Familien im Ausnahmezustand.
Egal ob wir daheim praktisch aufeinandersitzen müssen oder ob wir durch einen systemerhaltenden Beruf vor anderen Herausforderungen stehen: die momentane und wohl noch länger dauernde Situation ist alles, außer gewöhnlich.
Seit Bekanntwerden der Empfehlung “Bleib daheim!” gibt es eine Flut von Tipps und Rezepten, wie man Kinder daheim beschäftigt, was mit ihnen zu tun ist und ganz selbstverständlich übernehmen wir Eltern aus dem Stand den Heimunterricht. Warum Mütter dennoch keine Entertainer sind, was jetzt tatsächlich zählt und warum der Streit mit der Realität nichts bringt, darum geht’s heute hier am Blog.
Zack, zack, zack. Und der Staat wird auf Minimalbetrieb runter gefahren. Die Kinder sind daheim oder wir stehen vor echten Betreuungsproblemen. Das tägliche Leben wie wir es kennen: abgesagt.
Die Welt steht kopf. (Alle? Nein, eine Insel im Nordwesten Europas lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.)
Wie schon letzte Woche hier beschrieben, gibt es gute Gründe ruhig zu bleiben, das Neue als Chance zu wachsen zu sehen, die Herausforderung anzunehmen, in der Liebe zu bleiben.
Doch, dass nun der Druck auf Familien noch mal deutlich erhöht wird, fällt erst auf den zweiten Blick auf.
Mein erstes Gefühl war auch: hey, viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung.
Das zweite allerdings: alles lastet auf meinen / unseren Schultern als Eltern.
Kein Wunder, dass man weiß, dass Quarantäne Maßnahmen die Zahl der häuslichen Gewalttaten in die Höhe treiben. Der Frust, die Enge, die Spannung entlädt sich – wie immer – nach unten: bei den Schwächeren, sprich Kindern und Frauen.
Wir sitzen im Kelomat (für alle, denen das Wort nix sagt: Druck-Schnellkochtopf. 🙂 ) Unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und teils heftigen Gefühlen. Deckel drauf und dann kräftig aufheizen, der Druck kann steigen. Muss er aber nicht.
Ja, Kinder brauchen gerade in Krisenzeiten Struktur. Sie brauchen Rituale, die (vielleicht neu erfunden) jetzt gewisse Eckpfeiler im Tagesablauf markieren. Sie brauchen auch sinnvolle Beschäftigung und Anleitung.
Doch wir sind nicht für die Dauerbespaßung und -belehrung zuständig. Wenn wir in diese Rolle fallen, machen wir uns kaputt. Wir sollten erst gar nicht versuchen, jede Minute mit sinnvollem Tun zu füllen, eine Bastelidee nach der anderen umzusetzen, Aktivitäten vorauszuplanen und den Kindern dann vorzugeben. Das sind einfach gewohnte, alte Muster, die sich ihren Weg bahnen wollen. Doch wir brauchen nicht wieder “volles Programm” und “action” am laufenden Band.
Was jetzt not-wendig ist (Achtung, Wortspiel!), ist Beziehung.
Sie brauchen jemanden, der ihre Gefühle erfasst und benennt.
Sie brauchen jemanden, der ihre Bedürfnisse erkennt und anspricht.
Sie brauchen jemanden, der da ist: aufrichtig, ehrlich und echt.
Bedürfnisorientiertes und beziehungsorientiertes Handeln in einem neuen Licht, also. Weil wir nicht aus der Fülle an Möglichkeiten schöpfen können, die wir gewohnt sind, und Wünsche jederzeit erfüllen, werden wir zurückgeworfen auf das, worum es eigentlich geht:
das HINSEHEN, HINHÖREN und HINFÜHLEN.(Statt: “… ich schau, wie ich das möglichst schnell erfülle, damit Ruhe ist!”)
Statt: “Jammere bitte nicht schon wieder wegen den Freundinnen!”
Ja, es ist traurig, dass du deine Freundinnen so lang nicht sehen kannst.
Statt: “Du hast es doch so schön ruhig, jetzt lern halt einfach, was dir aufgegeben wurde!”
Ja, es ist frustrierend, dass du ganz allein lernen sollst.
Statt: “Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du derzeit mit niemandem spielen kannst!”
Ja, es ist furchtbar, die Nachbarskinder zu sehen und dennoch nicht spielen gehen zu können.
Statt: “Das geht jetzt nicht, wir können Oma und Opa jetzt einfach nicht besuchen!”
Ja, es ist schade, dass wir Oma und Opa jetzt so lang nicht sehen.
Statt: “Ich kann das – mir ist soooo fad – nicht mehr hööööreenn!”
Ja, es ist auch langweilig, dauernd zuhause sein zu müssen.
Es ist, wie es ist.
Kerstin Bamminger
Wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer.
Was den Druck im Kelomat also erleichtert, ist folgende Haltung:
“Ich sehe deine Bedürfnisse.
Ich höre deine Wünsche. Ich fühle, wie es dir geht.
Und ich helfe dir dabei, das auszudrücken und auszuhalten. “
Niemand sagt, dass das leichter ist, als Kinder zu “bespaßen” oder “beschäftigen”. Doch es ist definitiv dringender und vor allem NOT-wendig. Nach dem WAHRnehmen folgt übrigens keine gemeinschaftliche, langanhaltende Depression, sondern die Suche nach Lösungen:
- Was glaubst du, hilft dir, wenn es so langweilig ist?
- Was glaubst du, lenkt dich jetzt ab?
- Was können wir denn tun, wenn …. gerade nicht geht?
Bindet die Kinder in die Lösungsfindung ein! WIR müssen nicht alles wissen! Wir können Möglichkeiten anbieten und vorleben (“Weißt du, mir hilft zum Beispiel, ….”). Wir können aber auch unwissend sein.
Es ist deswegen trotzdem manchmal schwer auszuhalten, weil wir in unseren Möglichkeiten begrenzt sind, oder uns zumindest begrenzt fühlen – und: weil wir selbst im Ausnahmezustand sind.
Du darfst auch sagen:
Ich bin auch traurig. Ich bin auch frustriert. Ich bin auch überfordert.
UND: wir schaffen das GEMEINSAM.
Es darf dauern, bis sich ein neues System “einpendelt” und dabei darf es auch ordentlich wackeln.
Vertrauen wir darauf, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, Dinge neu zu ordnen, unseren ausschweifenden und überdimensionalen Lebensstil zu überdenken und dass es gelingen wird eine bodenständige, neue Ausrichtung zu bekommen.
Auch wenn wir jetzt noch nicht genau wissen, wie die aussehen wird.
Stay positive. Stay strong.
GEFÜHLspaletten als Hilfswerkzeug
Das Ausdrücken von Gefühlen und Bedürfnissen ist oft schwieriger als vermutet. Wir sind, wie ich gern sage, sachlich verwahrlost, was dieses Thema angeht, unterscheiden bei der Frage “Wie geht’s dir denn?” oft nur zwischen gut und schlecht. Dabei sind wir soooooo viel mehr!
Diese beiden Gefühlspaletten schenke ich dir: druck sie aus und hänge sie an einen gut sichtbaren Ort, wo sie dir hilfreich sein können als Unterstützung beim Formulieren von Gefühlslagen. Wenn deine Kinder noch nicht lesen können, biete ihnen verschiedene Begriffe an, oder versuche für sie den richtigen Ausdruck zu finden.
Das verlangt viel Empathie, ich weiß – es ist aber sprachliche Bildung und Herzensbildung in höchster Form!
Bei Fragen: immer gern das MAMAtelefon nützen 😉 …
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