17. Das ist die Anzahl der Jahre, in denen ich unsere drei Kinder durch die Schulpflicht begleite.
Die dazugehörigen Erfahrungen machen mich immer wieder nachdenklich.
In diesen Tagen starten wir in ein weiteres Semester Schulpflicht im Regelschulsystem, die Ferien sind vorbei, es rollt die nächste Schularbeitenwelle an, kiloschwere Schultaschen werden auf manchmal zu zierlichen Rücken geschleppt, es wird stillgesessen und es werden Gehirne gestopft, um daheim am Nachmittag noch mehr von demselben zu tun. Die Realität holt uns ein, da fange ich an zu träumen …
… von einer Schule, auf die man sich in den Ferien schon freut, nicht nur, weil man dort die Freunde wieder trifft und Zeit mit ihnen verbringt, sondern weil man dort als wertvolles Individuum gesehen wird, vor allem mit Stärken, Talenten und Ressourcen statt mit Fehlern, Mängeln und Schwächen.
… von einer Schule, wo Kinder selbstmotiviert lernen, bei ihren Bedürfnissen und Interessen abgeholt werden und dort gefördert, wo sie stehen. Wo Pädagoginnen nicht stupide einem teilweise sinnentleerten Lehrplan folgen und Themen nicht nur über Klassen sondern ganze Schulstufen drüber stülpen oder besser gesagt hineinstopfen, sondern neue Wege gehen (die eigentlich eh nicht mehr ganz so neu sind): offene Lernformen, offene Klassenzimmer, Zusammenarbeit fördern, Tutorsysteme etablieren, eine freundliche, unterstützende Lernkultur basierend auf der Überzeugung, dass jedes Kind talentiert ist und lernwillig – wenn es sich selbstbestimmt dem Lernfortschritt widmen darf. Ganz nach Modellen alternativer Pädagogik oder “Schule im Aufbruch” von der genialen Margret Rasfeld, einer Vordenkerin zum Thema wie Lernen (auch) gehen kann.
… von einer Schule, in der erkannt wird, dass Beziehung vor Bildung kommt. Wo LehrerInnen sich für ihre Schüler interessieren, einander menschlich auf Augenhöhe begegnen statt von oben herab, die Pädagogen sich als Begleiter zur Bildung sehen, die den Überblick behalten und Kinder motivierend anleiten, statt wie Zitronen ausquetschen und das Beste in den jungen Leuten hervorbringen wollen, statt ihnen das Fürchten zu lehren vor der ewig gestrigen (Ziffern-)Beurteilung.
… von einer Schule, in der willige Eltern auch tatsächlich mitreden dürfen, sich einbringen und ihre jeweilige Fachkompetenz zur Verfügung stellen können, statt mit fünf- bis fünfzehnminütigen Zeitfenstern an Elternsprechtagen oder KEL-Gesprächen mit einer Aufklärung über den Zustand des eigenen Kindes abgefertigt werden. Wo es möglich ist, auch mal Kritik zu üben, ohne dass es dann den Kindern auf den Kopf fällt, und man selbst abgestempelt wird als unangenehme Querulantin, der scheinbar sowieso nichts recht gemacht werden kann. Ein wenig mehr Demut und die Einsicht, dass LehrerInnen tagtäglich mit dem Wertvollsten, das wir haben arbeiten, umgehen und es (mit-)formen – ganz besonders den Zugang und die Einstellung zum Thema (Aus-)Bildung. Und dass man sich nicht so hoffnungslos ausgeliefert fühlt, weil man als winziges Rädchen in dem großen System nur wenig und langsam bewegen kann.
… von einem Schulsystem, in dem Pädagoginnen auch gekündigt werden können. Und zwar nicht erst, wenn sie sich richtig heftig was zu Schulden kommen haben lassen, sondern schon vorher. Wenn offensichtliche Kompetenzmängel vorliegen, immer wieder disziplinäre und organisatorische Fehler passieren, wenn eindeutig instabile Persönlichkeiten mit der Leitung von Klassen überfordert sind, Selbständigkeitserziehung nicht von “im-Stich-lassen-mit einer-Aufgabe” auseinander gehalten werden kann, Kinder sich so ängstigen, dass sie beginnen wieder einzunässen (in der Volksschule!) und im harmlosesten Fall schlicht und einfach vollkommen die Lust verlieren, zur Schule zu gehen.
