von Kerstin Bamminger | Juni 19, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Geschwister, Leben
Geschwisterbeziehungen prägen uns mindestens so wie die Beziehung zu unseren Eltern. Daher ist es hilfreich, sich immer wieder mal der eigenen Position bewusst zu werden und was man sich als Persönlichkeit vielleicht genau deshalb angeeignet hat. Heute geht’s um die jüngsten Kinder in einer (längeren oder kürzeren) Reihe und was sie ausmacht, ob sie wirklich nur verhätschelt werden und alles für sie leichter ist.
Mythen & Klischees
Nesthäkchen, Baby, Küken oder auf gut oberösterreichisch „Nestscheißal“ genannt, nehmen die jüngsten Kinder in der Familie eine besondere Position ein. Sie sind die letzten in einer Reihe von Kindern und haben dadurch – ähnlich wie Erstgeborene – einen besonderen Status. Über sie gibt es ebenfalls haufenweise Alltagsmythen: sie seien verweichlicht, zu sehr verwöhnt und verzogen, werden dauernd nachsichtig behandelt und müssen viel weniger im Haushalt beitragen, als die anderen Geschwister.
Charmebolzen & Altkleiderständer
Was die Jüngsten Kinder tatsächlich erleben und wie der Alltag auf sie wirkt, ist wohl eine andere Sache. Sie werden in eine Familie hineingeboren, wo sie von Beginn an mit sehr viel Leben konfrontiert sind, wo viel Aktivität herrscht und mindestens drei unterschiedliche, jedenfalls vorerst überlegene und größere Persönlichkeiten wirken und werken.
Durch diese Asymmetrie sind die Positionen natürlich von Haus aus ungerecht verteilt und so suchen jüngste Kinder oft ihren Platz, ihre Aufmerksamkeit und ihre Einzigartigkeit auf andere Weise. Sie lassen sich gern länger tragen, füttern oder anziehen und setzen ihren ganzen Charme ein (klein und knuddelig sein hat auch seine Vorteile, die durchaus nützlich sind!) um weniger zur Verantwortung gezogen zu werden, genießen manchmal früher als die älteren Geschwister diverse Freiheiten und müssen dafür lediglich aushalten, ein paar abgetragene Klamotten zur Verfügung gestellt zu bekommen.
So weit, so zynisch (diese Betrachtung).
Friedfertig & ausgleichend
Doch auch im Rang der Jüngsten Kinder steckt großes Potenzial, das erkannt und genutzt werden darf, auch sie können aufgrund ihrer Position spezielle Eigenschaften erwerben, die ihnen als Persönlichkeiten dienen können.
Zum Beispiel sind die jüngsten Kinder üblicherweise weniger gewaltbereit beim Konfliktlösen. Durch ihre körperliche Unterlegenheit brauchen sie längere Zeit andere Methoden, um einen Streit zu schlichten. Allerdings sind sie auch gut im Vermeiden von Konflikten, weil sie sich nicht gern unbeliebt machen, sind sie doch die Schnuckeligen der Familie.
Anpassungsfähig & frühentwickelt
Sie lernen schon früh, sich an andere Menschen im engen Umfeld anzupassen, weil sie ja in der Familie dazugehören wollen. Dabei sind sie oft mit vielen unterschiedlichen Meinungen und Verhaltensmustern konfrontiert, die sie für sich filtern und gegebenenfalls übernehmen dürfen.
Oft befassen sich jüngste Kinder in Familien schon früher als ihre Geschwister mit Themen und Inhalten, die ihrer Entwicklung voraus sind, was teilweise hohe Anforderungen an ihr kognitives Denken stellt.
Grenzgänger & Austester
Besonderes Durchsetzungsvermögen benötigen sie, wenn sie die von Geschwisterkindern ausgetretenen Pfade verlassen wollen und womöglich die ersten sind, die etwas „anders tun wollen“. Dabei profitieren sie meiner Meinung nach enorm von den meist schon tiefenentspannten Eltern. Bei den Jüngsten wird es oft nicht mehr so tragisch gesehen, wenn tägliche Bildschirmminuten, Vormittagssüßigkeiten oder nächtliche Ausgehzeiten verhandelt werden. Eltern haben bei den Küken bereits die Erfahrung gemacht, dass Gelassenheit ein guter Wegweiser ist und das Leben die Dinge schon richtet. Die jüngsten testen dennoch die elterlichen Grenzen auf ihr absolutes Belastungsmaximum, was schon manchmal aufreibend sein kann.
Persönliche Erfahrungen
Ich habe persönlich schon öfter gehört, dass die letzten Kinder die Familie so richtig abrunden. Wo beispielsweise in einer Familie mit drei Kindern vieles drunter und drüber ging, beruhigte sich das System erstaunlicher Weise mit einem vierten Kind. So, als wäre man noch nicht komplett gewesen. Auch wenn die jüngsten Kinder sehr oft diejenigen sind, die am wenigsten geplant waren (zweifach hautnah erlebt), sind sie dann nicht mehr weg zu denken und genau so wichtig und wertvoll wie jedes andere Kind in der Reihe, auch wenn sie unter anderen Vorzeichen aufwachsen.
By the way: „planen“ und „Kinder kriegen“ sollte man erst gar nicht in einem Satz verwenden.
Augenaufschlag & Bestechungsmanöver
Als Mutter von drei Kindern kann ich bestätigen, dass es schwer fällt, dieselben „Grenzen“ für Kinder aufrecht zu erhalten – sei es bei „wann darf ich alleine ins Freibad gehen“ bis zu „wann bekomm ich mein erstes Handy“. Nicht zuletzt, weil auch die Zeit nicht stehen bleibt und es Entwicklungen gibt, die Eltern auch berücksichtigen sollen. Ich ertappe mich selbst dabei, milder mit der Einhaltung diverser Zusammenlebensregeln zu sein, das Kuscheln mit dem Küken länger zu genießen, weil mein Schoß von keinem jüngeren Kind besetzt ist und manchmal ein wenig dem Augenaufschlag und Bestechungsmanöver des Nesthäkchens zu erliegen.
