Koffer für’s Leben – wenn Kinder langsam erwachsen werden.

Koffer für’s Leben – wenn Kinder langsam erwachsen werden.

Erwachsen werden geschieht nicht von heute auf morgen. Die schwierige Phase des Prozesses vom Nicht-mehr-Kind-sein bis zum Jetzt-bin-ich erwachsen-Gefühl spürt sich für die Jugendliche:n oft unsicher, wackelig und verschwommen an. Umso schöner ist es, wenn man ihnen mit kleinen Ritualen und Festen ein wenig mehr Klarheit schenken kann, ein positives Zeichen gibt und ihnen damit auch Halt vermittelt.
Zum zweiten Mal haben wir als Eltern einem Kind den sogenannten „Koffer für’s Leben“ gepackt und hier teile ich heute mit dir, was wir darin versteckt haben mit vielen kleinen symbolischen Geschenken.

Gestern war es hier so weit und wir haben das Erwachsen-werden in unterschiedlicher Form mit unserer Mittleren gefeiert. Es ist auch als Mutter für mich ein schöner, emotionaler und intensiver Prozess, mich auf dieses Ritual vorzubereiten und mich so bewusst auf das Kind, seine Talente und Besonderheiten einzulassen.
Und so haben wir voller Freude gestern folgende Dinge an unsere Tochter übergeben und dürfen jetzt noch mehr und mehr vertrauen, dass das, was wir ihr bisher schon mitgegeben haben, reicht für ein gutes Leben als Erwachsene. Diese Dinge haben wir eingepackt:

OPTIMISMUS & EINSATZBEREITSCHAFT (Bleistift und Papier)
„Deine Gene sind höchstens Bleistift & Papier. Welche Geschichte du damit schreibst, liegt in deinen Händen“ sagt Genforscher Markus Hengstschläger. Du bist mit so vielen wunderbaren Talenten gesegnet und definitiv eine originelle Persönlichkeit. 

Wir wünschen dir stets ausreichend Optimismus, dass du an dich selbst glaubst und deine Fähigkeit, einen Unterschied zu machen wenn du nur bereit dazu bist, dich aus vollem Herz und mit ganzer Kraft dafür einzusetzen.

SINNLICHKEIT & GENUSSFÄHIGKEIT (Crinkle Cups)
Das Leben ist dazu da, um geliebt zu werden und dabei ist „Genuss“ ein wichtiges Element. Wenn du schöne Musik hörst, ein cooles Outfit findest, dir den Rücken kraulen lässt, eine schöne Aussicht vor dir hast oder schmackhaftes Essen genießen möchtest, braucht es Hingabe und wache Sinne. 

Wir wünschen dir, dass du das Leben immer wieder genießen und dich den sinnlichen Freuden bewusst hingeben kannst. Dadurch kannst du zufrieden und glücklich sein und dir selbst immer wieder was Gutes tun (… oder uns, wenn du wieder mal was Leckeres bäckst!).

MEINUNG & FREIHEITSLIEBE (Spitzer)
Die freie Meinung ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft. Da das Leben oft aus Gegensätzlichkeiten besteht, ist es wichtig und verantwortungsvoll, sich eine Meinung zu bilden, mitzudenken und manchmal auch: Position zu beziehen. Zum Beispiel, wenn Menschen ungerecht behandelt werden, wenn sie diskriminiert oder herabgewürdigt werden, darf das aufgezeigt werden.

Wir wünschen dir, dass du immer wieder Meinungen (auch deine eigene) kritisch hinterfragst und nicht abstumpfst gegenüber anderen Menschen und ihren Schicksalen und stets deinen Blick schärfst, wo diese Freiheit in Gefahr gerät.

FEHLERKULTUR & ERFAHRUNGEN (Radiergummi)
Als Menschen sind wir lebendige Wesen. Und wo gelebt wird, da passieren auch Fehler. Sie sind wichtig für unsere Weiterentwicklung und unser Wachstum und ermöglichen uns, aus diesen Erfahrungen zu lernen. 

Wir wünschen dir, dass du liebevoll auf die Unvollkommenheit und Pannen im Leben schauen kannst, sie als Erfahrungen in dein Herz schließt und für alles, wo du noch mal von vorn anfangen möchtest: einen Radiergummi und einen guten Neustart.

AUSZEITEN & PAUSEN (Faultiersocken)
Wir leben immer noch in einer relativ heftigen Leistungsgesellschaft – das hast du ja auch in der Schule schon feststellen dürfen. Neben dem aktiven Tun und deinem wichtigen Beitrag für diese Welt brauchst du vor allem eins: Zeit für’s Nichtstun und regelmäßige Pausen. 

Wir wünschen dir, dass du dich immer als wertvollen Menschen erlebst, egal wie produktiv du eventuell gerade bist, dass du dir Pausen nimmst und zugestehst. Mögest du diese Pausen mit Dingen, Menschen oder in der Natur verbringen und wenig mit Bildschirmen und den darin entstandenen Scheinwelten. 

MUT & ZUVERSICHT (Mutmach-Karten)
Die besten Dinge im Leben beginnen mit Mut. Du brauchst Mut, um dich aus deiner Komfortzone heraus zu bewegen, damit du wachsen kannst, neue Erfahrungen machst und andere Facetten an dir kennenlernst. Manchmal brauchst du vielleicht Überwindung, doch es zahlt sich aus, wenn du zu dir selbst stehst und zuversichtlich bleibst.

Wir wünschen dir, dass du jeden Tag neu entdeckst, wie grandios und großartig du bist – dass du diese Welt für uns und viele andere Menschen zu einem besseren Ort machst und unendlich wertvoll bist. Und wenn du mal einen Moment lang zweifeln solltest, haben wir hier was für dich.

GRENZMANAGEMENT (Reispasshülle)
Deine Freiheit hört auf, wo die Freiheit anderer beginnt. In diesem Sinn ist es immer wieder notwendig, sich über eigene und persönliche Grenzen Gedanken zu machen. Bisher haben wir als Eltern viele deiner Grenzen für dich geschützt und diese Aufgabe übernimmst du mehr und mehr für dich selbst.

Wir wünschen dir, dass du jederzeit selbstbewusst deine Grenzen aufzeigen kannst und Menschen diese auch achten und dass du selbst auch feinfühlig und sorgsam mit den Grenzen deiner Mitmenschen umgehen lernst. Denn Grenzüberschreitungen sind nur in einem Fall gut, erlaubt und absolut empfehlenswert: wenn du dieses Ding dafür brauchst!

ENERGIE & DURCHHALTEVERMÖGEN (Traubenzucker)
Es gibt sie: die wirklich anstrengenden Phasen im Leben. Wo einfach nichts glatt läuft und alles so mühsam erscheint. Nach kleinen Auszeiten und Pausen braucht man wieder einen Energie-Kick, eine Portion Motivation und oft auch bei lang andauernden Aufgaben und Projekten: ein passables Durchhaltevermögen.

Wir wünschen dir, dass du immer wieder eine Quelle der Energie für dich findest, die dir die Motivation und den Elan schenkt, damit du deine gewünschte Ziellinie erreichst. Egal, wie diese Quelle dann genau beschaffen ist: Hauptsache, du weißt, wie und wo du sie findest.

BEGEISTERUNG & FEUER (Anzünder)
Mit Begeisterung geht einfach alles im Leben einfacher, leichter und schneller. Für dein Gehirn ist Begeisterung wie die Gießkanne für einen Blumenstock – wichtig und notwendig, wenn es sich gut entwickeln soll.

Wir wünschen dir einerseits, dass es immer etwas in deinem Leben gibt, dass deine Begeisterung weckt und ankurbelt, dein inneres Feuer so richtig entfacht. Und dass du andererseits auch mit deinem Feuer, deiner Leidenschaft für Dinge andere Menschen begeisterst, sodass sie Feuer und Flamme werden können. Beides ist eine unglaublich schöne Erfahrung, die wir dir ganz oft gönnen.

