Kaktusphasen & Kuschelepisoden

5. Juni 2020

Dass Kinder verschieden sind, ist ja nun keine bahnbrechende Neuigkeit.
Dass jeder Mensch gute und bessere Tage hat, auch nicht.
Dass Eltern aber ab und zu echte Meisterleistungen in punkto Anpassungsfähigkeit erbringen dürfen, weil die immer voll im Moment lebenden Kinder ziemliche Achterbahnfahrten mit ihren Gefühlen erleben, will ich heut mal würdigen. 
Mein Leben also zwischen Kaktusphasen und Kuschelepisoden.

Ich merk es ja selbst. Jeder Tag ist anders und ich fühle mich nicht immer gleich.
Das mag damit zu tun haben, wie gut man geschlafen hat, welche Gedanken einen gerade beschäftigen, ob der Tag sehr dicht verplant ist oder eher viel Freiraum bietet, wieviel Bewegung und frische Luft man so zur Zeit bekommt, ob (schwelende) Konflikte in der Luft liegen oder sich kürzlich in einem Gewitter entladen haben, ab und zu ist auch das Wetter mit Schuld und ganz sicher auch die Hormone.

Nun ist es ja oft schon schwer genug, sich selbst auszuhalten mit den eigenen Launen und Befindlichkeiten. Als Eltern leisten wir dazu noch extra viel, wenn wir auch noch ein oder mehrere Gegenüber (in Form von Kindern) dabei begleiten und sie aushalten.
Was man zwischen Kaktus (“Schau mich nicht an! Rühr mich nicht an! Red mich nicht an!”) und Kuschelbär (“Du bist die beste Mama der Welt! Ich hab dich lieb! Wieso bist du so gut zu uns?”) gut gebrauchen kann, hab ich versucht hier zusammen zu tragen.

Annehmen. (“Es ist, wie es ist.”)

Ich hab mal gelesen: wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer. Das kann man als Eltern insofern nutzen, als dass man nicht versucht, dauernd etwas anderes zu wollen, als man gerade hat. Wenn ein Kind zum Beispiel tobt und weint, hilft es meist wenig, sich in dieser Situation auch noch lautstark darüber zu beschweren und zu lamentieren, wie furchtbar das gerade ist. Klar, wünschen wir uns einen harmonischen Alltag und einen entspannten Umgang, doch die Realität ist eben, dass wir – und unsere Kinder – auch mit viel Frust umgehen dürfen. Und der lässt sich eben nicht einfach wegblasen wie die Samen einer Pusteblume. Da gibt’s eben heftige Gefühle und ungehemmten Ausdruck, die als Ventil dienen, um sich von innerem Druck befreien zu können. So lange keine anderen Lebewesen und Gegenstände dabei zu Schaden kommen, darf das sein. Ansonsten braucht es dienlichere Strategien, mit dem Frust umzugehen.

Jemandem zu sagen: “… geh, sei doch nicht so wütend!” ist meiner Erfahrung nach wenig Hilfe. 

Wahrnehmen. (“Aha. So ist das also.”)

Wahrnehmung ist immer “wahr”, sonst würde es ja “Falschnehmung” heißen. Was einfach klingt, ist oft ganz schön schwer zu verstehen. Wenn wir nicht verstehen, warum das Kind jetzt Angst hat, auf das Baumhaus zu klettern oder wir nicht nachvollziehen können, woher ein Tobsuchtsanfall kommt. Beim Wahrnehmen kann man sich darin üben, ohne Wertung zu beschreiben. Weil Wahrnehmen noch nicht “verstehen” ist. Also kann ich sagen: “Wow, du hast ein hochrotes Gesicht und die Tränen rinnen über die Wangen, du schreist, so laut du kannst – du musst ganz schön ärgerlich sein.”

Das beinhaltet nicht, dass ich das verstehen muss. Doch was wir dabei tun, ist: das Kind sehen. In dem Zustand, in dem es jetzt eben ist. Das geht natürlich auch im Positiven: “Ich sehe deine leuchtenden Augen und dass du ganz sacht auf meinen Schoß krabbelst und dich anschmiegst – willst du kuscheln?” 

Wir können uns bemühen, in diesen emotionalen Phasen zwischen Kaktus und Kuschelbär mit zu fließen, auch wenn wir sie nicht verstehen. Und versuchen, zu geben, was das Kind in dem Moment braucht.

Gelassen bleiben. (“Ich bin gut genug.”)