Gleich vs. gerecht
Da erinnere ich mich dann selbst daran, dass „gleich“ nicht immer „gerecht“ ist und manchmal nur gleich auch gerecht ist. In welchem Fall was anzuwenden ist, entscheidet natürlich jede Familie für sich selbst. Ich versuche dennoch, das jüngste Kind nicht zu schonen, was Haushaltstätigkeiten betrifft und werde dabei auch beständig von den beiden Älteren daran erinnert. Das abgetragene Gewand wird trotzdem weiter gereicht, weil das abgesehen von persönlichen Eitelkeiten einfach ökologisch und ökonomisch ist. Dass das Smartphone nicht früher in die Kükenhände kommt, auch wenn alle Klassenkollegen schon eins haben, nur er wieder nicht.
Es gibt nicht immer ein „eindeutiges Richtig“ oder ein „sicheres Falsch“ bei diesem elterlichen Tun. Am meisten zählt wohl, dass wir uns der Unterschiedlichkeit unserer Kinder bewusst sind, reflektiert und kritisch betrachten, dass es halt Vorteile und Nachteile in jedem Rang gibt und stets versuchen, das beste daraus zu machen, was uns gegeben ist.
Also falls wir’s wieder mal ordentlich versemmeln, sei gesagt: die besten Eltern machen (laut Jesper Juul) mindestens 20 Fehler pro Tag.
Und ganz ehrlich: über irgendwas müssen die Kinder ja dann mal lachen können, wenn sie in fünfzehn Jahren bei der Familienfeier sitzen und über ihre Kindheit quatschen … grauenvolle Vorstellung, wenn sie feststellen, dass alles immer wie am Schnürchen lief, oder?!
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von Kerstin Bamminger | Juni 12, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Geschwister, Leben
Über Geschwisterbeziehungen hab ich ja schon öfter geschrieben. Über emotionale Premieren und erinnerungswürdige Finali gab’s hier schon zu lesen. Diese betreffen oft die jüngsten oder erstgeborenen Kinder. Wem oft zu wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird, sind die Mittleren, die sogenannten Sandwichkinder.
Mit diesem Beitrag möchte ich speziell dieser Personengruppe huldigen und mich auf die Suche machen nach dem, was an den zwischendrin geborenen Kindern das Herausragende ist und was an so manchem Klischee dran ist – oder auch nicht.
Wenn Paare Eltern werden, erleben sie mit ihren Erstgeborenen praktisch täglich Premieren, alles passiert zum ersten Mal. Man entdeckt sich als Eltern und lernt so viel dazu. Mit den jüngsten Kindern der Geschwisterreihe – den sogenannten „Nesthäkchen“ – erleben wir Abläufe, Feste, Rituale oft zum letzten Mal und deshalb auch manchmal sehr bewusst.
Dass die mittleren Kinder, die Sandwiches, dabei oft durch die Finger schauen, ist irgendwie offensichtlich – jedenfalls meiner Erfahrung nach und die Befragungen dieser Gruppe bestätigen diese Meinung.
Die „armen“ Sandwichkinder
„Die haben’s besonders schwer“ heißt es oft, oder „… das sind immer die schwierigen Kinder“ klingt es, wenn man über diejenigen spricht, die in der Mitte einer mindestens 3-teiligen Geschwisterreihe stehen. Laut presse.com sagen 38% der Eltern, die Mittleren seien die ungezogensten und frechsten ihrer Kinder.
Sie erleben häufig, weniger bemuttert zu werden als die vorher und nachher Geborenen, bekommen generell weniger elterliche Aufmerksamkeit, sie verzagen leichter, können eher aggressives Verhalten zeigen und sind fordernder und unzuverlässiger als die anderen Kinder.
Keine besonders schmeichelhafte Bilanz, selbst wenn sie nicht auf hundert Prozent der Gruppe zutrifft, weil es eben immer Ausnahmen zur Regel gibt.
Dennoch zahlt es sich aus, mal einen kritischen Blick auf ihre Rolle zu werfen. Mittlere Kinder werden in Familien hineingeboren, wo schon mindestens ein Kind da ist. Sie erleben das Aufwachsen mit anderen Geschwistern als ihr „normal“, sind meist von Beginn an mehr Energie gewöhnt (weil eben mehr Leben da ist) als die Erstgeborenen und bekommen früher oder später eins oder mehrere jüngere Geschwisterkinder, die wieder den Fokus von ihnen wegziehen. Sie stehen also nur für ein gewisses Zeitfenster im Rampenlicht.
Wettkampf um elterliche Zuwendung
Da jedes Kind gesehen werden will und Aufmerksamkeit möchte, suchen sie eben kreative Wege, um wahrgenommen zu werden. Wenn das durch „folgsam sein“ (wie die Erstgeborenen) nicht geht, weil das schon jemand macht und auch nicht durch „niedlich sein“ (siehe Nesthäkchen), braucht es eben andere Mittel. Sie wollen und müssen Dinge anders machen, wenn sie elterliche Zuwendung erreichen möchten, egal ob dies nun positive oder negative Zuwendung ist. „Hauptsache, es bemerkt mich irgendwer“, quasi. Diese Tatsache führt meiner Meinung nach zu den wenig bewundernswerteren Eigenschaften die Sandwichkinder möglicherweise entwickeln können.
Die goldene Mitte
Statt sich allerdings dauernd auf die negativen Eigenschaften zu stürzen, ist es gut und wichtig darüber nachzudenken, welches Potenzial in dieser Position steckt. Denn jede Geschwisterkonstellation und -position hat ihre Vorteile und Nachteile. Die Kunst besteht halt darin, diese Chancen zu nützen anstatt die schweren Umstände zu bejammern.