… von einer Schule in der das echte Leben Platz haben darf, oder die mal ins echte Leben hinaus zieht. Wo man von Blumenwiesen auf der Blumenwiese lernt und beim Malen auch mal kreativ sein darf, wo man lernt wie man sich Wissen holt, richtige von falschen Informationen unterscheidet und nicht alles auf platten A4 Zetteln in schwarz weiß abgedruckt zum Bearbeiten bekommt.
Zugegeben: es gibt sie schon, diese Schulen. Es gibt sie auch, die geträumten LehrerInnen. Die, die voller Leidenschaft sind für ihren Beruf und dazu auch noch kompetent, offen, mutig, veränderungsbereit, flexibel und voller Ideen. Wir brauchen aber noch mehr von der Sorte. Genau gesagt, sollte JEDES Kind die Möglichkeit haben, so eine Schule zu erleben und nicht nur diejenigen, die vielleicht glücklicherweise in ihrem Wohnort eine fortschrittliche Schule haben oder hohen (finanziellen) Aufwand betreiben um ihr Kind in einer freien oder alternativen Schule die Schulpflicht absolvieren zu lassen.
Margret Rasfeld bestätigt, dass die Gesetze den nötigen Spielraum bieten. Jede Regelschule kann sofort umstellen auf offene Unterrichtsformen, selbstorganisiertes Lernen, Selbstverantwortung statt Pflichterfüllung, Lob und Vertrauen und die Erhaltung und Förderung der Begeisterung und Kreativität von SchülerInnen.
“Nur eine Lektion hat sich in den Jahr‘n herausgesiebt, die eine nur aus dem Haufen Ballast: Wie gut es tut, zu wissen, dass dir jemand Zuflucht gibt. Ganz gleich, was du auch ausgefressen hast!” R. Mey
Die Erfahrungen, die wir mit unseren Kindern – besser gesagt deren Lehrerinnen in der Grundschule machen und machten, sind leider bis auf wenige Ausnahmen bedauerlich. Auch in der Beratung und in Workshops höre ich, wie rückläufig es in manchen Schulen immer noch abgeht. Gerade in diesen Jahren, wo oft eine Lehrperson den ganzen Unterricht allein schaukelt ist man dem Tun dieser Person praktisch hilflos ausgeliefert.
Da braucht es umso mehr uns Eltern:
- die wir unsere Kinder bedingungslos annehmen, egal was sie in der Schule erleben.
- die sich für die Kinder interessieren und deren Beziehung tragfähig ist, wenn sie mal wieder mit Enttäuschungen daheim aufschlagen oder erst gar nicht das Haus verlassen wollen.
- die ihnen auch mal sagen, dass es genug ist mit Lernen, dass sie lieber spielen gehen sollen,
- dass ihr Leben auch noch andere Inhalte hat als das Existieren für die Schule,
- die ihnen zeigen, wie man mit Frust und Trauer umgehen kann,
- Sie brauchen UNS als IHRE Gewerkschaft, ihre Interessenvertretung gegenüber der Schule,
- jemanden, der sieht was in der Schule nicht gesehen wird – und das auch würdigt und achtet.
- die jederzeit da sind um sie aufzufangen und anzunehmen.
- und mit ihnen über den Wahnsinn lachen können…
- denn manchmal bleibt einem nichts anderes mehr übrig.
In diesem Sinne … auf in das nächste Semester!
Ähnlicher Meinung? Anderer Meinung? Erzähl ruhig in den Kommentaren, was du im aktuellen Schulsystem mit deinen Kindern erlebst … ich überzeug mich gern, dass mein Traum anderswo schon Realität ist!
