In einer Zeit, wo wir täglich mit Angstbildern und vermeintlichen Horrorszenarien konfrontiert werden – zumindest wenn man ab und zu im Radio, Zeitung, TV oder auf Social Media auf Empfang gestellt hat – braucht es probate Mittel um die Selbstwirksamkeit und das Vertrauen in die Zukunft zu behalten. Ich hab mich ein bisschen auf die Suche gemacht, wo ICH diese Dinge finde.
Wenn die Zuversicht mit Füßen getreten wird, wenn wir mit Einschränkungen und Verboten im Außen belegt werden, unser Verstand mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zahlen beschäftigt wird und Bilder der Angst wieder und wieder in uns heraufbeschwört werden, dann tut es gut, sich bewusst zu machen, dass wir eigenständig denkende, fühlende und handelnde Lebewesen sind. Ja, in einer Gemeinschaft, in der wir uns auch zugehörig fühlen wollen, doch mit der nötigen Autonomie und einer guten Portion Vertrauen, Bitteschön.
Denn wir können mehr, als nur zu funktionieren. Wir können mehr als nur gehorchen. Wir können mehr als nur überleben. Wir sind Menschen und als solches fähig, unser Leben zu gestalten, uns selbst zu reflektieren und unsere Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken. Zumindest wenn wir das ausreichend üben – und die aktuelle Situation lädt wohl weltweit dazu ein, mehr denn je lebensbejahend zu denken, zu fühlen und zu handeln.
Doch das braucht Vertrauen statt Misstrauen, das braucht Zuversicht statt Verzweiflung und vor allem Verbindung statt Trennung.
Gerald Hüther beschreibt drei Ressourcen, die uns als Menschen zur Verfügung stehen, wenn es um Vertrauen geht und darum, sicher zu sein, dass alles gut wird. Auf diese drei Ressourcen möchte ich heute und hier eingehen.
EIGENE KOMPETENZEN
In den letzen Monaten haben wir viele Situationen fast ohnmächtig erlebt und Dinge des alltäglichen Lebens wurden von Außen bestimmt und verordnet, wir funktionierten teilweise wie Schafe, die alles machten, was ihnen erlaubt wurde und alles andere tunlichst vermieden. Am Anfang jedenfalls. Das Gefühl, fremdbestimmt zu sein macht etwas mit unserer Handlungsfähigkeit. Wir denken, wir können nichts tun, wir sind ausgeliefert, können uns nicht wehren. Das stimmt nur teilweise.
Was ich tun kann, ist, mich nicht länger täuschen zu lassen, mir unterschiedliche Meinungen anhören und dann meine eigene bilden. Ich kann Verantwortung übernehmen für mein Tun und Ruhe bewahren. Ich kann auf meine Kompetenz zur Selbsthilfe setzen und zur Selbstregulation – indem ich gut für mich sorge und auftretenden Stress (sei es auch ein anderer als zu Beginn des Jahres) abbaue, weil ich gelernt habe, was für mich funktioniert. Egal ob das Yoga, Kampfsport, Berggehen, Meditation, ein langes Telefonat mit der Freundin, Malen, spazieren gehen oder sonst was ist: ich übernehme die Kontrolle für mein Wohlbefinden, soweit mir das möglich ist. Dass wir dafür oft auch andere Menschen brauchen ist nicht überraschend, denn das ist Ressource Nummer zwei:
PSYCHOSOZIALE UNTERSTÜTZUNG
Das heißt soviel wie: was wir alleine nicht schaffen, das schaffen wir dann zusammen. Auch diese Quelle des Vertrauens wurde schwer blockiert in letzter Zeit angesichts der permanenten Aufforderung zur sozialen Distanz – auch wenn “nur” die körperliche gemeint war.
Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen unser Umfeld, andere Familien, andere Mütter & Väter, andere Frauen & Männer, damit wir besser durch schwierige Zeiten kommen!
Also werde ich nicht noch einmal so lange auf diese Ressource verzichten, sondern mich und unsere Kinder frühzeitig mit ausreichend echten Sozialkontakten versorgen. Weil ich weiß, dass viele Andere auch zuversichtlich sind und mittlerweile begriffen haben, dass die Gefahr eines neuen Virus wohl ziemlich falsch eingeschätzt wurde. Jedenfalls hab ich vor, nicht wieder in Schockstarre zu verfallen, wenn uns Zahlen präsentiert werden, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen Angst und Schrecken verbreiten sollen.
Ich werde mich verbünden mit allen Menschen hier und da, die ihr Leben auf der Grundlage von Zuversicht, Vertrauen und Mut leben und wissen, dass das Leben tendenziell Gefahren bietet – die wir allerdings nur bewältigen können, wenn wir bei vollen Kräften sind (körperlich und mental statt eingeschüchtert, zurückgezogen und verängstigt).
Ich werde nicht müde, mich im Umfeld umzuhören, wie andere Menschen die Situation erleben und will jede Einschätzung respektvoll aufnehmen. Denn angsterfüllte Menschen haben es derzeit schwerer, sich im Leben zurecht zu finden und sind vielleicht aufgrund ihrer Geschichte oder persönlichen Erfahrungen nicht so positiv aufgestellt wie ich oder viele andere, die ich in meinem Umfeld – oder meiner Filterblase – habe. Es gilt trotzdem, zusammen zu stehen und nicht ihre Ängste zu diffamieren, sondern sie mit zu nehmen, abzuholen und ihren Blick weg von der Angst auf die Zuversicht zu richten.
Damit wären wir schon bei der dritten Ressource.
ZUVERSICHT
Wenn ich mich derzeit umhöre unter meinen Mitmenschen, nicht den Nachrichtensprechern oder Epidemiologen oder Ministern, dann kann ich zuversichtlich sein. Weil wir bereits erfahren haben, dass wir ganz schön viel ertragen und gemeinsam aushalten können. Weil wir bereit sind, fast alles zu geben, wenn es hart auf hart kommt und dann nicht mit der Wimper zucken. Und weil wir anpassungsfähig und lernfähig sind und uns das Leben zumuten – mit allen potenziellen Gefahren und dem Bewusstsein, dass diese Teil der Realität sind.