Mittlere lernen beispielsweise besser als andere in der Geschwisterreihe, flexibel zu sein. Auch wenn viele dieser Kinder das als leidvolle Erfahrung beschreiben, nicht zu wissen „wo man hingehöre – zu den Großen oder den Kleinen?“, lernen sie dabei Einzigartiges. Sie können sich an das Spiel der älteren Geschwister anpassen, sich aber auch an den Interessen der jüngeren Geschwister erfreuen und sich so in verschiedenen Rollen erleben. Einmal mitlaufen und sich unterordnen, dann die Führung übernehmen. Beides lernen sie in dieser Position besser als die anderen Kinder, was man für das Leben gut brauchen kann.
Sie lernen durchsetzungsfähig zu werden, besonders, wenn sie andere Wege beschreiten wollen, als vorher geborene Geschwister (z.B. doch ein anderes Maturaballkleid zu bekommen als die Schwestern vorher). Wenn die Eltern mit ihnen „gewohnte Pfade verlassen dürfen“, ist dafür auch besonderer Kampfgeist von Nöten – den kann man bekanntlich auch ganz gut brauchen im Leben. Andererseits sind die Sandwiches außergewöhnlich diplomatisch, weil sie vielleicht auch gelernt haben, zwischen den „Großen“ und den „Kleinen“ zu vermitteln, wenn es Unstimmigkeiten gab – sicher eine wunderbare Eigenschaft für allfällige spätere Beziehungsgestaltung.
Sandwiches wissen, wie es geht, aufzuzeigen, gewohnte Bahnen zu durchbrechen und (wenn nötig mit allen Mitteln) Neues durchzusetzen, können aber auch bequem bereits (von älteren Geschwistern) bereitete Wege beschreiten – und sie gegebenenfalls noch ein wenig erweitern! (Stichwort Fortgehzeiten).
Die mangelnde elterliche Aufmerksamkeit kann definitiv als Bonus erlebt und genützt werden. Viele Mittlere gestehen, dass man sich „super durchschummeln“ konnte und die Eltern vieles nicht bemerkten, was sie so getan haben, weil das Hauptaugenmerk eben wo anders lag (z.B. ein Wertkartenhandy ohne elterliche Erlaubnis kaufen „…ist nie wem aufgefallen“).
Man kann auch sagen, dass sie es nicht nötig haben, immer im Mittelpunkt zu stehen – was durchaus Vorteile im Leben hat! Sie halten es gut aus, wenn sich nicht alles um sie dreht.
Eine andere Brille
Eine gemachte Erfahrung mit einer anderen Brille zu betrachten ist also auch im Hinblick auf Geschwisterpositionen zu empfehlen. Ja, es ist so: mittlere Kinder bekommen oft weniger Aufmerksamkeit von den Eltern und haben andere Bedingungen beim Aufwachsen als die Erstgeborenen oder die Jüngsten. Doch das bedeutet nicht, dass das automatisch schlechtere Karten sind. Wie in jedem Geschwisterrang gilt es auch bei ihnen, die Gegebenheiten gut für sich zu nützen und darauf zu vertrauen, dass man genau an der richtigen Stelle geboren wurde, weil man dort das meiste lernen kann und alles mitbekommt, was für das eigene Leben notwenig ist, weil uns Konstellationen im Familienmobile eben prägen. Als Menschen und Persönlichkeiten.
Erfahrungen als Eltern
Als erstgeborenes Kind kann ich diese Dinge nur erzählen, ich hab sie nicht erlebt. Ich kann und habe mittlere Kinder befragt (gaaaaanz viele davon in den Partnerkursen für Brautpaare), wie es ihnen ergangen ist – doch richtig gefühlt hab ich natürlich nie, wie es ist, ein mittleres Kind zu sein.
Als dreifache Mama versuche ich täglich mein Bestes, die Kinder gerecht zu behandeln. Dazu gehört nicht nur die Geschwisterposition sondern auch die Persönlichkeit, Temperament und Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen. (Schon beim Tippen dieser Wörter wird mir die Unmöglichkeit dieser Aufgabe bewusst.)
Doch der Punkt ist: ich versuche es.
Ich bin mir bewusst, dass es Unterschiede gibt.
Ich bemühe mich, typische Rollenbilder zu verbannen.
Ich widme dem mittleren Kind – und jedem Kind – öfter Exklusivzeit.
Ich gebe mein Bestes und vertraue darauf, dass das gut genug ist.
Wir kommen als Eltern nicht ohne Fehler durch. Das müssen wir auch nicht. Jeder Fehler ist eine Erfahrung, die uns weiterbringt auf unserer Reise als Begleiter durchs Leben. (Jan Uwe Rogge sagte mal in einem Vortrag: „Trinken Sie 1/8 Weißburgunder für jeden Fehler, den Sie in der Erziehung gemacht haben.“ … worauf eine anwesende Mütterrunde im Anschluss eine feuchtfröhliche Nacht erlebte 😉 ….)
Und wir können sie stets in etwas Gutes verwandeln und bisher eventuell negativ behafteten Bildern oder Rollen einen neuen Anstrich geben.
Sandwich Kinder sind vielleicht Troubleshooter.
Vielleicht sind sie aber auch ganz einfach: die GOLDENE Mitte. Und glänzen von diesem Platz aus.
Bist du ein mittleres Kind? Welche Erfahrung hast du in dieser Position gemacht?
Was kannst du heute aufgrund deiner Geschwisterposition Positives in deinem Leben entdecken?
Lass mich gern teilhaben und schreib in die Kommentare!
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Kommentare: 3
von Kerstin Bamminger | Juni 5, 2020 | Allgemein, Gute Worte, Hilfreich, Leben
Dass Kinder verschieden sind, ist ja nun keine bahnbrechende Neuigkeit.
Dass jeder Mensch gute und bessere Tage hat, auch nicht.
Dass Eltern aber ab und zu echte Meisterleistungen in punkto Anpassungsfähigkeit erbringen dürfen, weil die immer voll im Moment lebenden Kinder ziemliche Achterbahnfahrten mit ihren Gefühlen erleben, will ich heut mal würdigen.
Mein Leben also zwischen Kaktusphasen und Kuschelepisoden.
Ich merk es ja selbst. Jeder Tag ist anders und ich fühle mich nicht immer gleich.