ACHTSAMKEIT & FREUDE (Glasuntersetzer und Freudenglas)
Wir planen voraus und schwelgen in oft in Erinnerungen. Beides kann schön sein, doch das Leben passiert im Jetzt. Das Leben gestern ist Geschichte, der Tag morgen ist ungewiss und das meiste davon können wir nicht (mehr) beeinflussen. 

Wir wünschen dir, dass du ganz oft im Jetzt leben kannst, dass du Augenblicke genießt und in deinem Herzen abspeichern kannst, dass du viele glückselige Momente der Freude sammelst und so dein inneres „Freudenglas“ immer eher halb voll als halb leer betrachten mögest.

MEINUNGSFREIHEIT & TOLERANZ (Regenbogen-Fächer)
Menschen sind verschieden und noch viel individueller und bunter wie die Farben des Regenbogens. Oft denken wir zu sehr in schwarz und weiß, weiblich oder männlich, ja oder nein, ganz oder gar nicht und dabei vergeben wir die Chance auf mehr Vielfalt im Leben – auch wenn wir andersdenkende, anderslebende, andersliebende Menschen nicht immer verstehen können.

Wir wünschen dir, dass du dir dein offenes Herz und einen offenen Geist bewahrst und Unterscheidlichkeit und Meinungsverschiedenheiten stets als Gelegenheit für Wachstum und Reifung betrachten kannst. Und dass es dir gelingt, andere ihr so-sein zu lassen.

FINISHER QUALITÄTEN (Notizbuch „Last Minute“)
Es gibt Leute, die haben unfassbar gute Ideen und bringen diese oft nicht zu Ende. Du bist eine, die die „Finish-Line“ in Sichtweite braucht, um ihre Sachen fertig stellen zu können und beweist außerordentlichen Ehrgeiz und enormes Engagement, was deine Aufgaben betrifft.

Wir wünschen dir, dass du das Meiste im Leben fertig stellst, wenn du es begonnen hast und dir den Feuereifer bewahrst mit dem du Aufgaben am letzten Drücker erledigst. Und falls du dir mal mehr Organisation oder eine Möglichkeit zum Gedanken / Aufgaben-niederschreiben wünscht, haben wir DAS für dich.

FEMININE POWER (Zyklusbuch)
Du bist jetzt eine erwachsene Frau und nun auch spürbar deutlicher ein zyklisches Wesen, über deinen Körper mit der Natur verbunden. Jeden Monat erlebst du unterschiedliche Phasen, die dich mit unterschiedlichen Stärken deiner Weiblichkeit in Berührung bringen. Mit deinem Zyklus kannst du dein volles Potenzial ausschöpfen und immer wieder neu lernen, dass diese verschiedenen Facetten ein Teil von dir – und der Natur – sind.

Wir wünschen dir, dass du dein Frausein genießt, die Kraft des weiblichen Zyklus immer wieder als Geschenk erlebst und so oft wie möglich im Einklang mit deinem Körper sein kannst, ihn achtest und ehrst wie einen heiligen Tempel. Beschütze und schütze ihn, denn er gehört dir und nur dir allein. DU bist einzigartig und wunderbar, kraftvoll und vollkommen, wie ein weiblicher Monatszyklus.

HALTUNG (Nackenkissen)
In der Welt sind wir ständig gefordert uns mit komplexen und vielschichtigen Themen auseinander zu setzten, kritisch zu hinterfragen, sich eine Meinung zu bilden und dann dahinter zu stehen. So setzen wir uns mit unseren inneren Werten und Haltungen auseinander und stärken dabei auch unseren Charakter.

Wir wünschen dir, dass du stets Herz und Hirn dabei hast, wenn du dir Meinungen bildest und manchmal auch „gegen den Strom“ schwimmen lernst, wenn dein Gefühl dir sagt, dass das das Richtige für dich ist. Und wenn es ungemütlich und stürmisch da draußen wird, hol dir Unterstützung und Stärkung und gehe stolz und erhobenen Hauptes weiter.

HUMOR (Kichererben)
Der Ernst des Lebens holt uns Menschen im Alltag viel zu schnell und viel zu oft ein. Es ist gefühlt viel öfter ein „müssen“ als ein „wollen“ und wenn’s eng wird, dann hilft vor allem eins: eine gute Prise Humor.

Wir wünschen dir von Herzen, dass du dir dein wunderbares Lachen behältst, du selbst das Leben immer wieder mal locker nehmen und über dich selber schmunzeln kannst. Und dass du stets von Menschen umgeben bist, die dich zum Kichern bringen und mit dir Spaß haben können, vor allem dann, wenn dir das Lachen grad etwas vergangen ist. Humor ist die beste Medizin – in den allermeisten Lebenslagen. 

Das wichtigste zum Schluss. Du wirst in deinem Leben viel aus eigener Kraft schaffen, planen, organisieren und zustande bringen. Du hast viel in der Hand und darfst dich selbst als die Gestalterin deines Lebens begreifen.

Wir wünschen dir von Herzen etwas, dass du dabei auch immer brauchst: nämlich den Segen von oben, eine schützende Hand und die Zusage von Vater und Mutter Gott, dass du getragen bist, gesegnet und gehalten. Du bist heute gesalbt worden und darfst auf Gott in all seiner Vielfalt zählen … und wir hoffen, dass er ganz oft im Leben für dich spürbar ist: in Dingen, in der Natur und in Menschen, die deinen Lebensweg begleiten. 

 

Falls du nun Lust bekommen hast, dieses kleine Ritual mit deinem Kind nachzumachen: wir haben alle Dinge einzeln und schön verpackt und in den Koffer gegeben mit der jeweiligen Beschriftung. Sie durfte sich suchen, was wir ihr in der Reihenfolge gesagt haben und bevor sie das Symbol ausgepackt hat, haben wir den Text abwechselnd als Mutter und Vater vorgelesen.

Die Idee ist ausdrücklich zum Nachmachen gedacht. Ich freu mich, wenn viele Jugendliche solche oder ähnliche stärkende Feste mit den vertrauten Erwachsenen feiern dürfen. Gerne stelle ich auch auf Anfrage individuelle Ideen samt Texte zusammen, damit sie zu DEINEM Teenager passen, den oder die du beschenken möchtest.

Was haben deine Eltern DIR eigentlich wertvolles eingepackt und mitgegben – wenn auch nicht so klar und offen ausgesprochen wie hier?
Lass gern einen Kommentar hier, ich freu mich drüber!

Wenn die Anspannung nachlässt – 6 Tipps für das finstere Tal

Wenn die Anspannung nachlässt – 6 Tipps für das finstere Tal

Lockerungen, Erleichterungen, Aufatmen. Warum fühl ich mich gerade jetzt, wo das „Schlimmste“ vorüber ist, so fürchterlich? Warum kann ich mich nicht einfach freuen, dass wieder „mehr geht“? Dass wir endlich wieder zusammen lachen, auswärts essen, gemeinsam tanzen können und das auch „offiziell“ geduldet wird? Gerade nach einer Krise ist bei vielen Menschen die Luft draußen – sie können nicht mehr. Warum das so ist? Dieser Frage gehe ich heute am Blog nach und hab sechs Tipps für dich, wie du so ein finsteres Tal womöglich überwinden kannst.

DAS GANZ NORMALE LEBEN

Ich war kürzlich mit einer lieben Freundin abends lecker essen. Einer der ersten lauen Sommerabende, ein angenehmer Sitzplatz draußen und rund um uns das Treiben der belebten Innenstadt. Es kamen fast schon Urlaubsgefühle auf, so schön war das. Und in dem Moment hab ich erst gemerkt, wie sehr ich das tatsächlich vermisst hab, in den vielen Monaten zuvor. Zwar nicht das Gastgarten-Sitzen im Jänner aber das ganz „normale“ Leben.

WARUM JAMMERN WIR HIER?

Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit sind aber längst keine Selbstverständlichkeit. Ich beobachte derzeit, dass es vielen Menschen so geht, dass sie jetzt in ein Loch fallen, die Nerven verlieren, ausgelaugter sind als im Lockdown und darüber hinaus die Welt nicht mehr verstehen, weil: jetzt haben wir’s doch geschafft, oder? Wieso jammere ich?! Sollt es mir nicht eigentlich gut gehen?

Besonders, wenn wir vermeintlich „wenig“ Schaden davon getragen haben, nicht oder nur leicht erkrankten, keine existenziellen Sorgen haben und „eh immer so viel möglich war“, wie neulich ein junger Pharmaziestudent voller Unverständnis zu mir gemeint hat. 

WARUM GERADE JETZT?

Wem’s „gut“ geht, der darf sich also nicht schlecht fühlen? In einem spannenden Gespräch mit meiner Gynäkologin war das neulich auch Thema. Sie meinte, ihre Patientinnen, die teilweise schwere Schicksalsschläge ertragen, Krankheiten erleiden oder andere Diagnosen bekommen, DENEN geht’s schlecht. Aber doch nicht uns, die Haus und Garten haben und arbeiten gehen dürfen und sowieso irgendwie privilegiert sind. 

Nun ja. So einfach ist das eben nicht. Denn niemand auf der Welt ist vor Krisen, Depressionen oder einfachen Talfahrten im Leben gefeit. Das psychische Empfinden hängt nicht immer unmittelbar mit gesellschaftlichem Status, Besitz oder Bildung zusammen. So weit, so logisch. Doch warum gerade jetzt, wo doch alles lockerer wird?

BEIM LOSLASSEN DEN HALT VERLIEREN

Die Psychologie hat einen Namen (oh, welch Überraschung) für dieses Phänomen, es nennt sich Entlastungsdepression. Während manche Menschen in der Phase der Anspannung und Überlastung psychische Erkrankungen entwickeln, ist das bei anderen genau umgekehrt. Sie trifft es nachher, wenn die Spannung weniger wird und der Druck sinkt. Wenn man so lange funktioniert hat und alles menschenmögliche getan hat, damit die Dinge weiter laufen. Wenn diese enorme Belastung geschafft ist, dann kann man loslassen und dabei verlieren Menschen auch vorübergehend den Halt.

Falls du dich selbst auch gerade so fühlst, hab ich sechs kleine Tipps für dich, die dir durch diese Talsole helfen können. Besonders hervorheben möchte ich Nr.4, denn kein Blog, kein Zeitungsartikel oder Selbsthilfebuch kann eine kompetente, fachliche Unterstützung ersetzen.

1. VERSTÄNDNIS

Es ist, wie es ist. Wenn es dir jetzt nicht gut geht, erkenne das an und versuche, es zu akzeptieren. Wer mit der Realität streitet, ist immer der Verlierer, heißt es. Und auch wenn es für andere oder dich selbst völlig unsinnig erscheint, dass es dir ausgerechnet jetzt schlecht geht:

DU hast Recht. Wenn DU dich so fühlst, ist es für dich wahr. Und mit dir ist immer noch alles richtig. Der Mensch (und vor allem die Psyche) ist ein Phänomen und jeder ist verschieden. Sei freundlich zu dir selbst, damit hilfst du dir tatsächlich weiter.

2. ANDANTE MIT PAUSEN

Du hast vielleicht jetzt monatelang auf verschiedene Dinge verzichtet: geliebte Lauftreffs, live Yogastunden, die Musikproben, Mädelsabende, deinen Stammtisch oder das Bürogeplänkel am Arbeitsplatz. 

Das macht sich bemerkbar und fehlt, weil wir weniger auftanken konnten. Vor lauter Funktionieren hat man nicht Zeit gehabt: zum Anhalten, Durchatmen, Pause machen. 

Pausen gehören zum Leben, wie zur Musik. Die letzten Monate waren ein einziges „Presto“, eine Note nach der anderen, in schneller Geschwindigkeit. Die meisten von uns können jetzt ein „Andante“ gebrauchen: gemächliches, schreitendes Tempo und vor allem: großzügige Pausen.

3. GEDULD

Besonders, wenn wir krank sind, uns schlecht fühlen, traurig sind oder Beschwerden haben, wünschen wir uns, dass es bitte, bitte schnell vorbei geht. Darum boomen auch Pulverchen, Tabletten und Wundermittel, die versprechen, uns auf Knopfdruck einfach wieder herzustellen. Liebe Grüße an Dr. Böhm, der am liebsten jeden Morgen durchs Radio ein paar Tabletten servieren würde.

Ja, manchmal braucht es auch gute Arznei. Und was wir auch brauchen, ist Geduld. (#notetoself) Weil Heilung und Regeneration Zeit brauchen. So wie ein Handyakku eben seine Zeit benötigt, um 100% zu erreichen, du an der Zapfsäule nicht schneller tanken kannst auch wenn du’s eilig hast, und es halt dauert, bis ein guter Kuchen schön aufgeht. Und vielleicht gelingt es dir, neu zu lernen, geduldig zu sein. Und es auch ein bisschen zu genießen. 

4. HILFE HOLEN

Egal, wie schlecht es dir gehen mag. Du brauchst es nicht allein auszuhalten. Es gibt Hilfe, die du dir holen kannst und holen darfst und holen sollst. Allein im dunklen Tal zu wandern ist allemal trauriger und deprimierender als mit jemandem an der Seite. Der Weg wird dadurch nicht unbedingt kürzer, aber möglicherweise ein bisschen heller und wärmer.

Lass dich aufrichten – von Familie, Freunden, Menschen, die’s gut mit dir meinen oder jenen, die das professionell machen und können. Sei dir sicher: Da ist jemand. Und er oder sie ist nur einen Anruf entfernt. 

5. SELBSTFÜRSORGE

Ich weiß: selbst dazu fehlt dir oft der Antrieb. Und auch auf der Couch liegen und nix tun, kann selbstfürsorglich sein, ein einfaches Telefonat mit einer Freundin, oder Ohrstöpsel rein und Musik an. Und wenn das alles nicht angenehm klingt, frag dich doch: WAS möchte ich denn gern jetzt tun? Und schau, was sich machen lässt.

Wenn du ein erwachsener Mensch bist, übernimm diese Verantwortung, schau und achte auf dich selbst. Sonst macht das womöglich niemand.

6. EIN GUTER TAG

Wenn das Tal, in dem du gerade wanderst, sehr finster ist, dann ist es eventuell schwer, einen Lichttupfer zu erkennen. Doch wenn du am Ende eines Tages fünf Minuten Zeit verwendest, um darüber nachzudenken: „Was war heute gut?“ , dann bin ich überzeugt, dass du irgendetwas findest, auch wenn diese Sache noch so einfach ist. Dankbarkeit ist Übungssache und kann gelernt werden. Und ich bin fast sicher, dass du auch ehrlich dankbar bist, falls du …

… ein Dach über dem Kopf hast.
… heute zu essen bekommen hast (oder selbst gekocht hast).
… den Luxus von fließendem Wasser (in Trinkqualität) kennst.
… einen Menschen hast, den du magst.
… jemanden kennst, der dich mag.
… geatmet hast und überlebt hast.

UND DANN …

Und dann, wenn du durch dein Tal gewandert bist, so lange wie es eben für dich gebraucht hat, dann kommt die Leichtigkeit und Lebensfreude auch wieder zu dir zurück. Dann wirst vielleicht auch du wieder fröhlichen Herzens an lauen Sommerabenden durch eine belebte Innenstadt schlendern und da vielleicht zwei Freundinnen sitzen sehen, denen das Essen vor lauter Quatschen kalt wird. Und all die anderen Menschen, die sich gerade ihres Lebens freuen. 

Der Kuchen der Verantwortung – 4 Tipps dazu!

Der Kuchen der Verantwortung – 4 Tipps dazu!