So haben sehr viele Menschen in meinem Umfeld jetzt schon erlebt, dass ein positiver Test kein Todesurteil ist, oft noch nicht mal eine Erkrankung. Dass wir nicht ewig mit mit manchmal bewusst eingesetzten, diffusen Zahlen getäuscht werden können und dass sich der Widerstand langsam, aber sicher formiert. Unternehmer verbünden sich und kämpfen gemeinsam für ihre Rechte, Feste und Feierlichkeiten von Jugendlichen (oder Erwachsenen) werden aus dem öffentlichen Raum in den privaten Raum verlagert ( … hat echt jemand geglaubt, die Party lässt sich komplett abwürgen??) und die Kreativität und Fantasie von Menschen wird von Einschränkungen gerade beflügelt. So werden Hochzeiten in den eigenen Garten verlegt oder Geburtstagsfeste geschickt an Zehnertischen organisiert. Was für mich soviel heißt wie: das Leben sucht sich seinen Weg und lässt sich nicht von übertriebenen Maßnahmen aufhalten. Zumindest nicht, wenn keine ernsthafte Gefahr in Sicht ist und was das betrifft, hat unser Reptilienhirn noch nicht ganz versagt. Es besteht keine lebensbedrohliche Gefahr, also ist auch keine Flucht angesagt und auch kein Sich-tot-stellen.
Wir wollen LEBEN und nicht nur ÜBERLEBEN. Und viele Viren und Bakterien haben da schon immer dazu gehört und werden auch in Zukunft dazu gehören. Gesundheit und damit LEBEN kann entstehen oder erhalten bleiben, wenn wir unser Immunsystem stark machen, Freude empfinden, uns lustvoll betätigen, in die Natur gehen, uns bewegen, wenn wir Menschen treffen und umarmen, wenn wir uns gut ernähren, miteinander lachen (auch wenn wir uns dabei vielleicht ein wenig anspucken) und die Angstmechanismen für die wirklich bedrohlichen Momente aufheben.
Also, lasst uns fantasievoll sein und bleiben, unsere Rechte und unsere Freiheit schützen und vor allem: lasst uns zusammenstehen. Im echten und übertragenen Sinn. Dann schaffen wir es. Gemeinsam. Das Leben, nicht nur das Überleben.
In Familien geht’s rund. Ein Kind will die Hausübung nicht machen. Eins streitet mit dem Nachbarmädchen. Die Wäsche soll aufgehängt werden und Brot ist auch keins mehr da. Im Job muss noch ein wichtiges Projekt abgeschlossen werden und wer soll nochmal die Mädchen vom Tanztraining holen? Bedürfnisse, … und wie wir mit ihnen umgehen.
DIE ZERREISSPROBE
Jeder will was Anderes und zwar sofort und voll und ganz. Ich will aufbrechen und das Kind jetzt die Legoburg fertig bauen, ich fordere, dass sich der Sohn an der Hausarbeit beteiligt und er will lieber zocken, ich freu mich, meine Freundin endlich wieder mal zu treffen aber die Kinder brauchen Unterstützung beim Vokabel lernen, ich will dass die Hausübung rasch erledigt wird, doch das Kind will lieber Nachbarhühner beobachten, ich will einen ruhigen Abend haben und die Töchter üben zu ohrenbetäubender Musik die neue Tanzchoreo. Und doch wollen wir alle dasselbe. Das Problem ist nur – wir wollen dieselben Dinge zu unterschiedlichen Zeiten.
UNIVERSELLE BEDÜRFNISSE
Wer braucht nicht ab und zu Ruhe, dann aber gern wieder Aktivität? Wer will nicht dazugehörig sein und dann wieder Autonomie leben können? Wer braucht nicht ab und zu Klarheit neben aller Kreativität? Wir brauchen das Recht zu Trauern genau so wie das Recht zu Feiern und wir alle brauchen Leichtigkeit, Liebe und Humor, um gut leben zu können.
Man spricht dabei von universellen Bedürfnissen – von Bedürfnissen, die eben jeder Mensch hat, wo niemand sagen kann: nein, ich brauch keinen Respekt oder Unabhängigkeit? Harmonie, Gleichwertigkeit, Spiel, Kreativität, Sicherheit – nicht notwendig, danke!? Nicht jeder hat jedes Bedürfnis im gleichen Ausmaß, doch was wir brauchen, um gut leben oder überleben zu können, besonders in Familien, wo Bedürfnisse oft Karussell fahren, ist oft schwerer entdeckt als man meint.
ÜBER LEBEN
Von Maslow über Rosenberg bis hin zu Hüther haben sich schon eine Menge schlaue Leute den Kopf über Bedürfnisse zerbrochen und immer wieder versucht, sie sinnvoll einzuteilen. Denn ja, es gibt existenzielle Grundbedürfnisse, welche, die für Verbindung und Sicherheit zuständig sind und darüber hinaus “Entwicklungsbedürfnisse” wie etwa Wachstum, Identität, Engagement, Einklang, Individualität oder Sinn. Grundlegende Bedürfnisse sind immer – wie das Wort schon sagt – wichtig, um überhaupt aus dem Überlebens-Modus raus zu kommen und sich für eine gute Verbindung zu Mitmenschen zu interessieren und vielleicht darüber hinaus persönliche Entwicklung anstreben oder sich überhaupt wünschen zu können.
IN FAMILIEN
Und manchmal funktionieren Familien eher im Überlebens- Modus als in ästhetischer Harmonie, innerer Freude und Ausgewogenheit.
Da ist es eher ein: “…haben heut eigentlich alle schon gegessen” und “die müssen jetzt ins Bett, sonst sind sie morgen hundemüde”, als ein: “…lass uns schauen, wie das Stück am Cello noch schöner interpretiert werden kann” oder “warten wir doch einfach, bis uns die Muse küsst”.
“Sie hat meine Jacke genommen – ich erfriere ja am Weg zur Schule!”
“Wer hat mein Jogurt gegessen, da stand doch extra mein Name drauf!”
“Das Wasser ist kalt, haben wieder alle so lang geduscht, dass ich jetzt keins mehr übrig hab!?”
“Wann bekomm ich endlich mein eigenes Zimmer – ich halt’s hier nicht mehr aus mit der da!”
“Ich hab hier keinen Platz, räum doch bitte mal deine verflixten Spielsachen weg!”
Schon eher, nicht wahr?!
WENN ES RUND GEHT
Ich stelle mir das so vor. Die Bedürfnisse sitzen im Karussell und fangen an sich zu drehen, die Geschwindigkeit nimmt zu und was sich zuerst noch ein wenig nach Spaß und Abwechslung anfühlt wird ganz rasch zum Kotzfaktor (entschuldige den Ausdruck), denn es wird einem übel, man spürt sich selbst schlechter und kann das gegenüber schon gar nicht mehr wahrnehmen, weil sich alles so schnell dreht, geschweige denn dessen Bedürfnisse. Die Zentrifugalkraft drängt uns auseinander und wir werden nur mühsam von einem (hoffentlich guten) Geländer zusammengehalten, damit es uns nicht durch Himmel und Mond wirft.
Es drückt im Rücken und es gilt, Runde um Runde – also Tag um Tag – zu überstehen.
WORTE FINDEN
Die große Herausforderung für Eltern ist immer wieder, nicht nur die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und nach geeigneten Strategien zu suchen, um die unerfüllten Bedürfnisse zu decken, sondern die der Kinder noch mit dazu.