Das mag damit zu tun haben, wie gut man geschlafen hat, welche Gedanken einen gerade beschäftigen, ob der Tag sehr dicht verplant ist oder eher viel Freiraum bietet, wieviel Bewegung und frische Luft man so zur Zeit bekommt, ob (schwelende) Konflikte in der Luft liegen oder sich kürzlich in einem Gewitter entladen haben, ab und zu ist auch das Wetter mit Schuld und ganz sicher auch die Hormone.
Nun ist es ja oft schon schwer genug, sich selbst auszuhalten mit den eigenen Launen und Befindlichkeiten. Als Eltern leisten wir dazu noch extra viel, wenn wir auch noch ein oder mehrere Gegenüber (in Form von Kindern) dabei begleiten und sie aushalten.
Was man zwischen Kaktus („Schau mich nicht an! Rühr mich nicht an! Red mich nicht an!“) und Kuschelbär („Du bist die beste Mama der Welt! Ich hab dich lieb! Wieso bist du so gut zu uns?“) gut gebrauchen kann, hab ich versucht hier zusammen zu tragen.
Annehmen. („Es ist, wie es ist.“)
Ich hab mal gelesen: wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer. Das kann man als Eltern insofern nutzen, als dass man nicht versucht, dauernd etwas anderes zu wollen, als man gerade hat. Wenn ein Kind zum Beispiel tobt und weint, hilft es meist wenig, sich in dieser Situation auch noch lautstark darüber zu beschweren und zu lamentieren, wie furchtbar das gerade ist. Klar, wünschen wir uns einen harmonischen Alltag und einen entspannten Umgang, doch die Realität ist eben, dass wir – und unsere Kinder – auch mit viel Frust umgehen dürfen. Und der lässt sich eben nicht einfach wegblasen wie die Samen einer Pusteblume. Da gibt’s eben heftige Gefühle und ungehemmten Ausdruck, die als Ventil dienen, um sich von innerem Druck befreien zu können. So lange keine anderen Lebewesen und Gegenstände dabei zu Schaden kommen, darf das sein. Ansonsten braucht es dienlichere Strategien, mit dem Frust umzugehen.
Jemandem zu sagen: „… geh, sei doch nicht so wütend!“ ist meiner Erfahrung nach wenig Hilfe.
Wahrnehmen. („Aha. So ist das also.“)
Wahrnehmung ist immer „wahr“, sonst würde es ja „Falschnehmung“ heißen. Was einfach klingt, ist oft ganz schön schwer zu verstehen. Wenn wir nicht verstehen, warum das Kind jetzt Angst hat, auf das Baumhaus zu klettern oder wir nicht nachvollziehen können, woher ein Tobsuchtsanfall kommt. Beim Wahrnehmen kann man sich darin üben, ohne Wertung zu beschreiben. Weil Wahrnehmen noch nicht „verstehen“ ist. Also kann ich sagen: „Wow, du hast ein hochrotes Gesicht und die Tränen rinnen über die Wangen, du schreist, so laut du kannst – du musst ganz schön ärgerlich sein.“
Das beinhaltet nicht, dass ich das verstehen muss. Doch was wir dabei tun, ist: das Kind sehen. In dem Zustand, in dem es jetzt eben ist. Das geht natürlich auch im Positiven: „Ich sehe deine leuchtenden Augen und dass du ganz sacht auf meinen Schoß krabbelst und dich anschmiegst – willst du kuscheln?“
Wir können uns bemühen, in diesen emotionalen Phasen zwischen Kaktus und Kuschelbär mit zu fließen, auch wenn wir sie nicht verstehen. Und versuchen, zu geben, was das Kind in dem Moment braucht.
Gelassen bleiben. („Ich bin gut genug.“)
Das hört sich hier einfacher an (und ist auch einfacher geschrieben) als es getan ist. Besonders, wenn wir wieder bedenken, dass auch wir Erwachsene Menschen mit Gefühlen und unterschiedlichen Bedürfnis- und Gefühlslagen sind. Das eigene „raus“ zu halten, geht einfach oft nicht und beeinflusst unser elterliches Tun maßgeblich.
Wenn es uns also gelingt, gut und angemessen auf diverse emotionale Höhenflüge oder Tiefschläge der Kinder zu reagieren, dann ist das wunderbar. Wir können auch einfach danach fragen: „Was kann ich für dich tun?“ „Was brauchst du, damit es dir wieder besser geht?“
Wenn aber mal Geduld und Nerven zu Ende gehen und der Tag schon lang ist, dann ist es wichtig, die eigenen Ansprüche runter zu schrauben und gelassen zu bleiben.
- Oft ist weniger mehr.
- Einfach in den Arm nehmen oder dem Kind den Rückzug gönnen.
- Zuhören, ohne gleich was drauf sagen.
- Hinschauen, ohne gleich eine Wertung aufzutischen.
- Atmen und loslassen.
Eltern können (und sollen) bitte nicht alles richtig machen. Es ist erstens immer im Auge des Betrachters, zu beurteilen, was nun richtig ist und was nicht. Zweitens erlauben uns Fehler, zu wachsen, zu lernen und uns zu entwickeln und drittens wären wir vollkommen ätzend für unsere Kinder, aalglatt und perfekte Ausstellungsstücke. Unerreichbar. Und so will ich jedenfalls als Mutter nicht sein.
Bleiben wir menschlich und freundlich mit uns selbst und mit unserem Umfeld. Und wenn es mal nicht mehr weiter geht: jemand anderen übernehmen lassen oder sich zurück ziehen. Auf die eigenen Kräfte schauen und alle möglichen Ressourcen aktivieren, die zur Verfügung stehen und auftanken. Die Höhen und Tiefen der Kinder und alles zwischendrin zu begleiten als Eltern ist eine fordernde Aufgabe, die meine kühnsten Vorstellungen manchmal sprengt.
Und dann denk ich mir wieder: DAS hier ist das VOLLE Leben.
Ungeschminkt, ungefiltert, unzensiert.
