Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt, haben und verwenden Handy, Tablet, Computer und Ähnliches in unserem Alltag. Vieles wird uns im Leben dadurch erleichtert, Vieles aber auch erschwert.
5 Erkenntnisse, wie der unsichtbare Sog auf unser Verhalten wirkt, was das mit Familien macht und 5 Tipps für dein tägliches Leben, damit wir nicht alle zu völligen Bildschirmzombies verkommen – diesmal am Blog.
In meinem Neujahrsvorsatz (ja, den gibt’s noch!) sporne ich mich ja dazu an, jeden Monat etwas Neues zu tun. So hab ich mich im Juli auf ein englisches Sachbuch gestürzt, nämlich das von Adam Alter “IRRESISTIBLE”, auf deutsch also: UNWIDERSTEHLICH.
Die gute Nachricht: mein Endlich reicht (noch) aus, um ein Buch dieser Kategorie zu erfassen.
Die schlechte Nachricht: die Lage im Bereich neue Medien ist ernster als gedacht.
Es ging um unsere digitalen Begleiter und wie sie uns in Verhaltensabhängigkeiten laufen lassen, nicht nur unbewusst, sondern mit ganz viel Strategie und Know how.
UND FÜHRE UNS IN DER VERSUCHUNG
Ja, ich geb’s zu. Ich verbringe zu viel Zeit vor Bildschirmen. Ich beobachte mich, wie ich kaum am Handy vorbeigehe ohne “geschwind” drauf zu drücken. Ich ertappe mich, wie ich beim Scrollen auf diversen Plattformen die Zeit vergesse und oft sinnfreie Wartezeiten oder ähnliches mit Geräten überbrücke. Und es gefällt mir nicht. Doch der Sog ist enorm und ich brauche oft viel von meiner Willenskraft, mich bewusst zu widersetzen.
Dann schaue ich meine Kinder an, die ja zwischen 10 und 16 Jahren sind und … verstehe. Wenn es mir als reflektierter Erwachsenen schon schwer fällt, mich nicht – ODER besser in der Versuchung führen zu lassen, wie soll das schon einem Kind gelingen? Das diesbezüglich über keine Regulationsmechanismen verfügt und außerdem damit groß geworden sind – zumindest teilweise?!
DER SOG IM WANDEL DER ZEIT
Das erste mobile Gerät zog bei uns im Jahr 2010 ein, dann langsam das erste Smartphone, das zweite, ein Tablet und mittlerweile besitzen alle Kinder ebenfalls ein Endgerät. Ich hab also noch erlebt, wie es ist, “lediglich” gegen den Fernseher zu kämpfen – auch wenn damals die vielen Programme und Möglichkeiten schon wie eine Herausforderung schien. Geradezu lächerlich, wenn man sich ansieht, womit es Familien heute zu tun haben. Wie oft ich so in den letzten Jahren “Schalt bitte aus!” sage oder “Ich möchte, dass du dir jetzt was anderes suchst, ohne Bildschirm!” kann ich kaum zählen.
Und ich merke: es frustriert mich oft sehr, dass dieses Thema so viel Konfliktpotenzial mit sich bringt. Meistens nämlich ;-), schaut “der Andere” viel mehr ins Gerät als man selbst – zumindest fällt es einem im Außen deutlicher auf.
5 PERSÖNLICHE ERKENNTNISSE AUS DEM BUCH
- Ich kämpfe gegen eine Armee!
Wenn ich versuche, mich oder meine Kinder bezüglich Bildschirmzeit zu regulieren, kämpfe ich nicht gegen ein kleines (oder größeres) viereckiges, scheinbar lebloses Kastl, sondern gegen eine Armee an Hightech Entwicklern, Spieldesigner und digitale Pros. Heere an Programmieren arbeiten daran, mir ein Spiel, eine App, eine Nutzung so schmackhaft wie möglich zu machen. Sie wissen alles über Farben, Formen und was uns “anspringen” lässt, womit wir gern interagieren und wie wir uns die Zeit vertreiben. Also bin ich allein gegen sehr, sehr Viele, was meine Bereitschaft zum Widerstand betrifft. Das war eine erleichternde und gleichzeitig ernüchternde Erkenntnis. - Es ist jetzt leichter, nein zu sagen als später einen Entzug zu machen
Das “nein” oder “weniger” gegenüber den Kindern fällt oft so schwer, weil es so mühsam ist und gefühlt viel zu oft ausgesprochen werden muss.
Obwohl ich es meine.
Obwohl es mir wichtig ist.