Und das fängt speziell dann an, schwierig zu werden, wenn die Erwachsenen in der Familie selbst ihre Tanks nicht gut genug auffüllen konnten und vielleicht unausgeschlafen, überlastet, unsicher oder hungrig und mit dem Bedürfnis nach viel Ruhe und Harmonie auf die Kinder losgelassen werden.
Denn Kinder haben selbst – je jünger sie sind, um so mehr – nicht die Möglichkeiten oder die Kompetenz, ihre Bedürfnisse auszudrücken und nach geeigneten Lösungsansätzen zu suchen. Sie schreien, werden wütend, ziehen sich zurück, blocken ab, werden aggressiv, ungeduldig oder übergriffig und finden sich in einem Strudel von Negativität wieder, den sie nicht recht zuordnen können. Dazu brauchen sie uns als Erwachsene. Mit unserem Wortschatz, unserem Know-how, unserer Lebenserfahrung und alle Empathie, die wir aufbringen können. Weil sie zwar von “negativen” Gefühlen überrollt werden (sie sind die Warnsignale für einen leer gewordenen Tank!), ihnen aber die Worte dafür fehlen.
DAS TEMPO DROSSELN
Statt “… bitte, jetzt stell dich doch nicht so an!” könnte man auch sagen…
“Ich sehe, du möchtest jetzt viel lieber weiter Kappla bauen als zum Kindergarten gehen!”
“Ich sehe, du schläfst fast bei der Hausübung ein, brauchst du eine Pause und frische Luft?”
“Du bist ja furchtbar wütend, wo willst du denn das jetzt rauslassen? Hau’ mal den Boxsack!”
“Deinen Frust spür ich richtig – was könntest du tun, damit es dir besser geht?”
“Du drehst dich weg und sprichst nicht mit mir – willst du jetzt allein sein oder soll ich still da bleiben?”
Wenn du versuchst, die emotionale IST-Situation des Kindes zu erfassen und in Worte zu kleiden, drosselst du sprichwörtlich das Tempo am Karussell, es beginnt langsamer zu werden und das Kind kann eventuell klarer sehen und sich spüren – und du dich ebenfalls. Das ist der wichtigste Schritt beim Umgang mit Bedürfnissen: richtig erkennen und benennen.
ICH! WILL! ABER! JETZT!
Und wenn’s dann nicht möglich ist, das Bedürfnis zu erfüllen? Es soll ja vorkommen, dass wir trotzdem JETZT zur Oma fahren wollen, dass JETZT kein Jogurt mehr da ist und dass JETZT die eine, geliebte Jacke nicht verfügbar ist, dass JETZT trotzdem Kooperationsbereitschaft verlangt ist und ein offenes Bedürfnis warten muss auf die Erfüllung.
So ist das Leben. Es gibt keine Regel, wann ein Bedürfnis unbedingt erfüllt werden muss und wann es Aufschub erträgt.
Fix ist allerdings: je jünger das Kind (denk schnell an Neugeborene!) desto dringender und existenzbedrohender ist JEDES auftretende Bedürfnis und es ist unsere Aufgabe als Eltern, diese zu decken. Je älter Kinder werden, desto eher können sie auch mal mit Bedürfnisaufschub leben und ein Vertrösten ertragen. Und ein Satz stimmt für mich auch vollkommen: unerfüllte Bedürfnisse kehren wieder – erfüllte Bedürfnisse können gehen. (Mal abgesehen von den körperlichen und existenziellen Bedürfnissen.)
Daher zahlt es sich aus, nach alternativen Lösungen zu suchen. Die für die meisten Beteiligten gut gehen, dann nicht immer werden ALLE alle Bedürfnisse erfüllt bekommen. Aber wer mich kennt, der kennt auch diesen Satz: den MEISTEN soll es meistens gut gehen. Das wäre so ein grober Plan.
THANK GOD THERE’S a GLANDA
Ich bin selbst diese Woche schon zwei mal (in echt!!) Karussell gefahren. Und die Bedürfnisse dieser Woche quasi dauernd in Höchstgeschwindigkeit fast bis zum Punkt des Erbrechens (… ein Kind hat sich tatsächlich einmal des nächtens übergeben – was für ein Zeichen). Es kann schnell kippen von – ui, lustig, so viel Lebendigkeit und Spaß – hin zu “das wird jetzt zu viel und zu schnell und überhaupt”.
Da bin ich wieder dankbar für das Geländer: eine sichere Umgebung, Menschen, die dich auffangen und aushalten und die Möglichkeit selbst zu reflektieren. Darüber, was wir sind und was wir sein könnten.
Nämlich Wesen mit gleichen Bedürfnissen, gemeinsam unterwegs und miteinander verbunden und ausgestattet mit der Fähigkeit auf uns selbst und andere zu schauen, aneinander zu wachsen und voneinander zu lernen.
Wie schnell dreht sich dein Karussell gerade? Stufe 0 ist Stillstand, Stufe 10 ist Höchsttempo: sag an, ich bin neugierig auf deine Antwort …
Es gibt ein Land, das existiert nur in unseren Köpfen und wir alle sind wohl schon mal dort gewesen. Weil wir Menschen nach verschiedenen Kriterien, ihrer Gesinnung, dem Aussehen, ihrer Religion, einer Haltung, ihrem Geschlecht, sexueller Neigung, dem Alter, … – bewertet haben und dann in eine Schublade gesteckt haben. Das ist Schubladistan. Ich versuche hier zu erklären, warum es für dieses Land eine Reisewarnung geben sollte.
SEHNSUCHT NACH ORDNUNG
Menschen wollen vielmals Ordnung schaffen, um Sicherheit zu gewinnen, um Orientierung zu bekommen und Einfachheit in ihre – unsere – hochkomplexe Welt zu bringen, die – JA, ehrlich gesagt – immer schwerer zu verstehen oder gar durchschauen ist. Deswegen versucht man daheim aufzuräumen, jedem Ding seinen Ort zu verpassen und in Kästen oder Schubladen zu verstauen, was so im Alltag Teil unseres Lebens ist.
Was mit Gegenständen noch relativ unverfänglich ist und manchmal sinnvoll und schön (aufräumen, bzw. in ein schön aufgeräumtes Zimmer gehen), machen wir aber auch mit anderen Dingen im Leben. Nein, eben nicht mit Dingen, sondern mit Menschen. Wir haben innere Bilder und Zuschreibungen für bestimmte Personen(gruppen) usw. und stecken sie in die jeweilige Schublade, natürlich vergessen wir nicht drauf, auch noch unsere Bewertung dazu zu packen.
Daumen hoch. Oder Daumen runter. So einfach geht das.