Das hört sich hier einfacher an (und ist auch einfacher geschrieben) als es getan ist. Besonders, wenn wir wieder bedenken, dass auch wir Erwachsene Menschen mit Gefühlen und unterschiedlichen Bedürfnis- und Gefühlslagen sind. Das eigene “raus” zu halten, geht einfach oft nicht und beeinflusst unser elterliches Tun maßgeblich. 

Wenn es uns also gelingt, gut und angemessen auf diverse emotionale Höhenflüge oder Tiefschläge der Kinder zu reagieren, dann ist das wunderbar. Wir können auch einfach danach fragen: “Was kann ich für dich tun?” “Was brauchst du, damit es dir wieder besser geht?”

Wenn aber mal Geduld und Nerven zu Ende gehen und der Tag schon lang ist, dann ist es wichtig, die eigenen Ansprüche runter zu schrauben und gelassen zu bleiben

  • Oft ist weniger mehr. 
  • Einfach in den Arm nehmen oder dem Kind den Rückzug gönnen.
  • Zuhören, ohne gleich was drauf sagen. 
  • Hinschauen, ohne gleich eine Wertung aufzutischen. 
  • Atmen und loslassen.

Eltern können (und sollen) bitte nicht alles richtig machen. Es ist erstens immer im Auge des Betrachters, zu beurteilen, was nun richtig ist und was nicht. Zweitens erlauben uns Fehler, zu wachsen, zu lernen und uns zu entwickeln und drittens wären wir vollkommen ätzend für unsere Kinder, aalglatt und perfekte Ausstellungsstücke. Unerreichbar. Und so will ich jedenfalls als Mutter nicht sein.

Bleiben wir menschlich und freundlich mit uns selbst und mit unserem Umfeld. Und wenn es mal nicht mehr weiter geht: jemand anderen übernehmen lassen oder sich zurück ziehen. Auf die eigenen Kräfte schauen und alle möglichen Ressourcen aktivieren, die zur Verfügung stehen und auftanken. Die Höhen und Tiefen der Kinder und alles zwischendrin zu begleiten als Eltern ist eine fordernde Aufgabe, die meine kühnsten Vorstellungen manchmal sprengt.

Und dann denk ich mir wieder: DAS hier ist das VOLLE Leben. 
Ungeschminkt, ungefiltert, unzensiert.
Es darf so sein. 

Ist mir allemal lieber als überkontrolliertes, gezähmtes, zurechtgestutztes Verhalten. 
Es braucht Mut, Vertrauen und Zuversicht – und dafür bekommen wir intensive Erlebnisse und Erinnerungen und
… echte Beziehung.

Was findest du herausfordernd beim Eltern-sein?
Hast du auch schon Kaktusphasen erlebt? Wie gehst du damit um? Lass uns voneinander lernen! ….


Kommentar schreibenKommentare: 4

  • #1Gerlinde (Freitag, 05 Juni 2020 14:54)Hallo!
    Danke für den Super Blog! Also ich durchlebe auch immer wieder mal Kaktusphasen mit meinen Kindern und bin da gerade mitten drin am üben, weil ich den Online Kurs von dir Kerstin gemacht habe- was mir wirklich ein sehr tolles “Rüstzeug” geworden ist.
    Einfach die Kinder mit ihren Bedürfnissen zu sehen und sich nicht immer gleich als “Richterin” ein zu schalten.
    Ich freue mich, dass ich durch deine Beiträge und deinem Online Kurs so viel lernen darf .
  • #2Sabine (Dienstag, 09 Juni 2020 14:29)Das hast du sehr gut formuliert: Du kannst nicht mit der Realität streiten – denn das ist dann eigentlich die doppelte Auflage. Ein wahrer Zugang liebe Kerstin – ich danke dir für deine wohl
    formulierten Beiträge!
  • #3Verena (Donnerstag, 11 Juni 2020 21:33)Liebe Kerstin!
    …wie immer: scharfsinnig beobachtet, treffend formuliert, mitten ins Herz!!
  • #4Kerstin (Freitag, 12 Juni 2020 08:28)Danke für die bestärkenden Rückmeldungen. Es freut mich, auch hier zu lesen, dass ich euch mit meinen Worten erreiche – das ist mein Ansporn für diesen Blog. Fühlt euch umarmt!
Kerstin Bamminger

Hallo, ich bin Kerstin Bamminger und ich unterstütze Menschen dabei, lebendige Beziehungen zu gestalten. Tiefgründig, bedeutungsvoll und auf Augenhöhe. Hol dir hier am Blog gern Tipps und Tricks, wie das gelingen kann und lass mir gern einen Kommentar da, wenn dir etwas gefallen hat! Viel Freude beim Lesen!

5. Juni 2020

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