Es darf so sein.
Ist mir allemal lieber als überkontrolliertes, gezähmtes, zurechtgestutztes Verhalten.
Es braucht Mut, Vertrauen und Zuversicht – und dafür bekommen wir intensive Erlebnisse und Erinnerungen und
… echte Beziehung.
Was findest du herausfordernd beim Eltern-sein?
Hast du auch schon Kaktusphasen erlebt? Wie gehst du damit um? Lass uns voneinander lernen! ….
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von Kerstin Bamminger | Mai 28, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Gute Worte, Hilfreich, Leben, Selbstfürsorge
Oft weiß man als Eltern nicht, wann man mit dem Kind etwas „das letzte Mal“ macht. Das letzt Mal stillen, wickeln, füttern, einschlafbegleiten, im-gleichen-Bett-schlafen, … – viele finale Kapitel elterlichen Tuns gehen fast unbeachtet über die Bühne, weil plötzlich der nächste Schritt gegangen wird.
Diese Woche – und das ist ziemlich gut kalkulierbar – geht für mich eine Ära zu Ende.
Nach zehn Jahren wird das geliebte tägliche zu-Fuß-in-die-Schule gehen der Geschichte angehören.
Was wir alles erlebt haben auf diesen etwa 2000 Schritten jeden Morgen, erzähl ich dir heute.
Vorsicht: nicht weiterlesen, wenn du weiterhin dein Kind mit dem Elterntaxi chauffieren möchtest. Es könnte sein, dass ich dich begeistere, zu Fuß zu gehen.
Bevor ich damit anfange, aber noch ein Wort.
„Meine Kinder, es war eine unglaublich schöne Zeit, die wir gemeinsam erlebt haben. Anfangs mit Kinderwagen und allerlei Gefährten als Hilfe, mit netten Wegbegleiterinnen oder allein: ich hab jeden Schritt an eurer Seite geliebt und genossen. Ich hab gerne die oft schwere Schultasche geschleppt als Motivationsdienst und euch getragen, wenn es zu viel wurde für die jungen Beine. Ihr hattet Zeit, euch umzustellen von „Daheim“ auf „Kindergarten“ oder „Schule“ und konntet vielleicht den Umstieg in die jeweilig andere Welt besser verkraften als durch eine 5 Minuten Autofahrt. Ich bin überzeugt, nicht nur euch sondern auch mir etwas Gutes getan zu haben mit diesen morgendlichen 20 Gehminuten, die so viel mehr sind und waren als „einfach nur gehen“, weil es so viel zu erleben gab.“
33 Dinge, die man am Fußweg zur Schule erleben kann:
- die buntesten Himmelsfarben des Morgenrot bewundern, das Grün der Blätter einatmen und beobachten, wie sie sich im Jahreskreis verfärben, abfallen und wieder austreiben
- die Schritte zählen und dabei siebzehn mal unsicher sein, ob man sich nicht doch verzählt hat
- über den Zebrastreifen gehen wie die Beatles (und dabei Musikgeschichte diskutieren)
- die aktuellen Ohrwürmer der Kinder gemeinsam trällern – von Mai Cocopelli über Beatles, Springsteen, AC/DC … je nach Jahreszeit und Stimmung war so ziemlich alles dabei
- alle Schultaschen der Kinder im Expeditionswagen transportieren (Aufgabe der Eltern) und den Weg in eine Parcouring Strecke verwandeln, sodass schon vor dem ersten Läuten „turnen“ war
- im Matschgewand in alle Pfützen springen (als Eltern empfiehlt es sich, den nötigen Abstand einzuhalten) und danach mit Gummistiefeln deren Tiefe messen
- in der kalten Jahreszeit gefrorene Spinnennetze an der Traunbrücke bestaunen und dem Knirschen des frisch gefallenen Schnees unter den Schuhen zuhören (Musik in den Ohren von Winterfans)
- den Baufortschritt verschiedenster Projekte täglich aus nächster Nähe beobachten (z.B. Salzstaldn) und mitansehen wie baufällige Häuser mit neuem Leben erweckt werden, Grünflächen zubetoniert werden, historische Gebäude in Schutt & Asche gelegt werden (Flachsspinnerei) und dabei über Oberflächenversiegelung debattieren
- bei diesen Baustellen tätige, spektakuläre Baumaschinen fachmännisch benennen (und dann wegen zu langer Beobachtung derselben zu spät zur Schule kommen)
- zweistimmig Pizzera & Jaus „Kaleidoskop“ singen und damit die Bewohner am Weg beglücken
- zu zweit mit dem Roller fahren und es „Schulbus“ nennen (einer läuft ein Stück voraus, stellt sich an den Wegrand = Bushaltestelle und wird dort vom „Bus“ abgeholt)
- mit diesem Roller einen kapitalen Sturz hinlegen und dabei auf das Kind drauf fallen
- Streckenabschnitte mit Fantasienamen kennzeichnen (z.B. Schneckenfriedhof … dabei über das grausame Massensterben von Nacktschnecken sinnieren)
- die Freundinnen am Weg aufgabeln und wuseliges Geplapper bis zur Schule anhören (Erwachsene: mit der Mama dieser Freundinnen das eigene Feldwebelgehabe vor dem Außer-Haus-gehen analysieren und sich gegenseitig mütterliches Fehlverhalten eingestehen und einander danach beruhigen – es ist halt irgendwie überall gleich)
- ungestörte und kostbare Einzelzeit mit dem Kind genießen = Beziehungsgestaltung pur
- zusammen schweigen und den Morgenmuffel raus hängen lassen
- jeden Tag ein Stück Müll aufheben und zum nächsten Mistkübel bringen (das macht in diesen Jahren dann rund 1800 Dosen / Papierl / Becher / Verpackungen …pro Person!)