Dass es allerdings längst nicht so einfach ist, zeigt eine jüngst entbrannte Debatte in der bedürfnisorientierten (BO) Elternszene, die mit rechts-außen Gedanken in Verbindung gebracht wurde. Was Schlimmeres kann man manchen BO Eltern gar nicht nachsagen. Daher hab ich mir für diesen Blog ein paar Schubladen ausgesucht, die man in Schubladistan wohl aktuell findet und wo wir alle zusammen mal “raus denken” sollten. #thinkingoutsidethebox
Schublade: HAUSFRAUEN od. HAUSMANN
Hausfrauen sind einfältige und unterdrückte weibliche Wesen, die von dominanten Partnern vom Arbeiten abgehalten werden und zu faul sind, ihre Karriere aufzumöbeln. Hausmänner sowieso.
Schon mal überlegt, dass es Frauen geben mag, die die Kümmerarbeit (Care) in der Familie gern erledigen und davon auch total erfüllt und zufrieden sind, dass diese trotzdem weltoffen und gebildet sein können und eine ebenbürtige, gleichwürdige Partnerschaft leben? Dass die sich sehr wohl für den eigenen Beruf und Selbstverwirklichung interessieren, aber vielleicht nicht in dem Ausmaß und lieber mehr Zeit und Energie für die Familie aufwenden als für den Spagat in der Doppelbelastung.
Schublade: FEMINIST(IN)
Feministinnen sind männerfeindliche Furien, die sich nicht für Kinder und Familie interessieren und aus ihrer Opferrolle als Frau nicht heraus kommen, eigentlich nur mal einen richtigen Mann “brauchen” und das macht sie frustriert und verbittert und somit frei von Humor und Leichtigkeit.
Schon mal überlegt, dass es bei Feminismus erstens um Gleichberechtigung geht und man auch als Mutter und Hausfrau feministisch sein und denken kann? Feministinnen brauchen nicht zwangsläufig eine steile Karriere, einen Ehemann “unterm Schlapfn” (wie man gut oberösterreichisch sagt) oder ein humorloses Leben, es gibt auch entspannte, lustige überzeugte Feministinnen (und Feministen: das wär nochmal eine eigene Schublade: Frauenversteher, Einschleimer, Weichei und so. NOT!!)
Schublade: VERSCHWÖRUNGSANHÄNGER
Verschwörungstheoretiker sind extrem und durch ihre mangelhafte Information und den Hang zum Unwissenschaftlichen leicht zu blenden, sie fühlen sich stets als Opfer und von aller Welt belogen und betrogen. Und Nazis sind sie auch allesamt, siehe Berlin.
Schon mal überlegt, dass es Menschen geben mag, die allgemein gültige Mainstream Meinungen hinterfragen und sich für Hintergründe und Unausgesprochenes interessieren. Die vielleicht zurecht kritisch nachhaken und einfach nur der Wahrheit ein Stückchen näher kommen wollen und nicht gleich alles fressen, was Medien ihnen servieren? Nur, weil man mit aktuell öffentlicher Meinung oder Meinungsmache nicht konform geht, heißt das nicht, dass man ein tölpelhafter Ignorant ist und Wissenschaft grundsätzlich ablehnt.
Schublade: BINDUNGSORIENTIERTE ELTERN
Bindungsorientierte Eltern sind überbehütende, verweichlichte Mütter und Väter, die ihre Kinder nicht loslassen wollen und sie verziehen indem sie ihnen jederzeit jeden Wunsch von den Augen ablesen und ihnen nie zeigen, wie hart die Welt da draußen ist.
Schon mal überlegt, dass auch bindungsorientierte Eltern ihre Kinder früh in Fremdbetreuung geben können, sich gerne selbst verwirklichen und Kinder gerade durch die bedürfnisorientierte Begleitung auf die “harte Welt” vorbereiten? Dass bindungsorientierte Eltern sowohl Impfbefürworter sein können als auch rechtsextrem oder linksextrem politisch gesinnt? Es gibt bindungsorientierte Karrierefrauen und bindungsorientierte Helikoptermütter und alles dazwischen, weil Bindungsorientierung eben nur eine Facette ihres Menschseins ist.
Schublade: IMPFKRITIKER
Impfkritiker sind ignorant und esoterisch angehaucht, sie verleugnen die Wissenschaft und gefährden wissentlich und absichtlich andere Bevölkerungsteile, außerdem sind sie unbelehrbar und können nicht sachlich diskutieren.
Schon mal überlegt, dass Impfkritiker sich sehr wohl wissenschaftlich mit dem Thema befasst haben, nur andere Studien kennen (nach dem Motto: trau keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast), dass sie andere keineswegs gefährden wollen aber die eigene Gesundheit wichtiger empfinden und jedem seine freie Meinung dazu lassen können, was ein pro oder kontra Impfung betrifft? Es gibt Impfkritiker, die mehr zu dem Thema wissen als durchschnittliche Hausärzte und es gibt Impfbefürworter, die noch nie einen Beipackzettel einer solchen gelesen haben. Und wie so viele Themen ist auch dieses herrlich emotional aufgeladen und darf gerne sachlich UND emotional debattiert werden.
Schublade: CORONALEUGNER
Coronaleugner sind Dummköpfe, die keine Gefahr erkennen und sich wegen der unsicheren Zeit einfach wehren gegen diese neuartige Bedrohung, sie können nicht mal ein bisschen auf ihre persönliche Freiheit zugunsten der Allgemeinheit verzichten und rebellieren wegen Nichtigkeiten wie Maskenverordnungen.
Schon mal überlegt, dass man sehr wohl in Frage stellen kann, wie sinnvoll etwaige verordnete Maßnahmen sind und die Gefährlichkeit des Virus versucht zu erfassen, sich mit Zahlen beschäftigt und nicht mit Esoterik und am Ende weder Leugner noch Regierungsfan sein könnte?
Es gibt tausende solcher Boxen in Schubladistan und wir versuchen dauernd, Menschen darin einzuteilen.
Raus aus der einen Box, rein in die andere. Was in anderen Schubladen – vielleicht sogar gegensätzlichen – passiert, ist grundsätzlich verkehrt und falsch. Ich hab hier nur ganz wenige beschrieben, doch für alle möglichen gilt:
ACHTUNG, REISEWARNUNG!!!
Ich spreche hiermit eine Reisewarnung aus. (Note to self:) Begib dich nicht so oft nach Schubladistan, sondern versuche, dir eine innere Ampel (oh, sorry für den Querverweis: Bei Ampelphobie geht auch ein Glöckchen ;-)) zu installieren, die dich blinkend warnt, wenn du das Land von Festschreibungen, Beurteilungen, Kategorisierungen und Bewertungen in Gedanken betrittst.
WARUM?