Verantwortung übernehmen. Wie lernt man das eigentlich? Erwachsene Menschen haben oft genug davon, wollen nicht noch mehr übernehmen und finden es belastend oder schwer, Verantwortung zu tragen. Kinder hingegen streben jedoch auf natürliche Weise danach, mitzubestimmen und selbst zu bestimmen. Erinnerst du dich, wie du manche Dinge als Kind kaum erwarten konntest: so lang aufbleiben, wie man will, selbst bestimmen, was eingekauft werden soll, was in der Freizeit unternommen wird?
Ich hab heute 4 Tipps für dich, wie Verantwortung gelernt wird, welche Rolle Eltern dabei spielen und wie wir sie in ein positives Licht rücken können.

KINDLICHE TRAUMATA

Selbstgemachter Ribiselsaft. Den gab’s in meiner Kindheit stets in rauen Mengen, weil so viele Ribiselstauden vorhanden waren, die Früchte verarbeitet und die durstige Kinderschar damit gestillt werden sollte. Ich hab direkt eine Aversion gegen diesen Saft entwickelt, weil es „nie“ (in meiner kindlichen Erinnerung) was Anderes gab. So oft dachte ich mir: wenn ich groß bin, kaufe ich mir nur Orangensaft oder Apfelsaft im Tetrapack. Heute bin ich leidenschaftliche Wassertrinkerin und das kindliche Trauma vom Ribiselsaft hab ich so gut wie überwunden.

UND KINDLICHE TRÄUME

Granny Smith Äpfel. Es gab diese berühmte Zahnpasta-Werbung, wo man in den Apfel beißt, ohne Zahnfleischbluten zu haben, vielleicht erinnerst du dich. Jedenfalls fand ich diese Äpfel so gusterlich, ansprechend und geschmackvoll. Und wir hatten dauernd österreichische Äpfel, die auch mal einen Fallschaden hatten oder Flecken und Beulen und mir viel weniger gut erschienen als die leuchtend grünen, perfekten Grannys. 
Es war so eine schöne Vorstellung, erwachsen zu sein und eines Tages ein Kilo Granny Smiths und ein 12-er-Tray Orangensaft zu kaufen, weil es das Gefühl beinhaltete, selbst bestimmen zu dürfen.

ZWISCHEN KINDLICHEM TRAUM UND ERWACHSENER REALITÄT

Tja, rate mal. Ich hab, wenn’s hoch kommt, zwei mal in meinem Leben diese Äpfel gekauft. Weil mir als junge Erwachsene bewusst wurde, dass Regionalität und Geschmack gut zusammenpassen und wir sicher nicht Obst, das auch bei uns wächst, aus Australien importieren müssen oder sollten. Zwischen dieser kindlicher Traumvorstellung und erwachsener Realität stecken einige Jahre Entwicklung und Reifung. Was mir jedoch an diesen Beispielen bewusst wird: Kinder wollen gern Verantwortung lernen und übernehmen. Und es braucht gute elterliche Führung je nach Alter und Entwicklung, damit diese Übernahme gut klappt. Das erkläre ich gern anhand eines Bildes.

Verantwortung …

… ist wie ein Kuchen, den man am Beginn des Lebens für das Kind komplett übernimmt.
Im Lauf der Zeit wird er übergeben. Stück für Stück. Behutsam. Begleitet. Mit Vorbereitung.
Damit die Übernahme gelingt.

Bildquelle: Canva

DER KUCHEN DER VERANTWORTUNG

Als Eltern übernehmen wir bei der Geburt unseres Kindes die komplette Verantwortung. 100 Prozent. Den ganzen Kuchen der Verantwortung. Weil Neugeborene praktisch gar nicht für sich selbst sorgen können. Im Lauf der Entwicklung ist es wichtig und richtig, dem Kind kleine Stückchen dieser Verantwortung für sich, zu übergeben. Je nach Alter und Reife kann das auch unterschiedlich schnell gehen und die Stücke können verschieden groß sein. Denn eins ist fix: wer ewig als Elternteil alles mögliche „übernimmt“, nicht „abgibt“ und dann erwartet, dass das Kind mit 18 Jahren die ganze Torte auf einmal nimmt und gut damit umgehen kann, der könnte ein blaues Wunder erleben.

WAS KANN DAS KIND WANN

Beispiele für Dinge, die Kinder praktisch von Anfang an selbst bestimmen sollen dürfen: 

  • wie viel körperliche Nähe ich von wem möchte
  • was und wie viel ich esse und trinke
  • die Länge der Haare

Anfangs braucht es da auch gute elterliche Beobachtung und Interpretationskompetenz – ich hab das ja schon mal ausführlicher beschrieben. Kinder wollen mitbestimmen und zeigen das auch, darauf darf man sich verlassen. Diese Zeichen sind wichtige Indikatoren für das elterliche Handeln und Antwort auf die Frage: „Ja, wann kann das Kind denn nun …………… allein das Gewand wählen / mit der Schere schneiden / allein zur Schule gehen / die Schlafenszeit selbst bestimmen … (- bitte beliebig einsetzen)?“

Ich gebe gern als Empfehlung mit: wenn das Kind etwas selbst übernehmen möchte und das zum Ausdruck bringt, ist zumindest ein Teil der Aufgabe auch für den Nachwuchs zu bewältigen.

Tipp 1: eine Vorauswahl treffen

  • Gewand alleine aussuchen?
  • Freizeitprogramm wählen?
  • Speiseplan bestimmen?

Wenn Kinder vor dem gesamten Spektrum stehen und sich was aussuchen wollen, sind sie je nach Alter damit (heillos) überfordert. Triff als Elternteil eine für dich passende Vorauswahl, unser diesen 2-3 Möglichkeiten können sich die Kinder dann entscheiden. So wahrst du deine Führungskompetenz UND das Bedürfnis nach Mitbestimmung des Kindes.

Tipp 2: sie gut anleiten

  • Mit scharfem Messer schneiden?
  • Auf das hohe Klettergerüst steigen?
  • Freihändig Radfahren?

Wenn man einfach sagt: „Ja, probier’s halt! Wirst schon sehen, dass das schwer ist!“ ist das keine Stärkung, den nächsten Schritt zu gehen. Sag deinem Kind genau, wie du vorgehst, worauf du achtest, was du im Blick hast, worauf du dich konzentrierst, wenn du dies oder jenes tust. Gib hilfreiche Infos und leite an, wie die Aufgabe zu schaffen ist! So werden sie stark für die anstehende Challenge.

Tipp 3: lass dich überzeugen

  • Allein zur Schule gehen?
  • Mit dem Rad allein im Ort herumfahren?
  • Medienzeit selbst bestimmen?

Wir Eltern sind oftmals skeptisch, ob unser Kind das schon bewältigen kann. Statt gleich „Nein!“ zu sagen, ist es förderlicher, wenn das Kind eine Chance (oder mehrere) erhält, dich davon zu überzeugen. Begleite das Kind dabei oder lasse dir zeigen und beschreiben, wie es wann was macht und wie es vorgehen möchte. Wenn dein Sicherheitsgefühl (halbwegs 😉 erfüllt ist, dann geht’s zu 

Tipp 4: vertrauen lernen

  • Bei der Freundin übernachten?
  • Eine Zugfahrt alleine machen? 
  • Das erste Mal fortgehen?

Zugegeben, dem Kind zu vertrauen klingt oft idyllischer als es ist, weil wir mit unseren eigenen Ängsten, Bildern und Glaubenssätzen konfrontiert werden. Doch wenn wir wollen, dass sie verlässliche, starke und bewusst handelnde Erwachsene werden, dann dürfen wir auch mal über unseren Schatten springen. Nur wenn wir sie loslassen, können sie in ihre wahre Größe kommen. Nur wenn wir ihnen viel zutrauen und auch zumuten, werden sie stark und widerstandsfähig.