- sich bei deftigen Minusgraden den Allerwärtesten abfrieren und die dabei sichtbar werdende Atemluft cool als „rauchen“ definieren (das kenn ich noch aus meiner Kindheit)
- am Weg allen Menschen freundlich (und möglicherweise mit einem Lächeln) „griaß di“ zurufen
- bei orkanartigem Wind versuchen, wie Mary Poppins mit dem Schirm abzuheben (und dabei den Regenschirm ruinieren)
- verschiedenste Vogelstimmen am Weg hören und versuchen zuzuordnen
- das Zupassen mit dementsprechenden Steinen vom Wegrand üben – schafft der Stein es bis zur Schule?
- Eiszapfen von Autos oder Brückengeländern abbrechen und bestaunen (und vielleicht mal dran lutschen, wenn Mama nicht hinsieht – gutes Immuntraining, übrigens!)
- die neuesten Klatschgeschichten vom Kind erfahren und darüber diskutieren
- noch schnell das Gedicht für die Schule auswendig lernen (Bewegung & Sprache lässt sich prima und vorteilhaft kombinieren) – dabei den Sprechrhythmus an die Schritte anpassen
- vor Liebe taumeln, weil das Kind seine Hand immer noch beim Gehen in deine legen will
- die eigene Wut (oder die des Kindes) mit jedem Schritt in den Boden stampfen
- vorgeben, ein kleiner Hund zu sein, der vom Kind Gassi geführt werden muss (die Nachbarschaft hält mich sowieso für eine Verrückte, also was soll’s) inklusive Gebell, Bein heben und treuherzigem Blick beim Hecheln
- vorauslaufen, sich in einer Ecke verstecken und die anderen höllisch erschrecken wenn sie herankommen
- nicht auf Risse im Asphalt oder Fugenlinien treten – wer’s tut, stirbt klarer Weise
- sämtliche Käfer und Insekten sorgsam „umgehen“ und so Zeit vertrödeln, weil man nicht zur Schule gehen mag
- ZÄHLEN! und zwar alles mögliche: Zigarettenstummel auf dem Weg (wir zählten mal rund 280), Autos, die vorbeifahren, (Brücken-)Geländerstäbe, Leitpflöcke, Häuser, … – was immer Spaß macht
- Klima schonen und sparen! Laut einer Berechnung sind das: Eingespartes CO2 (kg) 1589.76 kg, eingesparte Fahrtkosten 2592€, Vermeidung von Umweltkosten 216€, Vermeidung von Unfallfolge- und Staukosten: 1224 € (wow, wir sollten auf Urlaub fahren für dieses Geld!)
Gratuliere, du hast es bis hierhin geschafft beim Lesen!
Morgen hat das jüngste Kind hier Radfahrprüfung und wird somit zukünftig lieber mit dem Drahtesel den Weg bewältigen, statt an meiner Seite zu Fuß.
Es ist ein Stück Loslassen und Abschied nehmen und erfordert eine Anpassung der Morgenroutine an neue Verhältnisse.
Ich möchte dir sagen: nütze die Zeit & Gelegenheit, deine Kinder zu Fuß zu begleiten und wenn du zu weit weg wohnst, geht zumindest die letzten 10 Minutuen zusammen (Stichwort Elternhaltestellen)!
Es zahlt sich aus und das Zeitfenster schließt sich irgendwann, wo diese Begleitung gewünscht ist.
Und dann gehst du – wie ich gestern – zum letzten Mal mit … und bist dankbar dafür, dass du rund 300.000 Schritte ganz dicht neben ihnen gehen durftest.
P.S: der Junior hat mein leidvolles Gesicht gestern bemerkt und gesagt („Vielleicht regnet’s ja mal voll, dann gehen wir noch einmal, ja Mama?!“)
Wie süß ist das denn bitte??!!!!
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von Kerstin Bamminger | Mai 22, 2020 | Allgemein, Leben, Selbstfürsorge
Nun sind die ersten Kinder also wieder zum teilweisen Schulbetrieb eingerückt, das erste Eis im Gastgarten ist verzehrt, es wurden Fußballtrainings mit Abstand genossen und endlich wurden die schmerzlich vermissten sozialen Kontakte wieder hergestellt.
Ein leichtes Aufatmen in der Gesellschaft ist spürbar. Und doch sind wir noch ein gutes Stück entfernt von der großen Erleichterung, dem Moment, wo ein riesiger Stein vom Herzen fällt.
Denn zu viele Menschen leiden immer noch unter verschiedensten Einschränkungen.
Was wir in dieser Krise gebraucht haben oder hätten, was uns auch in Zukunft dienlich sein kann, hab ich mir überlegt und hier nieder geschrieben.
Umweltschonendes Verhalten
Viele erinnern sich vermutlich an die Bilder im März, wo Delfine nah der Küste Spaß hatten, an das klare Wasser in Venedig und die traumhafte Verbesserung der Luftwerte durch den Shutdown. Dass die industrialisierte Gesellschaft endlich gezwungen ist, in mancher Hinsicht neue Wege zu gehen, nicht jeden (Kurzstrecken)Flug als selbstverständlich ansieht und mal kritisch hinterfragt, wohin uns die wirtschaftliche Globalisierung führt, ist ein Gewinn dieser Krise.
Ich wünsche mir, dass wir weiterhin Regionalität fördern, unsere Mobilität hinterfragen und wirtschaftliche Interessen mit Umweltthemen verbinden und mindestens ebenbürtig behandeln.
Lernfreudige Einstellung
In den letzten Wochen blieb vielen von uns nichts anderes übrig, als neue Dinge zu erlernen. Wie man Videokonferenzen abwickelt, wie man im Homeoffice überlebt, wie man Kinder einsperrt und gleichzeitig bei Laune hält, wie man ein erhöhtes Arbeitspensum unter erschwerten Bedingungen bewältigt und wo weiter – für jeden waren die Herausforderungen wohl ein wenig anders. Und für Viele waren diese Erfahrungen unangenehm, weil mit Angst und Unsicherheit behaftet.
Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr an unsere Lernfähigkeit glauben, dass uns diese Veränderung gelehrt hat, dass wir mehr schaffen, als wir denken und dass wir (wenn wir wirklich alles daran blöd fanden) zumindest die ursprünglichen Zustände wieder mehr wertschätzen können.