Weil es dich und uns alle in unseren Möglichkeiten aufeinander zu zu gehen schmälert. Weil wir Toleranz und Akzeptanz brauchen für ein menschliches Miteinander. Weil wir uns dort klein machen und abkapseln statt gemeinsam stark zu sein. Weil Unterschiedlichkeit und Diversität ein Gewinn ist für alle und kein Ausschlussgrund. Weil das “sich-aus-der-Box-denken” ein enormes Lern- und Entwicklungspotenzial bietet. Weil es Sicherheit dort nur vermeintlich gibt und du sie wenn dann mit deiner Freiheit bezahlst. Weil wir Brücken bauen sollten, als uns voneinander abzuschotten. Weil wir uns dafür interessieren sollten, wie andere Menschen denken und warum.
Auch wenn uns manchmal – oder immer öfter – das Verständnis für den jeweils anderen Zugang, eine Meinung, ein Lebenskonzept, eine Beziehungsphilosophie oder pädagogische Strategien fehlt, wir brauchen das MITEINANDER und FÜREINANDER. Strenge Schubladen verhindern das. Wir sind nicht alle gleich.
Nicht alle Mütter sind gleich. Nicht alle Feministinnen sind gleich. Nicht alle Vorgesetzten sind gleich. Nicht alle *you name it* sind gleich. Glücklicherweise. Es lebe die Vielfalt!
#1Lisa (Freitag, 25 September 2020 11:05)Genial geschrieben. Bitte mehr davon!
#2Monika Schubert (Sonntag, 27 September 2020 13:43)Schublade ALTERSSTARRSINNIGE Altersstarrsinnige sind festgefahren, untollerant, demenzanfällig…Schon mal überlegt,dass man nach längerer Lebenszeit auch Erfahrungen gesammelt hat, auf die man zurückgreifen kann. Sich nicht mehr von jedem Mainstream überrollen lässt und sich nicht mehr ständig optimieren will. Eigene Grenzen kennt und sie auch verteidigt. Trotzdem gefällt es mir, wenn ihr den Mut habt Grenzen aufzubrechen und neue Wege wagt. In diesem Sinn: “Nur weiter so!”
#3Kerstin Bamminger (Montag, 28 September 2020 09:19)Monika, vielen Dank! Das Alter hat definitiv Vorteile und ich find auch, dass oft jüngere Menschen starrsinniger und konservativer sein können als Ältere. Es ist Vieles keine Frage des Alters, sondern eine Frage der Haltung! 😉
#4Corinna (Montag, 28 September 2020)Genial geschrieben! Und vielleicht regt es den einen oder anderen an, auch mal die Scheuklappen und Masken abzunehmen und den Horizont zu erweitern 😉
Wir leben ja echt am Limit hier mit all den potenziell tödlichen Viren, der ständigen Gefahr eine Ampelschaltung zu übersehen (mit oder ohne Auto) und den unzähligen explosiven Bäumen in unseren Waldstädten. Ich frag mich ja neuerdings, wie die Menschheit es überhaupt bis hier hin geschafft hat, so gefährlich wie uns die moderne Welt aktuell erklärt wird. Ein paar Erklärungen hab ich vielleicht für dich. Wissenschaftlich nicht erwiesen, allerdings.
DUMMHEIT IST NICHT DIREKT TÖDLICH
Im Angesicht aller möglichen (und echten) Katastrophen, die die menschliche Spezies bisher erlebt hat und überlebt hat (zumindest ein Großteil davon), versuche ich mal einen Hoffnungsschimmer zu sehen in der derzeitigen Situation. Nicht weil wir bald die vermeintlich segensreiche Impfung unter die Haut gejagt bekommen können oder ein glorreiches Medikament entwickelt werden wird, oder irgendwann doch noch Ordnung oder Sinn (oder beides) hinter Ampelregelungen abseits der Straße entstehen wird.
Ich hab Hoffnung, weil ich weiß (und wir erleben es grad an vielen Ecken und Enden, ohne hier Namen nennen zu wollen), dass Dummheit nicht direkt tödlich ist. Sonst wären wir vermutlich schon längst ausgestorben. Selbst mit relativ wenig Verstand gelingt es, heutzutage zu überleben – manche schaffen es sogar in staatstragende Positionen, in Regierungsverantwortung und leitende Positionen. Und selbst mit solchen “Leuchten” an der Spitze gehen wir nicht gleich unter. Also, die Hoffnung lebt. Für mich aber vor allem deshalb, weil ich merke, dass in meinem Umfeld viele Menschen sehr ähnlich denken wie ich, dass für viele die Dinge momentan nicht ganz astrein laufen und die Bereitschaft zum Widerstand leisten nur eine weitere verrückt genuge Verordnung entfernt ist. Wer noch Haus- und Menschenverstand besitzt, wird sich mit denen zusammentun, die davon ebenfalls noch Reserven haben. Und dann geht ein Licht auf am Horizont.
WHAT DOESN’T KILL YOU …
Ich bin ein Kind der Achtziger Jahre. Wir haben nach Tschernobyl im Sand gespielt, hatten Spielzeug voller Weichmacher aus dem bösen, bösen China, wir haben das Essen mit dreckigsten Fingern in den Mund geschoben und aus Gläsern getrunken, wo die halbe Nachbarschaft auch schon dran war, haben das Gras aus dem eigenen Garten in Lianen geraucht (Filter? Was ist das bitte?) und was Desinfektionsmittel sein soll, war uns unbekannt. Ja, viele Dinge waren hygienisch weder einwandfrei noch nachahmenswert und auch mir graust manchmal bei der Erinnerung an das eine oder andere Erlebnis in meiner Kindheit.
Doch eins weiß ich bestimmt: wir waren robust und abgehärtet und niemand verfiel in Panik, wenn man sich in das Taschentuch der Schwester rein schnäuzte, oder uns die Großeltern mit ihren Stofftaschentüchern (mmmhhh, lecker) die Nase putzten. Uns wurde viel zugemutet, uns wurde viel zugetraut und das machte uns stark. So wie viele Kinder, die auch heute noch halbwegs natürlich aufwachsen dürfen und nicht in sterile Watte gepackt werden. Wir sind zäher als wir glauben und was uns jedenfalls krank macht und schwächt (… das hab ich auch schon öfter hier betont) ist Angst. Und die Angst, krank zu werden.