Lebendige Grüße,
deine Kerstin
Kommentar schreibenKommentare: 2
- #1Anna (Sonntag, 24 Februar 2019 13:27)Gerade läuft das Lied von Reinhard Mey im Auto…und das halte ich mir grad oft vor Augen. Unser 1.semester hat uns sehr ernüchtert. Die vs im Ort hat einen sehr guten Ruf. Der sich leider nicht bestätigt. Eine völlig überforderte Lehrerin, kurz vor der Pension, null eingehen auf das einzelne Kind; null Kritikfähigkeit, ohne dass es auf s Kind zurück fällt, und eine Tochter die sich vor der Schulzeit selber lesen und schreiben beigebracht hat und jetzt kaum mehr Lust auf lernen und Schule hat. Gute Freundinnen schon, zum Glück. Ganz ganz oft denk ich an „wenn die Ziege schwimmen lernt“.
- #2Lena (Montag, 25 Februar 2019 19:21)Da kommen mir wirklich die Tränen. Auf der einen Seite, weil ich mich gerührt fühle, mich in dem einen oder anderen Satz wiederfinden zu können und auf der anderen Seite, weil ich die Vorstellung kaum ertrage, dass das österreichische Schulsystem bei gefühlten 99% der Kinder wirklich alles andere als Kind- oder Zeitgerecht ist. Wie man sieht bzw. liest, ist es nicht einmal “Erwachsenengerecht”. So gerne würde ich die Pädagogik, die ich jeden Tag (er)lebe in einem öffentlichen Schulsystem ausüben können, damit mehr Kinder, Eltern und PädagogInnen sehen, wie leicht ein wertschätzender, respektvoller und vor allem liebevoller Umgang miteinander und besonders im Alltag mit Kindern umzusetzen ist. So viel können wir Erwachsene von den Kindern lernen. Sie zeigen uns von sich aus – und das tagtäglich – was sie alles interessiert, was sie wissen und können (“lernen”) wollen oder welche Fähigkeiten sie sich bereits angeeignet haben. Bewegung, Rollenspiele, verkleiden, Höhlen bauen, matschen und gatschen, kochen, Brettspiele, malen, basteln, schreiben, rechnen, … – DAS ist die Welt der Kinder. Und zwar viel länger als nur bis in das Kindergartenalter. Täglich fünf Stunden ruhig und höchst konzentriert auf ein und demselben Sessel sitzen und aufzupassen, was der Herr Lehrer oder die Frau Lehrerin da vorne alles sagt, ist wirklich keine Zumutung für einen Menschen. Welcher Erwachsene würde sich freiwillig von jemanden belehren lassen wollen, der vorgibt alles zu wissen und zu können und das Tag für Tag (mindestens) 9 Jahre lang? Doch den Kindern wird genau das aufgezwungen, weil sie sich nicht dagegen wehren können. Sie zeigen uns mit allem was sie haben, dass das System nicht mehr passt bzw. noch nie 100%ig gepasst hat, doch wir sind es die es ändern müssen und können. So wenig braucht es, um einen “Unterricht” offener, kindgerechter zu gestalten und so vieles kann man dadurch bei ihnen bewirken. Die Kinder heute sind anders als die Kinder vor 5, 10 oder 40 Jahren. Doch die Pädagogik bleibt die Gleiche. Es braucht PädagogInnen und Eltern, die gemeinsam an einem Strang ziehen, bei dem die Kinder an höchster Stelle stehen. wenn beide, Eltern und LehrerInnen, das bestmögliche für Ihre Kinder herausholen wollen, würde die Schule nicht so aussehen wie sie jetzt großteils noch ist. Ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander ist es, was die Kinder brauchen. Worte, Zuneigung, Wertschätzung und keine Noten. Entscheidungsfreiheit, innere Motivation, das Leben als großes Ganzes sehen und keine in 50-Minuten getakteten eingeteilten Schulfächer. Spaß, Entdeckerfreude, Begeisterung, eigene Interessen und keine vorgefertigten Themen von Außen, die dich zu interessieren haben genau jetzt in diesen 50 Minuten. Verständnis, Einsicht, Begleitung im sozialen Leben und nicht Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten. Schon garnicht in nichts sagenden Ziffern.
Die Kinder sind alles was wir haben und wir haben alles was die Kinder brauchen. Also geben wir es ihnen endlich und “… legen wir ihnen das Universum zu Füßen” (Maria Montessori)
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