Obwohl ich mich hineinfühlen kann. Dass ein möglicher späterer Entzug (und ja, es gibt Kliniken, wo Menschen von Internetsucht und anderen Verhaltensabhängigkeiten geheilt werden möchten) deutlich heftiger ist, als so ein “nein” im Alltag, hat mir neue Kraft gegeben bei der Regulation der Bildschirmzeit. - Digitale Pros und ihre Kinder
Steve Jobs präsentierte das erste iPad nach einer 90-minütigen Lobeshymne auf diese kongeniale Gerät und machte eine ganze Generation gierig auf diese neue Technologie. Seine eigenen Kinder durften nie eines benützen – so wie die Kinder anderer digitaler Professionisten. (!!) Sie wussten und wissen genau, wie gefährlich die Verwendung der Geräte ist, wie schnell man davon abhängig wird oder sich abhängig macht. Und hatten meist sehr, sehr strikte Regelungen was Anwendungen in den eigenen vier Wänden betrifft. Ganz nach dem alten Motto der Drogendealer: Never get high on you own supply. Na bumm. - Es ist ein schmaler Grat zwischen Benefit und Zerstörung
Aber das ist doch so praktisch! Kaum ein Verein kann sich heute ohne irgendeine App organisieren, wir nützen Karten um zu navigieren, die Kinder können sich jederzeit über Öffis und Fahrzeiten informieren, die digitale Einkaufsliste hilft beim Verteilen der Arbeit und Aufgaben und entlastet, es gibt Apps, die uns ans Schritte machen und Wasser trinken erinnern, einen gesünderen Lebenswandel forcieren und wir erfahren über das Leben unserer Mitmenschen über die sogenannten sozialen Medien.
Die Grenze zwischen “das regt mich an, gesünder zu leben / es entlastet mich / das macht es so einfach” und beinahe zwanghaftem Verhalten und Selbstoptimierung ist hauchdünn. Und vor allem: nicht klar erkennbar. Es braucht eine gute, kritische und regelmäßige Selbstbeobachtung (und Außeneinschätzung), was wann für wen noch gut ist und was längst nicht mehr. Selbst Apps zur Regulation sind keine Universallösung. - Abhängigkeit gibt es nicht nur bei Substanzen
Von Kokain bis Heroin, von Spielsüchtigen bis Internetabhängigkeit wird ein großer Bogen gespannt, und es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Wir können nicht nur süchtig nach Substanzen sein, sondern auch Verhaltensabhängigkeiten entwickeln. Und leider zielen sehr viele Medien genau darauf ab – weil es auch ein gutes Geschäft ist.
Das Verheerende ist allerdings, dass man – was Technologie betrifft – nicht einfach “trockener Alkoholiker” sein kann in der heutigen Zeit und komplett auf Technologien verzichten kann im modernen Leben. Was bei Alkoholikern nicht geht (einfach ein wenig zu reduzieren, oder nur ab und zu zu trinken) geht bei dieser Form der Abhängigkeit auch nicht und es bleibt womöglich ein lebenslanger Fluch.
KAMPFLOS AUFGEBEN?
Was also tun, wenn man sich nicht kampflos ergeben will und neue Technologien aber nicht verbannen will. Wir dürfen Strategien erlernen, Regelungen entwicklen und Vereinbarungen erproben – auf Basis von Versuch und Irrtum, weil wir selbst nicht gelernt haben, wie man richtig, gut und nachhaltig damit umgeht.
Ich habe noch 5 Tipps für dich, die bereits praxiserprobt sind und deinen Alltag etwas erleichtern können.
5 TIPPS zum UMGANG MIT DIGITALEN MEDIEN
- Bildschirmfreie Zeiten
Um eine gewisse Zeit das Gerät abgeben oder zur Aufbewahrung wohin legen, wo es aus dem “Sinn” ist. Du kannst eine schöne Kiste verwenden, einen Tresor anschaffen oder ganz einfach die Geräte immer wieder woanders verstecken (das mach ich gern – ist zusätzlich ein Gehirntraining und fördert die Kreativität) Es braucht aber ein wenig Nervenstärke der restlichen Familie, wenn es dir nicht gleich einfallen sollte, wo du das letzte Gerät verwahrt hast.