Im Übrigen verstehe ich auch die sogenannten Schutzmasken als eine Art Immuntraining, denn eine Hygienemaßnahme ist das schon lang nicht mehr. Ich empfehle dir, 15 Minuten auf einem Supermarkt Parkplatz die Menschen zu beobachten und zuzuschauen, von woher sie ihre Masken heraus wursteln und sich dann vor das Gesicht schnallen. Wenn du dann gesehen hast, dass die meisten sie erstens “falsch” aufsetzen, unters Kinn schieben, außen überall antatschen und die sowieso schon längst, wenn sie nicht aus einer sterilen Verpackung genommen werden, irgendwie kontaminiert sind (wenn schon nicht mit Corona, dann mit anderen Bakterien oder Viren, die jedenfalls auch im Gesicht und Hals nichts zu suchen haben) und daher keinen Schutz bieten, dann weißt du: sie sind eher ein Immuntraining, als eine Hygienemaßnahme. Ja, man kann niemandem damit beim Reden ins Gesicht spucken. Das ist aber schon der einzige Vorteil und sollte mal mit der Contra Seite verglichen werden, falls mich mal jemand fragt.
WENN’S HART AUF HART KOMMT, MENSCH BLEIBEN
Wir werden dennoch überleben, denn Seuchen hat es schon immer gegeben und wird es auch immer geben, mit oder ohne Gegenmittel in Form von Impfung, Medikament und CO. Oder TROTZ Impfung, Medikament und CO. Ich glaube, dass die Natur schlau genug ist, uns Menschen mit den Herausforderungen mitwachsen zu lassen und wie man schon sieht, mutieren nicht nur Viren sondern auch wir Menschen mit (weniger heftige Infektionen, unerklärliche Immunreaktionen, …). Und nicht nur körperlich glaube ich an das Leben, sondern auch psychologisch und sozial. Ich bin guter Hoffnung, dass wir uns nicht unendlich “in die Irre” führen lassen und an einem bestimmten Punkt (wann immer der kommen mag) nicht weiter wie Schafe durch den Tag treiben lassen werden. Wir werden uns verbünden und zusammenstehen und vernünftig und friedlich für einen sinnvollen, menschlichen und dennoch rücksichtsvollen Weg zu einer gemeinsamen Zukunft einsetzen. Wir werden unsere Kräfte, unsere Energie und unsere Möglichkeiten bündeln und für Menschlichkeit einsetzen, besonders, wenn es eng wird.
Das haben wir ja auch am Beginn des Lockdowns erlebt. Mehr aufeinander zugehen, mehr aufeinander schauen und mehr aufeinander aufpassen als es vorher gewohnt war. Wir können es und haben es oft nur verlernt oder verdrängt. Und es gab ja genug Maßnahmen und Empfehlungen, die uns voneinander distanziert haben, also darf’s uns nicht wundern.
Aber: Einer oder eine allein wird eine schwierige Situation nicht komplett ändern können. Wir brauchen uns gegenseitig und echte soziale Kontakte. Zusammen entstehen oft ungeahnte Lösungen, entwickeln wir die besten Ideen und können auf das Potenzial und die Vielfalt zugreifen, die eine einzelne Person einfach nicht in dem Ausmaß bieten kann. Also lasst uns zusammen stehen, uns absprechen und aufbegehren, sollte es nötig sein.
WO WIEN WEIT WEG WAR
Wir haben die letzten Tage des Sommers ja in den Osttiroler Bergen verbracht, umgeben von Natur, Wald und hunderttausende Jahre alten Gipfeln und Felsbrocken, die schon Zeit und Ewigkeit dort “erlebt” haben.
Die Berge haben auf mich folgende Wirkung: sie rücken meine Themen und Herausforderungen, die Probleme der Zeit und Menschheit ins rechte Licht. Die Gelassenheit, Sicherheit und Ruhe, die solch imposante Erhebungen ausstrahlen, wirken angenehm in Zeiten wie diesen. Ich höre sie förmlich kichern angesichts dessen, wovor wir uns gerade “fürchten” (sollen), denn sie haben schon alles gesehen. Eiszeiten, Dinosaurier, Kriege, Seuchen, Naturkatastrophen, Not und immer wieder den Menschen, der glaubt, die Natur (dazu gehören auch Viren) beherrschen zu können.
Wie klein und unbedeutend wir sind, kann ich dort gut spüren. Und dass (die Waldstadt) Wien mit allen Verordnungen dort ganz weit weg ist. Die weidenden Kühe lassen Ampeln jeglicher Art kalt. Einsame Berghütten bewirten wie früher in aller Ruhe, bodenständig, unaufgeregt und herzlich. Man muss ja nicht alles an sich heranlassen. Recht so. Denn die echte Gefahr für die Menschheit geht von wo anders aus: von uns selbst.
Wie wir glauben, uns auf diesem Planeten benehmen zu können.
Wie wir mit Mutter Natur umgehen.
Wie wir mit Ressourcen umgehen.
Wie wir miteinander umgehen.
Wenn es der Natur zuviel ist, wird sie sich von uns Menschen befreien. Und bis dieser Fall eintritt, werden wir leben.
Und es wär gut, wenn wir uns dabei nicht zu sehr aus der Ruhe bringen lassen.
#1Petra (Donnerstag, 17 September 2020 15:29)MEGA Artikel!!!! Du sprichst mir zu 100 % aus dem Herzen!!!
#2Kerstin L. (Donnerstag, 17 September 2020 19:08)Das hast du wieder toll geschrieben! Bin ganz bei dir! Liebe Grüße!
#3Bettina (Donnerstag, 17 September 2020 21:16)Eine tolle Meinung in einen genialen Text verpackt. Danke dafür. Ich sehe es genauso und ich hoffe viele andere auch ✨
#4Thomas (Freitag, 18 September 2020 06:11)Respekt, toller Inhalt, spannend und klug geschrieben. Gute Situationsdarstellung, Bravo, wir brauchen Menschen, die Ihre Meinung sagen!
#5Kerstin Bamminger (Donnerstag, 24 September 2020 08:24)Vielen Dank, ihr Lieben! Es freut mich, wenn ich hier für Gleichgesinnte schreibe ;-)!
#6Sigrid (Montag, 28 September 2020 16:51)Und wieder ein toller Artikel, der mich einerseits zum Lachen bringt und auch zum Nachdenken anregt!! LG Sigrid
Wir leben in einer zunehmend digitalisierten Welt, haben und verwenden Handy, Tablet, Computer und Ähnliches in unserem Alltag. Vieles wird uns im Leben dadurch erleichtert, Vieles aber auch erschwert.
5 Erkenntnisse, wie der unsichtbare Sog auf unser Verhalten wirkt, was das mit Familien macht und 5 Tipps für dein tägliches Leben, damit wir nicht alle zu völligen Bildschirmzombies verkommen – diesmal am Blog.
In meinem Neujahrsvorsatz (ja, den gibt’s noch!) sporne ich mich ja dazu an, jeden Monat etwas Neues zu tun. So hab ich mich im Juli auf ein englisches Sachbuch gestürzt, nämlich das von Adam Alter “IRRESISTIBLE”, auf deutsch also: UNWIDERSTEHLICH.
