Auf phänomenale Weise schaffen es Paare, die viele Jahrzehnte gemeinsam durch’s Leben gehen, sich immer wieder wie Phönix aus der Asche zu erheben. Zahlreiche Konflikte, die mit ihrer Intensität viel verbrannte Erde hinterlassen. Schmerzende Unterschiedlichkeiten, deren Flammen sie beinah verzehren. Emotionale Unerreichbarkeit, die wie ein grauer Schleier alle Farbe dieses bunten Lebens übermalt.
Und doch gelingt es vielen von uns, Asche in Dünger zu verwandeln und bekannten Boden zu neuem Leben zu erwecken. Weil nach Phasen, wo jeder „sein Ding“ macht wieder interessierte Zuwendung passiert. Weil nach einem Streit einer wieder den so wichtigen ersten Schritt auf die andere Person zu macht. Weil es zumindest einem von ihnen gelingt, die Andersartigkeit wieder als Ressource zu sehen statt als Stolperstein.
„Wann ist es deiner Meinung nach zu spät?“ werde ich oft gefragt.
Oder: „Sagst du den Menschen, wenn es nichts mehr bringt, an der Beziehung zu arbeiten?“
Darauf gibt es sehr klare Antworten von meiner Seite. Bevor ich darauf eingehe, was die „Sackgassen“ in Beziehungen sind, die tatsächlich meist das Ende des Beziehungsdeals bedeuten, einige Überlegungen.
Sag niemals „nie“
Menschen kommen zu mir in Beratung, um Hilfe zu bekommen – nicht meine Meinung. Die ist sowieso irrelevant. Mein Job ist, Menschen mit Fragen und einem guten, professionellen Rahmen zu ihrer Lösung zu bringen. Wie die genau aussieht, stellt sich in so einem Prozess heraus und oft genug wäre ich da schon deutlich daneben gelegen, hätte ich eine Prophezeihung gemacht. Ich halte Menschen für enorm entwicklungs- und lernfähig und bin fasziniert von ihrer Bereitschaft, Beziehungen weiter zu tragen und – immer wieder – zu neuem Leben zu erwecken.
Erste Hilfe und Kapitulationen
Ja, ich bin auch manchmal enttäuscht. Beziehungen werden in manchen Fällen auch meiner Einschätzung nach leichtfertig aufgegeben, wo ich noch viel Potenzial gesehen hätte. Diese Fälle sind für mich persönlich tatsächlich schwerer auszuhalten.
Ich reanimiere lieber, bis der Tod spürbar im Raum ist, statt einen kranken Patienten aufzugeben. So stelle ich mir das jedenfalls in der Theorie vor – ich musste noch nie medizinische erste Hilfe leisten (abgesehen von diversen Platzwunden, blauen Flecken und Kreislaufkapitulationen unserer Kinder).
3 SACKGASSEN in BEZIEHUNGEN
Eine Million Dinge können gefühlt zum Aus einer Beziehung führen. Das landläufige Gefühl, was eine Beziehung wirklich irreparabel kaputt macht, deckt sich aber nicht mit den Erkenntnissen der Expert:innen. John und Julie Gottman fanden in ihrer Arbeit mit Paaren lediglich drei „Dealbreaker“ heraus. Situationen, die nicht mit Mitgefühl und Verständnis überwunden werden können, wo es keine Kompromisse gibt und was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende einer Beziehung bedeutet.
Und das sind sie:
1. MISSHANDLUNG
Wenn ein Partner den anderen misshandelt, ist das wohl unvermeidlich das Ende der Beziehung. Allerdings haben fast 50% der Paare, die in Therapie kommen, ein gewisses Maß an Gewalt erlebt. Und nicht immer ist es der sichere Tod in der Partnerschaft. Wo liegt also der Unterschied?
Die Gottmans differenzieren zwischen situationsbedingter und charakterbedingter häuslicher Gewalt. Im ersten Fall läuft ein Streit völlig aus dem Ruder, es folgen Gesten der Gewalt, beide sind gleichermaßen aktiv beteiligt und fühlen sich nachher schrecklich. Diese Form kann mit viel Training und professioneller Unterstützung überwunden werden.
Charakterbedingte Gewalt ist anders. Es gibt keine Übernahme von Verantwortung der Täter, im Gegenteil: sie beschuldigen das Opfer, es verursache die Gewalt durch sein Verhalten. In diesem Fall gibt es keine wirksame Behandlungsform – das ist das Ende einer Liebesbeziehung. Erste Anlaufstellen bei Gewalt findest du hier:
LINK Gewaltinfo Österreich
2. WEIGERUNG, HILFE BEI DROGENSUCHT ZU SUCHEN
Sucht allein – in welcher Form auch immer – ist zwar oft ein brodelnder Konflikttopf, aber noch kein Dealbreaker. Süchte zu überwinden kann ein langer, mühsamer Weg sein. Doch mit dem klaren Fokus auf die gemeinsamen Ziele und verbindungsstärkender Rituale kann es gelingen.
Eine Sucht ist eine Krankheit und kein moralisches Versagen. Wenn ein Partner jedoch verweigert, Hilfe bei solchen Problemen zu suchen, wird der Weg in eine gemeinsame Zukunft verstellt. Suchtkranke, die meinen, keine Hilfe zu benötigen, weigern sich quasi etwas dagegen zu unternehmen. Und diese Entscheidung wird wohl oder übel der Sargnagel einer Paarbeziehung sein.
3. UNTERSCHIEDE BEIM KINDERWUNSCH
Die Entscheidung, Kinder haben zu wollen, prägt und verändert das Leben eines Paares tiefgreifend und nachhaltig. Sie will günstiger Weise auch bewusst gefällt werden.
Möchte ein Partner keine Kinder bekommen und der andere spürt die Sehnsucht Elternteil zu werden, ist es vielleicht am besten, getrennte Wege zu gehen, denn: in dieser Frage gehen keine „halben“ Sachen. Man kann nicht „ein bisschen“ Kinder haben.
Dieser Entschluss erfordert volle Einsatzbereitschaft, eine große Portion Mut und ein lautes „JA“ zu allen Herausforderungen und Höhenflügen, die man mit Kindern erleben wird. Ein „dir zu liebe“ reicht hier bei weitem nicht aus. Auch wenn viele natürlich an der Aufgabe wachsen. Hier geht‘s auch um das Wohlergehen dritter Personen, die auch noch schutzbedürftig sind. Da hört der Spaß auf. Und bei Uneinigkeit eben auch die Beziehung. Auch wenn man sich noch so liebt.
Wichtig zu wissen: hinter unseren Konflikten verstecken sich Bedürfnisse, Träume und Visionen. Wir nehmen sie deshalb auch so ernst, weil wir dabei sonst etwas für uns Bedeutsames verpassen, was auch immer das ist.
Wenn sich Ideen und Vorstellungen „spießen“ und auf den ersten Blick nicht „zusammen passen“ lohnt es sich, hinter die Kulissen zu schauen. In den allermeisten Bereichen lassen sich selbst in verfahrenen Situationen Durchbrüche und spannende Wendungen erzielen. Mit der passenden Konflikt- und Kommunikationskultur ist sehr viel möglich, mit professioneller Begleitung noch mehr und das Leben ist ohnehin die größte Überraschung für sich.
Ich wünsche dir, dass es dir gelingt, durch Konflikte versteckte Träume und Ziele zu entdecken. So könnt ihr in Phasen der Zwietracht wieder Verbindung herstellen und eurer Liebe zu neuem Leben erwecken, in die Zukunft blicken und eure Visionen verwirklichen.
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