Bildschirmzeit lässt sich bei neueren Geräten gut mit Apps (zum Beispiel Bildschirmzeit bei iPhone) regulieren und einstellen – das vermeidet SEHR viele Diskussionen im Voraus. (Und für unter 2 Jährige: GAR KEINE Bildschirme, bitte, bitte, bitte!!) - Bildschirmfreie Zonen
“Beim Tisch gibt’s kein Handy.” Diese Regelung ist bei uns schon lang die Norm (die allerdings manchmal Auffrischung braucht) und fördert den Esstisch als Begegnungszone und Gesprächsraum. Es geht natürlich auch (bei jüngeren Kindern) Geräte aus dem Kinderzimmer aus zu klammern und nur in gemeinsamen Räumen zu erlauben. Je älter die Kinder und Jugendlichen sind, desto eher brauchen sie aber für intime Gespräche und Austausch auch ihr Gerät im Zimmer. Wer weiß noch, wie “angenehm” die Telefonate früher am Festnetz waren, wenn die halbe Sippe zuhört?! - Jeder ist der Sheriff
Nicht nur als Erwachsene den Sheriff geben und die Kinder vom Gerät verscheuchen, sondern SIE beauftragen, dich ebenfalls aufmerksam machen zu dürfen. Was im ersten Moment ein kleines “Autsch” ist, wenn dein Kind sagt: “Mama, schau nicht immer auf’s Handy!” kannst du für dich auch als “friendly reminder” einordnen und es als Einladung sehen, es weg zu legen. Das fördert auch Begegnung auf Augenhöhe und zeigt den Kids: wir lernen gemeinsam, wie wir das handhaben wollen mit den Bildschirmen. - Vertrauen ist gut, Dialog & Wissen ist besser
“Mama, mein Freund hat gesagt, du vertraust mir nicht, weil du meine Handyfunktionen einschränkst!” … klang es diese Woche aus dem Kindermund. Ich erklärte daraufhin: “Es ist meine Verantwortung als Elternteil, auf dich zu schauen. Und so wie ich dich nicht in deinem Alter allein und ohne Begleitung in die große, weite Welt entlassen würde, will ich dich auch nicht unbegleitet und ohne Aufsicht in die digitale Welt entlassen. Ich will dich schützen vor Inhalten, die für dein Alter unpassend, gefährlich oder angsteinflössend sind und das mache ich auch, wenn ich dabei Widerstand von dir spüre. Weil ich mehr Lebenserfahrung hab und das für dich nützen will.”
Statt blind zu vertrauen ist es gut, sich über Apps, Spiele und Programme der Kinder zu informieren, sich immer wieder von ihnen in die Welt entführen lassen und sie persönlich und in Form von digitaler Aufsicht zu begleiten. - Interesse statt Ignoranz
Auch wenn es oft schwer fällt, sich für die Spiele oder Apps der Kinder zu begeistern – wenn wir uns nicht interessieren oder nicht nachfragen, kommt das einer Kapitulation gleich und signalisiert ihnen unsere Ignoranz. Dass das für eine gute Eltern-Kind-Beziehung wenig förderlich ist, brauch ich hier nicht zu erläutern.
Also frag immer wieder nach:
- Was ist das Faszinierende an diesem Spiel?
- Was gefällt dir an dieser App?
- Hast du das Gefühl, selbst bestimmen zu können?
- Wie viel Zeit willst du dir nehmen? Soll ich dich erinnern? Stellst du dir selbst einen Timer?
- Was lernst du, wenn du dies oder jenes machst?
- Könnest du das auch im echten Leben spielen, und wenn ja: wie?
- Schaffst du es aus zu schalten, oder soll ich das für dich erledigen?
WIR LERNEN ERST, WIE DAS GEHT
Es geht mir gut. Ich fühle mich noch nicht “nackt”, wenn ich ohne Handy unterwegs bin – manchmal lasse ich es auch bewusst daheim liegen. In netter Gesellschaft habe ich nicht das Bedürfnis, dauernd mein Handy checken zu gehen und finde diese Bildschirmfreien Zeiten und Zonen nicht nur angenehm sondern herrlich.
Doch das bewusste Reflektieren und genaue Hinsehen wird weiterhin gefragt sein und uns im Familienalltag begleiten, wenn wir nicht in den Sog hineingeraten möchten, in den uns die Entwickler, Unternehmer, Verkäufer, Influencer und unsere eigenen Gewohnheiten ziehen.
Digitale Medien gehören zu unserem Alltag.
Lass sie uns nützen.
Lass sie uns sinnvoll nützen.
Auch wenn wir dabei noch etwas “patschert” sind und fehlerhaft agieren – wir lernen eben erst gerade, wie wir das gut hinbekommen könnten.
Fühlst du diesen Sog auch?
Hast du noch andere Strategien (bereits erprobt)?
Lass uns an deinen Erfahrungen teilhaben! In den Kommentaren ….
(Der digitale Gott hat einen herrlichen Humor: während ich diesen Beitrag tippe – offline geht das zumindest – gibt’s hier kein Internet. Wartungsarbeiten, den ganzen Vormittag. Wenn ich auf ein Zeichen gewartet hätte: das wär’s gewesen !)
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- #1Bettina Windischbauer (Donnerstag, 06 August 2020 23:20)Ich finde es toll, dass du dich für dieses Thema einsetzt. Wir “plagen” uns auch tagtäglich mit diesem Thema rum. Es braucht viiiel an Diskussion und dagegenhalten. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass es sich im Sinne der Gesundheit und persönlichen Entwicklung unserer Kinder auszahlt.
Danke, Kerstin für den tollen Text!
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