustein nur eine mögliche Verwendung zulässt!)
- Konservierung von Spielszenen ermöglichen (nicht jeden Abend alles wegräumen müssen – hat mehrere Vorteile!)
Gemeinsame Reflexion fördern & Ressourcen aktivieren
Ich hab schon einmal berichtet, wie mich ein Bastelvorhaben unserer Mittleren komplett ausrasten hat lassen. Überforderung auf beiden Seiten, die mangelnde Umsetztbarkeit und fehlende Skills waren der Grund, warum in dem Fall kein FLOW-Zustand entstand.
Das gelingt, wenn es herausfordernd genug, aber nicht zu schwierig ist und meine Fertigkeiten, Talente und die Übung in balance sind.
Wenn wir als ERwachsene Kinder begleiten, ist es definitiv besser, das Kind mit Fragen zur Reflexion anregen und damit Ressourcen zu aktivieren, statt ihnen „unsere“ gute Lösung auf das Auge zu drücken.
- Was hast du denn letztes Mal gemacht, als dir langweilig war?
- Was würde deinem Freund x dir raten, was du machen kannst?
- Wobei hattest du zuletzt viel Spaß, als du es (allein) gemacht hast?
So oder so ähnlich kann es klingen. Was wir damit machen: uns selbst auf Augenhöhe mit dem Kind begeben und ihm zwischen den Zeilen zu sagen: Ich bin überzeugt, du trägst die Lösung in dir. Du schaffst es, dir selbst heraus zu helfen aus diesem unangenhmen Gefühl. Ich bin da, glaub an dich und halte es mit dir aus.
Ein alter Tisch, eine provisorische Holzstufe und eine ausgediente Leiter waren vor knapp vierzig Jahren die Basis für eine Spielidee, die in den leuchtendsten Farben in meinem Gedächtnis aufgehoben ist. Meine beiden Cousins, meine Schwester und ich konnten oft aus Nichts die tollsten Ideen entwickeln, in diesem Fall eine Feuerwehr samt Drehleiter und Schläuchen. Wir haben alles aus den letzten Ecken des großelterlichen Bauernhofs zusammengekarrt, aufeinander gestapelt und sind darauf herumgeturnt. Verantwortungslos? Könnte man heutzutage gleich mal hören. Ich sehe hinter dem Bild auch Erwachsene, die folgendes konnten: ZUTRAUEN, ZUMUTEN und ZUVERSICHTLICH sein, dass die Kinder sich selbst beschäftigen. Ja, eine andere Zeit für Kindheit. Aber genau dieselben Qualitäten brauchen wir heut noch, vier Jahrzehnte später und ich wage mich mal weit hinaus: das werden wir immer brauchen.
Spielräume (im pädagogischen Sinn) ermöglichen Autonomie, Entscheidungskraft und Selbstorganisation. Solche Räume tun sich auf, wenn Langeweile anklopft. Somit ist Langeweile kein Notfall, sondern ein Geschenk – verpackt in leicht nörgelndem, genervten Tonfall. Wenn wir Eltern diesem Präsent mit Vertrauen, Gelassenheit und liebevoller Präsenz („Ich bin da und ich mach nicht alles weg!“) begegnen, schenken wir unseren Kindern etwas ganz Wertvolles: die Erlaubnis, sich selbst zu entdecken.
🗣️ ERSTE HILFE KOFFER: 5 Dinge, die du sagen kannst, statt sofort zu reagieren
- „Hm, das klingt gerade nicht so angenehm. Magst du mir erzählen, wie sich das für dich anfühlt?“
➡ Fördert emotionale Sprache und Selbstwahrnehmung - „Langeweile ist manchmal wie ein leerer Raum – ich bin gespannt, was dir gleich einfällt.“
➡ Bringt Vertrauen in die eigene Kreativität des Kindes zum Ausdruck - „Du darfst dich auch mal langweilen. Oft kommt dann etwas richtig Spannendes aus dir selbst.“
➡ Normalisiert das Gefühl und gibt inneren Prozessen Raum - „Ich bin in der Nähe, wenn du mich brauchst – aber du darfst erstmal selbst schauen, was du machen möchtest.“
➡ Signalisierst emotionale Präsenz, ohne das Problem zu übernehmen - „Weißt du noch, als du beim letzten Mal was Cooles gemacht hast, als dir langweilig war? Was war das nochmal?“
➡ Fördert Erinnerung an eigene Lösungsstrategien = Selbstwirksamkeit stärken
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