KEINE EINBAHNSTRASSE

Der Kuchen der Verantwortung wird also Stück für Stück übergeben. Ein wichtiges Detail dabei ist allerdings: das ist keine Einbahnstraße. Wenn ich als Elternteil merke, das Kind kann es trotz guter Anleitung, entgegengebrachtem Vertrauen und einem passenden Rahmen dennoch nicht (was auch immer es dann ist), dann ist es Zeit, dieses eine Stück Verantwortung wieder zurück zu nehmen. „Ich sehe, du brauchst hier noch Unterstützung. Ich helfe dir, daran zu arbeiten, dass du es bald selbst schaffst.“ Zum Beispiel. Ohne Groll. Möglichst ohne Ärger. Und ganz wichtig: ohne Vorwurf oder Schuldzuweisungen. Das Leben basiert oft auch einfach auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Fehler sind keine Schwächen, sondern Gelegenheiten, dazu zu lernen.

LEAN BACK & RELAX

Was ich dir neben den entstehenden Erfahrungen auch wünsche, vor allem aber deinem Kind, ist: dass Versuche gelingen, Vertrauen sich bezahlt macht, du überrascht und überzeugt wirst und du mit Freude und ein wenig Genugtuung zusehen kannst, wie sie mehr und mehr von diesem Kuchen annehmen. Dass sie den Kuchen genießen, sinnvoll verwenden und für sich nützen. Weil Verantwortung immer auch bedeutet, dass man Spielraum zum Gestalten bekommt und hat. 

Und, um das auf die Eingangsgeschichte zu übertragen: ich habe heute selbst Ribiselsträucher und mache köstliche Marmelade daraus. Keinen Saft. Ich kaufe ausschließlich österreichische Äpfel (am liebsten direkt beim Bauern). Und ich freu mich, dass ich so viele Dinge in meinem Leben tatsächlich selbst in der Hand hab.

Bei welchem Stück des Kuchens tust du dir (gerade) schwer beim Abgeben?
Schreib gern einen Kommentar oder frag mich am MAMAtelefon, wenn du persönlichen Support möchtest!

Ich parke meine Welt

Ich parke meine Welt

Die Emotionen gehen hoch, es wird laut unter den Diskutierenden und schneller als sonst gehen die Gespräche in eine eskalierende Richtung, wo sich Fronten verhärten und jedes Verständnis für den anderen und dessen Meinung verloren geht.
Es gibt eine einfache und deeskalierende Strategie, wie man sich verhalten kann, wenn man aus solchen destruktiven Kommunikationsmustern ausbrechen möchte. Sie hat mit einem Parkplatz zu tun und heute und hier stelle ich sie dir vor.

DIE NERVEN LIEGEN BLANK

Wer kennt es nicht? Besonders in den letzten Monaten gibt es kaum Menschenrunden, in denen das C-Thema nicht aufklappt und zu herzhaften Debatten führt. Das Thema berührt uns, jede und jeden von uns auf eigene Weise und praktisch niemand kann sich ganz davon entziehen. Nun sind ja Gespräche grundsätzlich etwas Gutes, etwas, woraus wir lernen und und weiter entwickeln können, doch in diesem Fall hab ich beobachtet, dass es sehr oft viel zu zerstörerisch wird unter uns. Die Nerven liegen blank und unsere Diskussionskultur leidet darunter.

ES IST KALT GEWORDEN, DA DRAUSSEN

Mal ehrlich. Gespräche zwischen Menschen, die sich nicht regelmäßig begegnet sind, verlaufen zur Zeit anfangs mit einem guten Maß an Vorsicht. Wir tasten uns langsam vor, weil wir vielleicht anfangs noch nicht genau wissen, wie das Gegenüber zum Spaltpilz der Gesellschaft, eventuellen Maßnahmen und Lösungsansätzen steht. Dieses Virus befällt nicht nur Körper, Zellen und überlebenswichtige Organe, sondern schwächt vielmals auch unsere sozialen Fähigkeiten und unser aufeinander-zugehen. Längst klatschen wir nicht mehr füreinander oder erfüllen in großherziger Nächstenliebe irgendwelche Gefälligkeitsdienste. Es ist kalt geworden, da draußen.

IM AUGE DES BETRACHTERS

Unterschiedliche Läger betrachten diese durchaus komplexe Situation aus verschiedensten Richtungen und je nach Blickwinkel gibt es viele richtige Ideen und Ansätze. Was ich schmerzlich vermisse ist die achtsame und respektvolle Kultur miteinander umzugehen, denn für hochkomplexe Probleme in einer hochkomplexen Gesellschaft kann es nun mal keine einfachen Lösungen geben, auch wenn wir uns das noch so sehr wünschen. Um differenzierte und menschenfreundliche Zukunftswege zu entwerfen, brauchen wir die Überzeugung, dass andere Menschen andere Dinge für gut und richtig befinden und es die Freiheit braucht, diese auch zu leben. Weil es im Auge des Betrachters liegt, wie man Probleme empfindet.

DAS LEBEN IST KEINE EINBAHNSTRASSE

Was in allen möglichen Debatten derzeit passiert, ist, dass Druck aufgebaut wird, dass mit schlechtem Gewissen gearbeitet wird und gesamtgesellschaftlich alle möglichen Kniffe aus der psychologischen Trickkiste angewendet werden, um eine bestimmte Marschrichtung erreichen zu können. Doch Druck erzeugt Gegendruck und noch mehr Zweifel und gegenseitiges Unverständnis und wenn wir diese Zeiten als Gemeinschaft halbwegs gut überstehen möchten, täten wir gut daran, wieder aufeinander zu zu gehen. Wir sollen und dürfen einen klaren Standpunkt haben UND eben auch andere Standpunkte respektieren, weil das Leben halt keine Einbahnstraße ist.

PARKPLATZ FÜR VERSCHIEDENE WELTEN

Apropos Straße. Wenn man also voll in Fahrt ist bei Diskussionen aller Art, hilft es, bildlich gesprochen, sich nicht ein Straßenrennen zu liefern, sondern: den Parkplatz zu nützen. 
Diese Idee ist eine Deeskalation-Strategie und kann wie folgt funktionieren.

SCHRITT 1: WELT PARKEN

Wenn dich jemand kritisiert, beschuldigt, anfeindet, anschreit oder sonst irgendwie „anschießt“ (so nenn ich das gern), dann hilft es, in dem Moment aus der Schusslinie zu gehen statt zurück zu schießen. Im ersten Schritt bedeutet das mal: wahrnehmen, dass ich gerade angeschossen werde und verletzt bin, und kurz einmal durchatmen und das wahrnehmen, denn das darf sein. NIEMALS wird es uns (oder jedenfalls mir) gelingen, uns völlig davon abzukapseln, wenn wir verbal „angeschossen“ werden, und das braucht es auch nicht unbedingt. Gefühle sind wichtig und zeigen auf, was uns fehlt oder eben nicht. Und in diesem ersten Schritt diese eigene Welt samt Gefühlen, Empfindungen, Überzeugungen, Standpunkten vorübergehend zu „parken“. Das heißt, zur Seite stellen, sicher verwahren und sich dennoch bewusst sein, dass sie wertvoll und gut sind.

SCHRITT 2: WELT DES ANDEREN ERKUNDEN

Im nächsten Schritt, wenn ich meine mir gut bekannte Welt gesichert hab (am Parkplatz) kann ich mich in die Welt des Anderen zu begeben, ihn oder sie dort besuchen und mich umsehen, Fragen stellen und versuchen zu hören und zu sehen. Man kann dabei sagen:

  • Aha, so siehst du das also.
  • Hör ich das richtig, es ist dir besonders wichtig, dass …
  • Du siehst das also so, dass …
  • Da merkt man richtig, wie wichtig dieses Thema für dich ist, wenn du so emotional bist.
  • Erklär mir doch mal, was dabei so bedeutend für dich ist….

Das Thema ist grundsätzlich tauschbar, es geht für kritische Stimmen, Impfbefürworter, Testverweigerer, angstvolle Menschen im Zusammenhang mit Corona genau so wie mit jedem anderen zwischenmenschlichen Thema oder elterlichen Haltung: Süßigkeiten, Bildschirmzeiten, Haushaltstätigkeiten, Arbeitsaufteilung, familiäre Organisation.