Menschliche Sensibilität
Man hat sich viele Gedanken gemacht über die Verletzlichen in dieser Gesellschaft – wir übten uns in Rücksichtnahme, besonders in Bezug auf die betagten Menschen hier und anderswo. Leider wurde auch sichtbar, dass wir immer noch auf diejenigen vergessen, die öffentlich wenig bis keine Interessensvertretung haben und deren gesundheitliche Schäden nicht gleich am Sterbe-Dashboard zu sehen sind: Kinder und Jugendliche. Wie viele von ihnen haben in dieser Zeit den Druck, die Anspannung und die Wut der Erwachsenen abbekommen und wurden schlecht oder unzureichend begleitet in ihren Ängsten und Sorgen?
Ich wünsche mir, dass wir menschliche Sensibilität nicht nur gegenüber Älteren aufbringen, sondern uns besonders auf die Realität der Jungen und Jüngsten einlassen können, die mit den Erfahrungen dieser Zeit noch sehr, sehr lange leben werden.
Kreative Lösungen
Angefangen bei einer Unzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten für Kinder (Klopapierrollenkunst, Indoor-Hindernisparcours, Garten-Skilift) über innovative Geschäftskonzepte (Lieferservice, Videokonferenzen, Online-Angebote) bis hin zu kreativen Ideen in Kunst, Kultur und Kirche (YouTube Gottesdienste, Take-away Whatever beim Wirtn, Jukebox in der Kirche, Video Übertragung von Konzerten) haben wir in der Phase des Lockdown viele frische Ideen gesehen. Not macht erfinderisch ist ein Spruch, der sich definitiv bewahrheitet hat und das darf uns zuversichtlich machen für was auch immer kommen mag: es gibt genügend Menschen, die stets Lösungen suchen, die immer wieder aufstehen und Wege finden, wie es weiter oder anders gehen kann.
Ich wünsche mir, dass wir diese Kreativität auch in Zukunft nützen, wenn wir Lösungen brauchen um mit (anderen) Schwierigkeiten umzugehen – sei es der Klimawandel, ein anderes Wirtschaftssystem zu etablieren oder bei der Bekämpfung von Ungerechtigkeiten.
Kritischer Geist
Kaum jemand hat wohl alle Maßnahmen und Erlässe der Regierung jederzeit vollends verstanden und hundertprozentig angenommen. Spätestens bei „private Treffen waren immer erlaubt“ muss sich der kritische Geist gemeldet haben, um zu fragen: Was ist hier eigentlich los? Welche Informationen werden uns hier gegeben oder bewusst vorenthalten? Wie wirkt der zielgenaue Einsatz von Emotionen auf die Gesellschaft? Warum gibt man uns nicht die Chance, Zahlen in einen Kontext stellen zu können? Welche Ziele werden hier tatsächlich verfolgt (und was ist das nächste Ziel, wenn das aktuelle erreicht ist)?
Ich wünsche mir, dass wir nicht nur in Krisenzeiten unseren kritischen Geist einschalten, sondern dass er uns immer begleiten möge und dass wir ganz genau hinschauen, was mit uns als Menschen passiert. Denken wir also immer daran, was das Heiligste und Grundlegendste unserer Gesellschaft sein sollte: die menschlichen Grundrechte. Nicht einmal im Angesicht einer Katastrophe dürfen sie wanken. Sie sind das Fundament unseres Zusammenlebens und brauchen dennoch Achtung und Schutz.
Und zwar von Jedem und Jeder von uns.
Weil man nicht davon ausgehen kann, dass sich alle Machthabenden jederzeit daran halten (aus welchen Gründen auch immer).
So weit meine kleine, persönliche Zusammenfassung des bisher Erlebten.
Wir brauchen weiterhin ganz viel Herz und ganz viel Hirn. Und – was natürlich höchst notwendig ist – eine große Portion Humor. Falls (und wenn) es mal wieder ähnliche Zustände geben sollte, werden wir dringend darauf angewiesen sein, dazugelernt zu haben und vorbereiteter und bewusster Maßnahmen zu setzen.
Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Wenn Jede*r seinen Teil dazu tut.
Was hast du in diesen Wochen erlebt, was du als „Lernerfolg“ verbuchen würdest?
Welche „schlauen“ Erkenntnisse wirst du in die Zukunft mitnehmen?
Schreib doch in die Kommentare und teile deine Erfahrung mit dem Schwarm!
von Kerstin Bamminger | Mai 15, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Gute Worte, Hilfreich, Leben
Am Montag werden sich die Tore für die jüngeren Schüler nach einer gefühlten Ewigkeit wieder öffnen.
Nicht für alle gleichzeitig – nein! Wir haben Pläne bekommen, welche Klassen an welchen Tagen durch welche Türen eintreten dürfen. Natürlich nur mit Schutzmasken und dem berühmten Mindestabstand.
Freudige Begrüßung mit Händeschütteln? Leider nein!
Den lang nicht gesehenen Freunden wieder in die Arme fallen? Fehlanzeige.
Ein berührendes Erlebnis der Freundin schildern? Ja, wenn ein Babyelefant dazwischen passt.
Ich will mal ganz ehrlich sein. Dieses Heim-Beschulungs-Dings war tatsächlich auch nicht hundertprozentig mein Fall. Obwohl die Kinder mit Lernmaterial versorgt waren, in unserem Fall sehr selbständig arbeiteten und unglaublich mit der Aufgabe gewachsen sind, war die Gesamtsituation doch für die Familie sehr belastend, zumal wir nicht über fünf Schreibtische oder noch besser Büros in Vollausstattung verfügen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf meine bzw. unsere verfügbare Arbeitszeit.
