Ich bin in eine alte Falle getappt – wieder einmal. Ein Kommentar, ein kleiner Shitstorm und eine Erkenntnis: Als Frau kannst du es einfach nicht (allen) recht machen. Welchen Fehler ich genau begangen hab, warum Kritik oft mit zweierlei Maß gemessen wird – und was das mit uns allen zu tun hat, liest du hier:
Was ein einziger Kommentar in mir ausgelöst hat.
Am dritten Oktober 2025 veröffentlichte Taylor Swift ihr neues Album. Vermutlich hast du nicht nur in meinem letzten Newsletter, sonder auch über andere Medien darüber erfahren. Es gab Zeitungsberichte, Fernsehauftritte und Radiostationen, die berichteten. Vor allem die sozialen Medien waren voll mit Beiträgen, kurzen Clips und Analysen zu dem Album. Sie wurde gefeiert, von Fans in den Himmel hoch gejubelt und stellt mit dem Album einen Rekord nach dem anderen ein. Das gefällt vielen, aber nicht allen.
Wo viel Licht, da viel Schatten.
Den prominenten Namen nützen viele Menschen, um ein bisschen von dem Ruhm mitzunaschen. Nicht zuletzt, weil es eine starke Fanbase gibt, die jedes Stückchen Information von ihr genießt, sich ihre Interpretationen auf der Zunge zergehen lässt und sie in fast religiöser Weise verehrt. So viel Licht macht erstens meist nicht nur Freunde, sondern wirft auch Schatten.
Also taucht im Zusammenhang mit ihr auch herbe Kritik auf. Vieles davon durchaus berechtigt. Sie sei eine Kapitalistin, die unethisch ihr Vermögen verdient hat und eine Wirtschaftsmaschine, die (junge) Fans gezielt und bewusst manipuliert, um viel Geld für ihre Platten oder ihren Merch (Fanartikel) auszugeben.
Kritik ist immer angebracht, wenn sie konstruktiv bleibt und mit gleichem Maß misst, wie ich finde. Ich gehe total mit dem Vorwurf konform, dass Milliardäre kaum ethisch genug sein können und es Reichensteuern braucht und auch den Einsatz von manipulativem Marketing sehe ich bedenklich. Was ein gemeinnütziges Online Magazin allerdings in einem Reel behauptet hat, entbehrt teilweise jeder Grundlage. Und hat mich zu einem Kommentar und einer kleinen Frage hingerissen. Womit wir bei meinem Fehler wären.
Was nicht im Kopf verhallt.
Leider hab ich die komische Eigenschaft, Dinge verstehen zu wollen, damit ich sie einordnen und verarbeiten kann. Deshalb hab ich in der Kommentarspalte unter dem Video nachgefragt, woher die Feststellung komme, dass Swift’s Texte „misogyn und rassistisch“ sind. Natürlich fühlte ich mich ein Stück weit persönlich angegriffen. Ich höre seit Jahren sehr viel von ihrer Musik und achte genau auf die Texte. Gleichzeitig bin ich eine glühende Feministin und Menschenfreundin – die Anschuldigung, dass Kunst, die mir gefällt, rassistisch und frauenfeindlich ist, verhallt nicht einfach in meinem Kopf.
„Rage bait“ vor korrekten Behauptungen
Was danach in den Kommentaren abging, war wirklich bemerkenswert. Das vielzitierte sonst gründlich recherchierende Magazin ging mit keiner Silbe auf irgendeinen Kommentar oder andere offene Fragen ein. Klare Strategie dahinter: Rage bait. Das heißt, mit dem Zorn der Menschen auf viel Aufmerksamkeit, Medienpräsenz und Klicks hoffen – was wunderbar geklappt hat. Das könnte man auch mal ganz grundsätzlich hinterfragen. Wie ging es weiter?
Vom Mond auf die Erde geholt
Einige andere Instagram User:innen fühlten bemüßigt, meine Fragenzeichen aus dem Kopf zu entfernen. „Wish List“ sei misogyn und rassistisch, weil Taylor darüber singt, sich einen Haufen Kinder mit Travis zu wünschen, die alle wie sie aussehen. Dass sie mit „MAGA-Fans“ abhänge, so die weitere Kritik und mit „Cancelled“ Menschen am rechten politischen Rand gut finden würde, die beleidigende, diskriminierende und homophobe Aussagen oder Handlungsweisen befürworten. Auch wenn ich es letztlich nicht eindeutig widerlegen kann: keine Person aus diesem Spektrum würde im selben Song singen: „Did you make a joke only a man could?“
Diese Anschuldigung (Frauenhass & Fremdenfeindlichkeit) ist weiter hergeholt als der Mond von der Erde entfernt ist.
Haters gonna hate.