Ziel dieses Schrittes ist, zu sehen, wie die Welt des anderen aussieht, sich Eindrücke zu verschaffen und es bedeutet NICHT, dass ich auch verstehen „muss“. Ich kann inhaltlich völlig anderer Meinung sein, darum geht es in diesem Moment nicht. Es geht darum, den oder die andere in ihrer Welt „abzuholen“ und das in Worten einfach auszudrücken. Wenn es gelungen ist, dass die andere Person sagt: „Ja, genau! Endlich verstehst du was ich meine!“ ist der Weg frei für Schritt Nummer drei.

SCHRITT 3: EINLADUNG AUF DEN PARKPLATZ

Wenn es gelungen ist, wirklich zuzuhören, kann der nächste Schritt erfolgen. Im besten Fall ist es so, dass sich das Gegenüber nun für DEINE Welt interessiert und nachfragt: „Und, wie siehst du das?“ Was nur dann geht, wenn auch eine gewisse Relevanz und Bindung und noch mehr Interesse aneinander vorhanden ist. Wenn diese Frage ausbleibt, kann man den anderen in die eigene Welt einladen: „Möchtest du wissen, wie ich darüber denke?“ Natürlich besteht hier die Möglichkeit, dass die andere Person verneint. Das ist auch eine klare Aussage für die Beziehung zueinander, da lohnt es sich dann jedenfalls auch nicht, mehr Zeit und Engie zu investieren. Wenn doch, dann ist es in diesem Schritt gut, auf den „Parkplatz“ zu gehen und in die eigene Welt einzutauchen und den anderen Menschen darin „herumzuführen“. So könnte man lernen, dass diese wunderbare Welt für jeden Menschen ein klein wenig anders aussieht und in der Vielfalt die Schönheit entdecken und diese Freiheit zu erleben.

DER HAKEN DARAN

Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die an der Strategie schwer sind. Erstens: man kann nur die eigene „Welt parken“, wenn man einigermaßen gut versorgt ist (Stichwort: Selicare), weil es ein hohes Maß an Rücksichtnahme und auch das Hintenanstellen von eigenen Bedürfnissen und Gefühlen erfordert. Wenn ich gerade selbst sehr bedürftig und unausgeglichen bin oder müde und mürbe, ist das fast nicht möglich (was übrigens so einiges in der derzeitigen Lage erklärt).
Und: es ist ein klein wenig ungerecht. Weil der Teil, der deeskaliert und die eigene Welt vorübergehend parkt, nachgibt und zurücksteht – und dem oft unreflektierten oder wütenden Gegenüber viel Raum überlässt. Das mag man auch nicht jederzeit aushalten. Wenn es also nicht gelingt: bleib geduldig und nachsichtig mit dir selbst.

Und wenn es gelingt, hast du folgenden Benefit.

  • du lernst die Welt des anderen kennen
  • du erweiterst deinen Blick auf die Dinge 
  • du kannst Neues über dein Gegenüber erfahren
  • du sparst Energie, weil du Streit vermeidest
  • du kannst bewusster steuern, wie hitzige Diskussionen verlaufen

WAS WIRKLICH BEDROHLICH IST

Ich diskutiere leidenschaftlich gern. Auch hitzig und emotional – alles andere find ich beizeiten fad. Es ist also längst nicht so, dass ich meine Welt dauerhaft abstelle und mich nicht positionieren mag, ganz im Gegenteil. Wenn ich aber merke, dass Gespräche zu oft und zu schnell einen zerstörerischen Verlauf haben, wende ich „Ich parke meine Welt“ aber sehr gern an und freue mich dann, dass wir einigermaßen zivilisiert miteinander umgehen können.
Dass wir unterschiedlicher Meinung sein dürfen und keinen Konsens finden.
Dass die Freiheit besteht, die Welt unterschiedlich zu betrachten.
Und das Bedrohliche nicht ist, dass jemand anders DENKT, sondern, dass wir das in manchen Bereichen nicht ZULASSEN wollen. Monokulturen – egal ob in der Natur oder in Form menschlicher Meinung – sind keine gute Idee und sicherlich nicht zukunftstauglich.

In diesem Sinne: es lebe die Vielfalt!
Habt eine gute Zeit und bunte Diskussionen voller Leben in euren Beziehungen.
Besonders in denen, die euch am Herzen liegen.

Schmutzschleusen für das Zusammenkommen

Schmutzschleusen für das Zusammenkommen

Wenn wir in Familien nach so langen Arbeitstagen aufeinander treffen, spielen sich oft unschöne Szenen ab. Kinder, die am Ende ihrer Kooperationsbereitschaft angekommen sind, Erwachsene, die sich entnervt und müde fühlen und oft sind alle auch noch gleichzeitig hungrig, brauchen Ruhe oder zumindest ein wenig Zeit, sich auf die Veränderung von Raum und Ort einzustellen.
Dass hier oft Konflikte hochkochen, ist keine Überraschung und es gibt ein kleines, einfaches Tool, wie man sich drüber helfen kann.

AUS DEM TAKT und INSTABIL

Ich hab mal von einer klugen Kollegin gehört, dass es scheinbar neurologisch nachweisbar ist, dass unser Gehirn, wenn wir unsere Lebensräume wechseln, ein wenig Zeit braucht, um sich an die geänderten Umstände zu gewöhnen. So lange die grauen Zellen arbeiten, und sich wieder sortierten sind wir ein wenig aus dem Takt und instabil – nicht nur im Kopf sondern auch emotional und psychisch. Das ist manchmal schon eine hilfreiche Idee im Hintergrund, die verstehen helfen kann, warum es speziell beim Außer-Haus-gehen oder beim wieder-heim-kommen so oft aufreibend ist: wir sind im Um- und Aufbruch, wie die Zellen im Gehirn und das fühlt sich an, als ob alles wackelt.

AM ENDE DER FAHNENSTANGE

Auf dieser Basis ist es für alle Beteiligten um einiges schwieriger, konstruktiv, wertschätzend und ruhig miteinander umzugehen, besonders, wenn auch noch Hunger oder Durst im Spiel sind und wir nicht so richtig „funktionieren“, wie wir uns das vorstellen. Und ganz ehrlich: manchmal lässt sich auch beim besten Management, bei der penibelsten Vorbereitung und Planung eine Eskalation kaum vermeiden, weil man irgendwann am Ende der Fahnenstange angelangt ist, was Optimierung, Vorchecking und Ressourcenaktivierung angekommen ist. Wenn es also trotz großer Bemühungen bei dir und allen möglichen Hilfsmaßnahmen immer noch regelmäßig „Brösel“ gibt, dann liegt es nicht zwangsläufig daran, dass du was falsch gemacht hast.

Ein kleines Tool, das ich gern für Paare in meinen Partnerkursen erkläre, kann jedoch eine Hilfe sein. Nicht nur für Paare sondern auch für Kinder bzw. für Familienmitglieder insgesamt.

SCHMUTZSCHLEUSEN FÜR DAS ZUSAMMENKOMMEN

In Bauernhäusern war es früher (und vielleicht auch heut noch) üblich eine sogenannte Schmutzschleuse zu haben. Das war oft ein kleiner Raum, nahe des Eingangs, wo der Bauer oder die Bäuerin, wenn sie am Abend vom Feld oder Stall herein kamen, sich vom „Schmutz“ und dem dreckigen Arbeitsgewand entledigen konnten. Da war vielleicht eine Waschgelegenheit, ein Kleiderständer oder sogar eine Dusche und bevor der außerhalb der Familie arbeitende Elternteil zur Familie hinzustößt, ging er oder sie durch die Schmutzschleuse. Damit nicht der Dreck des Alltags einfach in die Küche oder Stube hineingetragen wird. So weit, so vernünftig.