Dennoch: ich hab die Kinder gern unterstützt, sie mit Handlettering-Logbuch Vorlagen versorgt, wie früher schon geduldig beim Lernen geholfen, versucht, ihnen Struktur anzubieten. Die Kids haben „brav“ die meisten Aufgaben erledigt, auch wenn der eine oder andere Lernauftrag schon etwas fragwürdig war (z.B. Dreck aus den Schuhsolen kratzen, im Backrohr erwärmen und dann dokumentieren, was daraus wächst, wenn man ihn gießt. Sorry – für so etwas hatte ich echt keinen Nerv.)
What the f$§& ??!
Was ich aber – auch in hundert Jahren – beim „Distance Leraning“ nicht bieten kann ist der Kontakt zu einer Gruppe Gleichaltriger. Ja, wir haben (seit dem „private Treffen ja immer erlaubt waren“ ein paar Tage) eine Lerngemeinschaft mit einer Freundin der Tochter organisiert – aber eine ganze Klasse kann man nicht ersetzen.
Die Gemeinschaft, die Gaudi mit den Kameradinnen zwischendurch, das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, kann der Unterricht daheim schlicht und einfach nicht bieten.
Die Sozialkontakte, die Gespräche, der persönliche Austausch, sind auf digitalem Weg gefühlt oft nicht mal die Hälfte wert. Besser als Nichts, aber kein dauerhafter Ersatz.
Wenn also am Montag die Schultüren aufgehen, hoffe ich inständig darauf, dass die Schülerinnen und Schüler, die Pädagogen und wir alle begreifen: Schule ist ein Begegnungsort. Schule ist ein Ort, wo nicht nur Wissen in Köpfe gestopft wird (oder werden sollte) sondern ein Ort, wo das Leben stattfindet.
Gemeinsam Lernen, gemeinsam lachen, gemeinsam verzweifeln und sich wieder aufrappeln, gemeinsam streiten und sich versöhnen, gemeinsam etwas Neues erfahren und sich darüber unterhalten, gemeinsam forschen und gemeinsam Antworten finden. GEMEINSAM! Das ist die Stärke der Schule! Die Gemeinschaft.
Wer gute und positive Erinnerungen an die Schulzeit hat, hat meistens auch gute Gemeinschaft erlebt. Im besten Fall auch mit den Lehrpersonen. Weil Beziehung vor Bildung kommt. Weil ohne Beziehung auch die kompetenteste Lehrerin nichts an ihr Publikum vermitteln kann.
Ich hoffe inständig darauf, dass wir mit Menschenverstand und viel Empathie dem kindlichen und jugendlichen Verhalten begegnen und die Schule nicht zum Ort der polizeilichen Überwachung verkommen lassen!
Nicht weil es um Widerstand gegen (dennoch mittlerweile fragwürdige) Verordnungen geht, sondern um etwas VIEL Wichtigeres: um Gesundheit.
Nicht nur um körperliche Gesundheit, sondern auch um emotionale Gesundheit, um psychische Gesundheit, um geistige Gesundheit und seelische Gesundheit.
Gesundheit ist nicht nur unterm Mikroskop erkennbar, oder am Blutbild, einem Rachenbstrich durch Röntgen, Magnetresonanz, Computertomographie oder sonstige Gerätschaften feststellbar. Wenn wir nicht begreifen, dass psychische Erkrankungen uns genau so schädigen können wir ein Virus, dass seelische Wunden uns mindestens so schädigen wie körperliche Verletzungen das können, dann haben wir einen wesentlichen Teil übersehen.
Also denken wir daran, wenn wir ab Montag in den Schulen und sowieso schrittweise in einen natürlichen Begegnungsalltag zurückkehren: wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die Anderen um uns herum (nicht nur aus der Distanz) und beurteilen wir die Gefahr mit Augenmaß.
Ja, die Schule ist eine Bildungseinrichtung. Doch wer auch nur einen Funken Ahnung davon hat, weiß, dass Bildung über Beziehung funktioniert. Beziehung braucht Nähe.
Wenn schon körperlich nicht alles zugelassen wird, dann braucht es umso mehr emotionale Nähe.
Verständnis von uns Erwachsenen für kindliches Verhalten. Einfühlungsvermögen für Kinder, die in den letzten Wochen – durch die Bank – viel Frust erlebt haben, aus verschiedensten Gründen.
Viele dieser Kinder werden viele dieser Regeln kaum verstehen. (Wie übrigens ich auch.)
Seien wir ihnen als Erwachsene voraus, zeigen wir Empathie und sagen:
- „Ihr freut euch so sehr, euch wiederzusehen!“ statt „Auseinander!“
- „Du bist so aufgeregt, wieder hier zu sein, dass du am liebsten von einer Ecke zur anderen schießen möchtest!“ statt „Bleib endlich auf deinem Platz!“
- „Erzähl mal, wie es dir ergangen ist!“ statt „Schnell raus mit den Büchern, es gibt viel aufzuholen!“
- „Das ist ungewohnt für dich, das halbe Gesicht nicht zu sehen / zu verdecken!“ statt „Maske auf!“
Der Klassenvorstand unserer Tochter hat so treffend beschrieben: „Es geht jetzt nicht darum, möglichst nah am Lehrplan zu bleiben und viel zu erreichen. Es geht darum, WIE wir in dieser Situation miteinander umgehen.“
Immer noch und immer wieder.
So wünsche ich allen Kindern, die am Montag oder Dienstag oder irgendwann demnächst in die Schule zurückkehren eine Umgebung, die sie nicht feindselig und starrhalsig empfängt, sondern Personen, die mit viel Herz und Hirn agieren.
Am meisten wünsch ich es denen, die daheim niemand haben, der sie dann auffängt, weil der Haussegen (wegen Corona oder sowieso) schief hängt.
(Und dann wünsche ich ihnen, dass sie ganz bald wieder turnen und singen, was das Zeug hält, weil das für die psychische Gesundheit auch immens wichtig ist. Vielleicht wichtiger als Desinfektionsmittel. #justsaying)
Worauf freust du dich am meisten, wenn die Kinder zurück zur Schule dürfen?
Was kann Schule, was der Unterricht daheim nicht kann?
Ich freu mich, wenn du deine Erkenntnisse hier in den Kommentaren teilst!
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