Doch es geht gar nicht darum, ob ich nun recht habe und sie doch keine Rassistin oder Frauenhasserin (I mean…??!) ist. Was mir zwischen all den 374 Antworten vor allem bewusst wurde: als Frau KANNST du es einfach nicht recht machen. Oder, wie Taylor es sagen würde … „haters gonna hate“. Das gilt besonders für Frauen. Und macht mich ganz schön nachdenklich.
Hohe Ansprüche und verschiedene Messlatten
Nein, wir sollten nicht kritiklos alle Prominenten abfeiern. Es gibt oft genug Gründe zu zweifeln.
Nein, wir sollten nicht genau dieselben Maßstäbe an öffentliche Personen mit enormer Reichweite anlegen – sie haben mehr Verantwortung als ein Durchschnittsbürger.
Doch mit welchem Hass, mit welcher Schärfe und enormer Härte wir besonders Frauen bewerten, lässt mir einigermaßen die Kinnlade runter kippen. Selbst wenn du richtig viel richtig machst: sie werden kommen, um über dich zu richten und jede noch so kleine Ungereimtheit zu deinen Ungunsten interpretieren, um dir zu schaden.
Der wahre Verlust ist dabei viel größer. Er betrifft nämlich alle Frauen. Wenn wir es einfach nicht schaffen, Frauen ihren Erfolg zu gönnen und ihre harte Arbeit zu honorieren und uns stattdessen weiterhin gegenseitig zu zerfleischen, hinterlässt das bei mir einen sehr schalen Beigeschmack. Vor allem, wenn wir zeitgleich Männer mit denselben „Fehlbarkeiten“ (oder schlimmeren, siehe z.B. Sean Combs) ungeschoren davon kommen lassen.
Ist okay, dass Swift erfolgreich ist, aber sie soll bitte in den Augen der Kritiker auch noch die erste ethische Milliardärin sein, die bankrotte amerikanische Politik herumreißen und alle Frauen dieser Welt retten, weil ihre Mittel dafür reichen. Das schreiben echte Menschen in diesen Kommentaren. Hier wird klar:
Du kannst es einfach nicht recht machen.
Was im Großen nämlich für die Beyonces, Rhiannas und Taylor Swifts dieser Welt gilt, gilt schon lange im Kleinen für jede einzelne Frau in ihrer Lebensrealität.
Du darfst nicht zu dünn und nicht zu dick sein, nicht zu leise und nicht zu laut, nicht zu jung und nicht zu alt sein, um Kinder zu bekommen. Du sollst nicht zu wenige und nicht zu viele Kinder haben, nicht Karrierefrau aber auch nicht Hausmütterchen sein, vor allem nicht zu emotional aber bitte auch nicht kaltblütig. Ich bin sicher, jede Frau, die das liest, kann in irgendeiner Weise andocken, weil jede von uns das früher oder später am eigenen Leib erfährt.
Verbindendes vor Trennendes stellen – eine kluge Idee
„Ob es mir nicht reiche, dass sie mit MAGA Leuten abhänge?“ wurde ich bei meiner verzweifelten Suche nach Antworten in der Kommentarspalte gefragt. Natürlich finde ich die politische Haltung vieler Trump Anhänger schwierig. So schwierig, dass ich teilweise die Lust am Debattieren verlier – und das mag was heißen bei mir, denn ich lieeeebe herzhafte Diskussionen. Wir haben ja einiges an Familie in den USA und Teile davon sind auch Republikaner und Trump-Wählerinnen. Kann ich das verstehen? Definitiv nicht. Aber mag ich diese Menschen trotzdem? Aus vollem Herzen. Wir wissen halt, dass es meistens klüger ist, politische Themen auszusparen – damit wir unsere Beziehung zueinander aufrecht erhalten können. Wir können das Verbindende vor das Trennende stellen.
Das wünsche ich mir auch im Großen und Ganzen. Für alle Menschen, besonders aber für uns Frauen.
- Ein bisschen weniger Neid auf die Erfolge der anderen und ein wenig mehr Mitfreuen und Euphorie wenn Dinge geschafft sind.
- Ein bisschen weniger Hass auf die glitzernden Persönlichkeiten und ein wenig mehr Liebe mit dem Bewusstsein: wir sind alle Menschen, die irgendwie versuchen, dieses kleine Leben zu genießen.
- Ein bisschen weniger Perfektionismus und ein bisschen mehr Menschlichkeit und Milde, damit wir begreifen: niemand muss alles perfekt machen. Es reicht, gut genug zu sein.
Late to the party
Das besagte Magazin hat angesichts der Kommentarexplosion dann doch noch ein Statement verfasst, sich aber weiter gerechtfertigt und dann einen Teil sang- und klanglos wieder gelöscht, weil die Quellenangabe nicht gehalten hat. So gehe ich mit ein klein wenig Genugtuung aber der Erkenntnis, die Kommentarspalten zu heißen Themen großräumig zu umschiffen, in dieses Wochenende. Und beende diesen Text mit einem Zitat:
Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.
(Deutsches Sprichwort)
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