DER UNSICHTBARE DRECK DES MODERNEN ALLTAGS

Heutzutage arbeiten viele, wenn nicht die meisten von uns nicht mehr am Feld, womöglich auch nicht im Stall und es besteht rein aus hygienischen Gründen kein Anlass, sich gleich bei der Wohnungstür zu waschen und umzuziehen, da wir meist nicht tatsächlich stark verschmutzt zur Familie zurückkehren. Doch wir haben dennoch „Dreck“ an uns kleben. Vielleicht nicht in Form von Stallmist oder Erdbrocken. Aber Frustrationen, Enttäuschungen, Verletzungen, Müdigkeit, Demotivation, Stress und mangelnde Wertschätzung kleben an uns wie der Dreck an den Stiefeln eines Bauern. Nur sehen wir ihn nicht. Und können es auch nicht riechen. Obwohl er da ist: der unsichtbare Schmutz des modernen Alltags. Und das macht ihn umso gefährlicher.

WO DER DRECK NICHT HINGEHÖRT

Denn wenn wir nicht aufpassen und uns dessen bewusst sind, dass wir das „was an uns kleben haben“, kann es ganz leicht passieren, dass wir diese belastenden Gefühle unreflektiert an unseren Familienmitgliedern abstreifen. Indem wir sie anfauchen, keine Geduld haben, wortkarg sind, ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter machen, sofort die Nerven verlieren, wenn es zu laut ist und und und. Ohne dass es uns auffällt, putzen wir uns ab an Personen, die diesen Dreck meistens überhaupt nicht verursacht und sicher noch weniger verdient haben. Und ich weiß nicht, wie es dir geht: aber wenn ich im Nachhinein an solche Situationen denke, tut mir das oft ehrlich leid, weil ich dann wieder klar erkenne: dort hätte mein „Dreck“ einfach nicht hingehört.

Also gibt es die Möglichkeit, Schmutzschleusen zu installieren. Nein, du brauchst jetzt keine Nasszelle in der Garderobe einbauen, denn, wie gesagt, ist es ja eher emotionaler und psychischer Schmutz, den wir hier loswerden wollen. Eine Schmutzschleuse kann so organisiert werden, wenn das Konzept bzw. die Idee einer Schmutzschleuse in der Familie vorab besprochen und für gut befunden wurde (oder zumindest einen Versuch wert ist).

  1. BEDARF MELDEN
    Derjenige, der eine Schmutzschleuse braucht, meldet das bei einem Erwachsenen
    „Schatz, ich hatte einen furchtbaren Tag. Ich brauche heut eine Schmutzschleuse.“
    Das kann sowohl der außerhalb der Familie arbeitende Teil sein, als auch der in der Familie arbeitende Teil. Jeder leistet seinen Part zum Gelingen und hat gleichermaßen Anspruch darauf und WANN das ist, kann nur jeder für sich selbst festlegen. (Und meiner Meinung eben auch die Kinder, wenn nötig. Je jünger sie sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass so eine „Schmutzschleuse“ für ein Kind organisiert wird von aufmerksam beobachtenden Erwachsenen.
  2. AUSHANDELN
    Sollen beide Erwachsenen gleichzeitig eine Schmutzschleuse benötigen, dann wird kurz abgestimmt und ausgehandelt, wer es heute „nötiger“ hat. Im Falle der Uneinigkeit plädiere ich für abwechselnde Vorrangregelung. Einmal du, einmal ich.
  3. NAHTLOSE ÜBERGABE
    Ohne viele Worte zu wechseln findet eine möglicherweise notwendige Übergabe der allfällig zu betreuenden Kleinkinder statt. Da wird’s vielleicht manchmal Tränen geben, weil Kinder einen raschen Wechsel nicht so gern mögen, doch ich finde, wenn es um Mama und Papa geht, ist das auch mal zumutbar und allemal besser als ein komplett versauter Abend wegen miserabler Stimmung aller Erwachsenen. Also ich finde kurze Tränen besser als lange Dreckschlacht.
  4. SCHMUTZSCHLEUSE
    Das ist vor allem eins: ein vereinbartes Zeitfenster. Egal ob 10 Minuten, 15, 20 oder eine Stunde – ihr allein bestimmt, was für euch gangbar ist – in dieser Zeit könnt ihr bewusst Abstand nehmen von eurem Tag. Den mentalen, emotionalen, psychischen auch physischen Schmutz loswerden und ganz bei euch sein. Was immer du in dieser Zeit tun magst, soll recht sein.
    – ins dunkle Schlafzimmer legen
    – ein paar Seiten lesen
    – Musik hören
    – ein Räucherstäbchen anzünden
    – gute Gedanken finden / Affirmationen vorsagen
    – ein paar Schritte gehen
    – sich und den eigenen Körper gut abklopfen
    – fest in den Boden stampfen
    – duschen gehen oder Unterarme kalt abspülen
    – sitzen und sein
    – atmen und überleben
    – …… deine Idee hat hier Platz.
  5. ZUSAMMENTREFFEN
    Nach dem vereinbarten Zeitfenster trefft ihr als Familie aufeinander und verbringt noch die restliche Zeit des Nachmittags oder Abends zusammen. Und ich garantiere, es wird sich eine andere Qualität der Begegnung ergeben.

Warum? Weil mit der Schmutzschleuse auch unausgesprochen Dinge kommuniziert werden, wie: Ich hatte einen harten Tag. Ich brauche Hilfe. Ich bin bedürftig und meine Warnleuchte blinkt – bitte sei vorsichtig mit mir. Neben dem bewussten Abstandsnehmen und „sauber-machen“ finde ich die Erkenntnis dahinter unglaublich hilfreich. Und die Tatsache, dass wir uns bewusst um unsere Notlagen kümmern und Strategien dafür entwickeln und ausprobieren, mit unseren als „schlecht“ bewerteten Gefühlen umzugehen. Und das ganz nebenbei auch noch vorleben für unsere Kinder. Wenn ich’s mir so recht überlege … so klein ist dieses Werkzeug gar nicht. Und es braucht nur ein wenig Zeit und eine Portion guten Willen.

Die Idee stammt übrigens im Original von Rosemarie Welter-Enderlin, einer Schweizer Paartherapeutin, von der ihr auch schon den Unverdienten Fisch kennt. 

Wie findest du diese Idee? Hast du schon Erfahrungen damit und magst du sie hier teilen?
Ich freu mich über deinen Kommentar!

Das Familienmobile

Das Familienmobile

Warum sind wir innerlich aufgewühlt, wenn Konflikte in Familien hochkochen, warum lässt uns ein Geschwisterstreit nicht einfach kalt und welche Dynamiken wirken in Familien?
Familien sind komplexe Systeme, die Mitglieder sind alle miteinander verbunden und es gibt unterschiedlichste Zusammenhänge, was die Beziehungen angeht. Über systemische Ordnung in Familien, geschriebene und ungeschriebene Gesetze, die auf uns wirken und der Versuch, das mit einfachen Bildern zu erklären.

BRÜDERSCHAFT UNTER ERSCHWERTEN BEDINGUNGEN

Alle Welt blickt dieser Tage auf die Prinzen des englischen Königshauses: William und Harry. Nach heftigen Vorwürfen und Anschuldigungen im Rahmen eines Fernsehinterviews bei Oprah Winfrey hing der Haussegen wohl mehr als schief, es gab – laut den immer wachsamen Beobachtern der Royals – wohl dicke Luft und viel, viel Ärger zu verdauen. Dieses Wochenende werden sie am Begräbnis ihres Opas, Prinz Philipp, unter den Augen der Öffentlichkeit die Last dieses Konfliktes schultern und jede Regung wird Anlass für Spekulationen sein, ob sie sich nun versöhnt haben, oder nicht. Man kann darüber denken, wie man will. Das ist jedenfalls definitiv Brüderschaft unter erschwerten Bedingungen. Dazu hat mich auch Barbara Rohrhofer diese Woche befragt, im Auftrag der OÖN – hier kannst du’s nachlesen!