Die gute Nachricht: mein Endlich reicht (noch) aus, um ein Buch dieser Kategorie zu erfassen.
Die schlechte Nachricht: die Lage im Bereich neue Medien ist ernster als gedacht.
Es ging um unsere digitalen Begleiter und wie sie uns in Verhaltensabhängigkeiten laufen lassen, nicht nur unbewusst, sondern mit ganz viel Strategie und Know how.
UND FÜHRE UNS IN DER VERSUCHUNG
Ja, ich geb’s zu. Ich verbringe zu viel Zeit vor Bildschirmen. Ich beobachte mich, wie ich kaum am Handy vorbeigehe ohne “geschwind” drauf zu drücken. Ich ertappe mich, wie ich beim Scrollen auf diversen Plattformen die Zeit vergesse und oft sinnfreie Wartezeiten oder ähnliches mit Geräten überbrücke. Und es gefällt mir nicht. Doch der Sog ist enorm und ich brauche oft viel von meiner Willenskraft, mich bewusst zu widersetzen.
Dann schaue ich meine Kinder an, die ja zwischen 10 und 16 Jahren sind und … verstehe. Wenn es mir als reflektierter Erwachsenen schon schwer fällt, mich nicht – ODER besser in der Versuchung führen zu lassen, wie soll das schon einem Kind gelingen? Das diesbezüglich über keine Regulationsmechanismen verfügt und außerdem damit groß geworden sind – zumindest teilweise?!
DER SOG IM WANDEL DER ZEIT
Das erste mobile Gerät zog bei uns im Jahr 2010 ein, dann langsam das erste Smartphone, das zweite, ein Tablet und mittlerweile besitzen alle Kinder ebenfalls ein Endgerät. Ich hab also noch erlebt, wie es ist, “lediglich” gegen den Fernseher zu kämpfen – auch wenn damals die vielen Programme und Möglichkeiten schon wie eine Herausforderung schien. Geradezu lächerlich, wenn man sich ansieht, womit es Familien heute zu tun haben. Wie oft ich so in den letzten Jahren “Schalt bitte aus!” sage oder “Ich möchte, dass du dir jetzt was anderes suchst, ohne Bildschirm!” kann ich kaum zählen. Und ich merke: es frustriert mich oft sehr, dass dieses Thema so viel Konfliktpotenzial mit sich bringt. Meistens nämlich ;-), schaut “der Andere” viel mehr ins Gerät als man selbst – zumindest fällt es einem im Außen deutlicher auf.
5 PERSÖNLICHE ERKENNTNISSE AUS DEM BUCH
Ich kämpfe gegen eine Armee! Wenn ich versuche, mich oder meine Kinder bezüglich Bildschirmzeit zu regulieren, kämpfe ich nicht gegen ein kleines (oder größeres) viereckiges, scheinbar lebloses Kastl, sondern gegen eine Armee an Hightech Entwicklern, Spieldesigner und digitale Pros. Heere an Programmieren arbeiten daran, mir ein Spiel, eine App, eine Nutzung so schmackhaft wie möglich zu machen. Sie wissen alles über Farben, Formen und was uns “anspringen” lässt, womit wir gern interagieren und wie wir uns die Zeit vertreiben. Also bin ich allein gegen sehr, sehr Viele, was meine Bereitschaft zum Widerstand betrifft. Das war eine erleichternde und gleichzeitig ernüchternde Erkenntnis.
Es ist jetzt leichter, nein zu sagen als später einen Entzug zu machen Das “nein” oder “weniger” gegenüber den Kindern fällt oft so schwer, weil es so mühsam ist und gefühlt viel zu oft ausgesprochen werden muss. Obwohl ich es meine. Obwohl es mir wichtig ist. Obwohl ich mich hineinfühlen kann. Dass ein möglicher späterer Entzug (und ja, es gibt Kliniken, wo Menschen von Internetsucht und anderen Verhaltensabhängigkeiten geheilt werden möchten) deutlich heftiger ist, als so ein “nein” im Alltag, hat mir neue Kraft gegeben bei der Regulation der Bildschirmzeit.
Digitale Pros und ihre Kinder Steve Jobs präsentierte das erste iPad nach einer 90-minütigen Lobeshymne auf diese kongeniale Gerät und machte eine ganze Generation gierig auf diese neue Technologie. Seine eigenen Kinder durften nie eines benützen – so wie die Kinder anderer digitaler Professionisten. (!!) Sie wussten und wissen genau, wie gefährlich die Verwendung der Geräte ist, wie schnell man davon abhängig wird oder sich abhängig macht. Und hatten meist sehr, sehr strikte Regelungen was Anwendungen in den eigenen vier Wänden betrifft. Ganz nach dem alten Motto der Drogendealer: Never get high on you own supply. Na bumm.
Es ist ein schmaler Grat zwischen Benefit und Zerstörung Aber das ist doch so praktisch! Kaum ein Verein kann sich heute ohne irgendeine App organisieren, wir nützen Karten um zu navigieren, die Kinder können sich jederzeit über Öffis und Fahrzeiten informieren, die digitale Einkaufsliste hilft beim Verteilen der Arbeit und Aufgaben und entlastet, es gibt Apps, die uns ans Schritte machen und Wasser trinken erinnern, einen gesünderen Lebenswandel forcieren und wir erfahren über das Leben unserer Mitmenschen über die sogenannten sozialen Medien. Die Grenze zwischen “das regt mich an, gesünder zu leben / es entlastet mich / das macht es so einfach” und beinahe zwanghaftem Verhalten und Selbstoptimierung ist hauchdünn. Und vor allem: nicht klar erkennbar. Es braucht eine gute, kritische und regelmäßige Selbstbeobachtung (und Außeneinschätzung), was wann für wen noch gut ist und was längst nicht mehr. Selbst Apps zur Regulation sind keine Universallösung.
Abhängigkeit gibt es nicht nur bei Substanzen Von Kokain bis Heroin, von Spielsüchtigen bis Internetabhängigkeit wird ein großer Bogen gespannt, und es fällt einem wie Schuppen von den Augen. Wir können nicht nur süchtig nach Substanzen sein, sondern auch Verhaltensabhängigkeiten entwickeln. Und leider zielen sehr viele Medien genau darauf ab – weil es auch ein gutes Geschäft ist. Das Verheerende ist allerdings, dass man – was Technologie betrifft – nicht einfach “trockener Alkoholiker” sein kann in der heutigen Zeit und komplett auf Technologien verzichten kann im modernen Leben. Was bei Alkoholikern nicht geht (einfach ein wenig zu reduzieren, oder nur ab und zu zu trinken) geht bei dieser Form der Abhängigkeit auch nicht und es bleibt womöglich ein lebenslanger Fluch.