AMATEURKLASSE DER KONFLIKTLÖSER

Geschwisterstreit und Konflikte zwischen Eltern und Kindern kommen aber in den besten, wenn nicht in jeder Familie vor. Warum? Weil wir Menschen nun mal verschieden sind und Konflikte nichts anderes ausdrücken, als dass einer eben andere Bedürfnisse und Wünsche hat, als die andere und wir gefordert sind, diese dann auf respektvolle Art zu schaukeln. Also Konflikte sind per se jedenfalls nichts Schlechtes, sondern einfach Ausdruck von Unterschiedlichkeit. Unsere Strategien mit Unterschiedlichkeit umzugehen sind es, die das ganze Thema oft so leidvoll, verletzend und kränkend machen, weil wir nie richtig gelernt haben, über Bedürfnisse und Gefühle ordentlich zu sprechen, uns darüber klar ausdrücken können und wenn doch, dann trotzdem oft zu wenig Übung darin haben und eher in der Amateurklasse der Konflikte kämpfen als in der Profiliga.

AUF GEDEIH UND VERDERB AUSGELIEFERT

Was aber nun in Familien anders ist, als zwischen den meisten anderen Menschen, mit denen wir auch manchmal Konflikte austragen, wie Arbeitskollege, Chefin oder Nachbarin, ist folgendes. In Familien bestehen besondere Verbindungen – naja, das ist ja jetzt keine große Überraschung – durch die Bindung, die im engen Kontakt miteinander aufgebaut wird. Besonders unter Geschwisterkindern (und Ehepartnern) gibt es eine Nähe und Vertrautheit, die nicht immer als wohltuend und angenehm empfunden wird. Nämlich besonders dann, wenn diese Nähe verwendet wird, um den anderen genau da zu verletzen, wo es ihm oder ihr am meisten weh tut. Und das weiß man sowohl als Geschwisterkind, als auch als langjährige Ehepartnerin. Was Geschwister allerdings von Ehepartnern nochmal unterscheidet, dass sie sich dieses enge Verhältnis nicht freiwillig ausgesucht haben, sondern von den Eltern quasi auf Gedeih und Verderb einander ausgeliefert sind. Die Liebe zueinander ist nicht natürlicherweise gegeben!

WENN BEWEGUNG INS MOBILE KOMMT

In meinen Workshops erkläre ich diese Verbundenheit und die damit einhergehenden Dynamiken gern anhand eines Mobiles. Mobile, du weißt schon: süße, wackelige Dinger, wo sich Schnüre verheddern können, die wir den Babys gern über die Wiege hängen zur Unterhaltung.

Also. Mobiles mit den daran hängenden Gegenständen gleichen im systemischen Weltbild Familien (und anderen sozialen Gefügen, wie Freundeskreis, Großfamilie, Verein, Arbeitskolleginnen,…) in verschiedenen Gesichtspunkten. Ein Familienmobile entsteht, wenn ein Paar eine Beziehung eingeht. Neue Beziehungen sind immer ein wenig aufregend und wichtiger als das Alte und Bekannte, es gibt viel Bewegung, also Dynamik, jeder findet erst nach und nach seinen Platz und seine Rolle. Wie wenn man auf einem Mobile eben etwas oder jemanden „dazu hängt“. 

AUF DER SUCHE NACH HARMONIE

So kann man grundsätzlich festhalten: Familienmitglieder verhalten und fühlen sich wie die Teile eines Mobiles. Wenn Leben dazu kommt (ein Kind geboren wird), wenn jemand das Mobile verlässt (wenn jemand verstirbt), viel Wirbel macht, oder ein neues „Mobile = Familie“ gründet, können die restlichen Personen in der Gruppe gar nicht anders, als zu reagieren. Sie müssen sich mitbewegen und sind beeinflusst von dem, was andere Menschen im selben Mobile machen. Zumindest ist es enorm energieaufwendig, wenn man versucht, nicht „mitzuschwingen“, dagegen zu halten oder keine Notiz von der Dynamik zu nehmen. Ein Mobile, wie eine Familie oder ein anderes systemisches Gefüge, strebt grundsätzlich nach Harmonie. Das heißt: mit etwas Zeit und wenig Störung von außen werden die Erschütterungen weniger und die Menschen kommen zur Ruhe.

OB WIR WOLLEN ODER NICHT

Wie zeigt sich das in der Praxis? Wenn ein Kind geboren wird, „schwimmt“ man oft ein Weilchen, bis man als Paar wieder in einen neuen Alltag hinein findet. Wenn ein Geschwisterkind dazu kommt, besteht manchmal (große) Unsicherheit, alles fühlt sich wackelig an, ältere Kinder brauchen plötzlich wieder einen Schnuller, mehr Einschlafbegleitung, die Windel, obwohl sie eigentlich schon „rein“ waren … und alles, weil das unterbewusste Gefühl sagt: unsichere Zeiten, alles durcheinander, Kontrollverlust – bitte eine Stufe zurück auf eine gesicherte Basis! Für erwachsene Geschwisterkinder kann eine Veränderung (wenn jemand auszieht von zuhause) auch eine Erleichterung bringen, weil man plötzlich besser Nähe und Distanz regulieren kann und dadurch eine harmonischere Beziehung zueinander aufbauen kann. Dynamiken sind vielschichtig und komplex, oft auch verworren. Doch fest steht: wir beeinflussen einander, ob wir nun wollen oder nicht.

GLEICHWÜRDIG, GLEICHWERTIG und IN ORDNUNG

In der systemischen Ordnung, die von Bert Hellinger begründet wurde, er nennt sie „Ordnungen der Liebe“. Man geht davon aus, dass Systeme (Mobiles) einer genauen Ordnung unterliegen und es für Beteiligte speziell dann leidvoll und mühsam wird, wenn diese Ordnungen durcheinander geraten. Es ist überaus wichtig, dass JEDER im System nicht nur gesehen wird und seinen Platz hat, sondern auch, dass es eine Rangordnung gibt, die sich aus dem Zeitpunkt des Anfangs der Zugehörigkeit ergibt. Das heißt, jemand, der früher in eine Gruppe kam, hat Vorrang gegenüber dem, der später hinzukommt. Partner haben Vorrang gegenüber den Kindern. Die Reihenfolge der Kinder ist von Bedeutung und gibt innere Freiheit. Neue Systeme haben Vorrang gegenüber alten Systemen. Lebende und Verstorbene brauchen Anerkennung und ihren rechtmäßigen Platz. Jeder ist dennoch gleichwürdig und gleichwertig als Mensch.

LEIDEN IST OFT EINFACHER ALS LÖSEN

Wenn nach einer gewissen Starre, einer beziehungsmäßigen Eiszeit oder einer Entfremdung also dann wieder Bewegung in ein System kommt, besteht immer für alle Beteiligten die Chance und Gelegenheit, aufeinander zu zugehen. Wie bei Geburten, Hochzeiten oder Trauerfällen, Schicksalsschlägen und Ähnlichem. Es fällt vielleicht etwas leichter, durch eine Initialzündung im Mobile und dennoch gibt es keine Garantien. Nicht bei königlichen Hoheiten und auch nicht bei ganz normalen Familien. Die gegenwärtigen Kernfamilien (der Prinzen) haben Vorrang gegenüber dem alten System und doch bleibt man immer miteinander verbunden. Dynamiken wirken oft über den Tod hinaus und was sich zu Lebzeiten lösen lässt, darf man ruhig angehen. Und nicht immer ist es möglich, auf das Hinzuschauen, was Leidvoll ist. Manche Geschichten sind auch einfach zu viel für ein Menschenleben. Doch wenn man ein bisschen Ordnung schaffen kann, falls das nötig ist, dann zahlt es sich jedenfalls aus.

JEDEM MENSCHEN SEINEN PLATZ

Wir werden sehen und hören (weil die Presse ja wie ein Geier über den Royals als deren Beute kreist), ob es dem Brüderpaar gelingen wird, die Verletzungen und Kränkungen auszusprechen. Ich wünsch es mir für die beiden und für jede andere Geschwisterreihe, in der sich die Fronten aus welchen Gründen auch immer verhärtet haben:

…dass Bewegung rein kommt,
…dass ein aufeinander zugehen möglich wird und
… dass jeder Mensch seinen gerechten und würdevollen Platz einnehmen kann in den Systemen seines Lebens.