KAMPFLOS AUFGEBEN?
Was also tun, wenn man sich nicht kampflos ergeben will und neue Technologien aber nicht verbannen will. Wir dürfen Strategien erlernen, Regelungen entwicklen und Vereinbarungen erproben – auf Basis von Versuch und Irrtum, weil wir selbst nicht gelernt haben, wie man richtig, gut und nachhaltig damit umgeht.
Ich habe noch 5 Tipps für dich, die bereits praxiserprobt sind und deinen Alltag etwas erleichtern können.
5 TIPPS zum UMGANG MIT DIGITALEN MEDIEN
Bildschirmfreie Zeiten Um eine gewisse Zeit das Gerät abgeben oder zur Aufbewahrung wohin legen, wo es aus dem “Sinn” ist. Du kannst eine schöne Kiste verwenden, einen Tresor anschaffen oder ganz einfach die Geräte immer wieder woanders verstecken (das mach ich gern – ist zusätzlich ein Gehirntraining und fördert die Kreativität) Es braucht aber ein wenig Nervenstärke der restlichen Familie, wenn es dir nicht gleich einfallen sollte, wo du das letzte Gerät verwahrt hast. Bildschirmzeit lässt sich bei neueren Geräten gut mit Apps (zum Beispiel Bildschirmzeit bei iPhone) regulieren und einstellen – das vermeidet SEHR viele Diskussionen im Voraus. (Und für unter 2 Jährige: GAR KEINE Bildschirme, bitte, bitte, bitte!!)
Bildschirmfreie Zonen “Beim Tisch gibt’s kein Handy.” Diese Regelung ist bei uns schon lang die Norm (die allerdings manchmal Auffrischung braucht) und fördert den Esstisch als Begegnungszone und Gesprächsraum. Es geht natürlich auch (bei jüngeren Kindern) Geräte aus dem Kinderzimmer aus zu klammern und nur in gemeinsamen Räumen zu erlauben. Je älter die Kinder und Jugendlichen sind, desto eher brauchen sie aber für intime Gespräche und Austausch auch ihr Gerät im Zimmer. Wer weiß noch, wie “angenehm” die Telefonate früher am Festnetz waren, wenn die halbe Sippe zuhört?!
Jeder ist der Sheriff Nicht nur als Erwachsene den Sheriff geben und die Kinder vom Gerät verscheuchen, sondern SIE beauftragen, dich ebenfalls aufmerksam machen zu dürfen. Was im ersten Moment ein kleines “Autsch” ist, wenn dein Kind sagt: “Mama, schau nicht immer auf’s Handy!” kannst du für dich auch als “friendly reminder” einordnen und es als Einladung sehen, es weg zu legen. Das fördert auch Begegnung auf Augenhöhe und zeigt den Kids: wir lernen gemeinsam, wie wir das handhaben wollen mit den Bildschirmen.
Vertrauen ist gut, Dialog & Wissen ist besser “Mama, mein Freund hat gesagt, du vertraust mir nicht, weil du meine Handyfunktionen einschränkst!” … klang es diese Woche aus dem Kindermund. Ich erklärte daraufhin: “Es ist meine Verantwortung als Elternteil, auf dich zu schauen. Und so wie ich dich nicht in deinem Alter allein und ohne Begleitung in die große, weite Welt entlassen würde, will ich dich auch nicht unbegleitet und ohne Aufsicht in die digitale Welt entlassen. Ich will dich schützen vor Inhalten, die für dein Alter unpassend, gefährlich oder angsteinflössend sind und das mache ich auch, wenn ich dabei Widerstand von dir spüre. Weil ich mehr Lebenserfahrung hab und das für dich nützen will.” Statt blind zu vertrauen ist es gut, sich über Apps, Spiele und Programme der Kinder zu informieren, sich immer wieder von ihnen in die Welt entführen lassen und sie persönlich und in Form von digitaler Aufsicht zu begleiten.
Interesse statt Ignoranz Auch wenn es oft schwer fällt, sich für die Spiele oder Apps der Kinder zu begeistern – wenn wir uns nicht interessieren oder nicht nachfragen, kommt das einer Kapitulation gleich und signalisiert ihnen unsere Ignoranz. Dass das für eine gute Eltern-Kind-Beziehung wenig förderlich ist, brauch ich hier nicht zu erläutern.
Also frag immer wieder nach:
Was ist das Faszinierende an diesem Spiel?
Was gefällt dir an dieser App?
Hast du das Gefühl, selbst bestimmen zu können?
Wie viel Zeit willst du dir nehmen? Soll ich dich erinnern? Stellst du dir selbst einen Timer?
Was lernst du, wenn du dies oder jenes machst?
Könnest du das auch im echten Leben spielen, und wenn ja: wie?
Schaffst du es aus zu schalten, oder soll ich das für dich erledigen?
WIR LERNEN ERST, WIE DAS GEHT
Es geht mir gut. Ich fühle mich noch nicht “nackt”, wenn ich ohne Handy unterwegs bin – manchmal lasse ich es auch bewusst daheim liegen. In netter Gesellschaft habe ich nicht das Bedürfnis, dauernd mein Handy checken zu gehen und finde diese Bildschirmfreien Zeiten und Zonen nicht nur angenehm sondern herrlich.
Doch das bewusste Reflektieren und genaue Hinsehen wird weiterhin gefragt sein und uns im Familienalltag begleiten, wenn wir nicht in den Sog hineingeraten möchten, in den uns die Entwickler, Unternehmer, Verkäufer, Influencer und unsere eigenen Gewohnheiten ziehen.
Digitale Medien gehören zu unserem Alltag. Lass sie uns nützen. Lass sie uns sinnvoll nützen. Auch wenn wir dabei noch etwas “patschert” sind und fehlerhaft agieren – wir lernen eben erst gerade, wie wir das gut hinbekommen könnten.
Fühlst du diesen Sog auch? Hast du noch andere Strategien (bereits erprobt)? Lass uns an deinen Erfahrungen teilhaben! In den Kommentaren ….
(Der digitale Gott hat einen herrlichen Humor: während ich diesen Beitrag tippe – offline geht das zumindest – gibt’s hier kein Internet. Wartungsarbeiten, den ganzen Vormittag. Wenn ich auf ein Zeichen gewartet hätte: das wär’s gewesen !)
#1Bettina Windischbauer (Donnerstag, 06 August 2020 23:20)Ich finde es toll, dass du dich für dieses Thema einsetzt. Wir “plagen” uns auch tagtäglich mit diesem Thema rum. Es braucht viiiel an Diskussion und dagegenhalten. Aber ich bin auch davon überzeugt, dass es sich im Sinne der Gesundheit und persönlichen Entwicklung unserer Kinder auszahlt. Danke, Kerstin für den tollen Text!
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