Es scheint ein zutiefst menschliches Verhalten zu sein: wir vergleichen gern. Wir vergleichen uns, das, was wir haben und das, was wir tun. Scheinbar ständig und, was das Ganze erst richtig fatal macht: immer gekoppelt mit einer Bewertung.
Warum wir so stark zum Vergleichen neigen, was das Vernichtende an diesem Verhalten ist und wie wir – zum Beispiel besonders in familiären Beziehungen – andere Wege gehen können, darum geht’s heute im Blogbeitrag.
VOM ERSTEN HERZSCHLAG AN
Wir Menschen lieben es, zu vergleichen. Nicht erst seit Geizhals, Durchblicker, Checkfelix und anderen Vergleichsportalen bekommen wir das Gefühl, das fast schon tun zu “müssen”, weil wir ja nicht schlechter aussteigen, mehr bezahlen oder weniger bekommen möchten. Es zahlt sich auch aus, Sachen zu vergleichen, doch wenn es um Menschen geht, wird dieses Verhalten sehr schnell destruktiv. Und im Grunde beginnt das Drama schon, bevor wir das Licht der Welt erblicken. Schon im Mutterleib werden wir vermessen, bewertet, geschätzt und eingeordnet. In Tabellen, Raster, Bewertungen, Kurven.
Und wir setzten dieses Verhalten gewohnter Weise gern in unserem Leben fort, weil wir es schon von frühester Kindheit an in vielen Bereichen so erleben und das als Normalität annehmen.
WIR KÖNNEN ES NICHT LASSEN
Warum hören wir nicht auf damit, wenn uns doch an jeder Ecke erklärt wird, dass das der eigenen psychischen Gesundheit nicht dienlich ist, wir uns selbst damit schnell erniedrigen und uns dadurch sehr oft schlecht fühlen?
Ich glaube, dass wir in unseren Versuchen, Dinge zu vergleichen, die eigentlich nicht vergleichbar sind, dennoch einer Sehnsucht folgen. Menschen versuchen, ihren Platz im Leben zu finden, Sicherheit zu empfinden und Orientierung zu haben. Wir wollen nicht nur Dinge einordnen können, sondern irgendwie auch uns selbst. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das auch und deshalb können wir es nicht lassen – so sehr wir uns auch bemühen.
Also finde ich, es zahlt sich aus, zu überlegen, wie man vergleicht, ohne sich dabei selbst und andere – besonders die eigenen Kinder (= Geschwister) – unglücklich zu machen. Ein einfaches: tu’s nicht scheint nämlich nicht zu funktionieren.
AUFWÄRTS UND ABWÄRTS
Wenn wir Dinge, Leistungen, Eigenschaften, Zahlen prüfend nebeneinander halten, kommt es immer darauf an, womit wir diese Sachen in Beziehung bringen, sprich: welchen Bezugspunkt wir verwenden. Und vor allem, wie wir diese bewerten.
Beim Vergleichen mit von uns schlechter, unangenehmer oder minderwertiger betrachteten Objekten oder Subjekten fühlen wir uns wunderbar. Unser Gehirn schüttet als Belohnung Domamin in rauen Mengen aus, weil wir uns so herrlich fühlen, wenn wir den Berg schneller erklimmen, eine bessere Schulnote erzielen oder das Kind die ersten Schritte früher macht als das Nachbarskind. Das sogenannte Abwärtsvergleichen macht tatsächlich glücklich und gibt uns ein angenehmes Gefühl, weil wir uns selbst in dieser Situation aufwerten.
Umgekehrt geht es beim Aufwärtsvergleichen in die entgegengesetzte Richtung. Wir finden andere Menschen besser, schöner, erfolgreicher, sportlicher, musikalischer, beneiden sie um ihre Autos, Häuser, Urlaube und Kinder und finden generell das Gras woanders grüner als im eigenen Garten. (Beim Stichwort Rasen liebe Grüße an meinen Göttergatten, der ja auch hier mitliest).
Du kennst bestimmt aus eigener Erfahrung, dass die Vergleiche mit diesen Menschen und Dingen mit zuverlässiger Sicherheit in ein Stimmungstief führen, weil wir uns selbst dabei klein machen, schwächen und abwerten. Und das haben wir uns nicht verdient.
VERGLEICHEN OHNE BEWERTEN
Es ist also illusorisch, sich vorzunehmen, nicht mehr zu vergleichen. Wir tun es ganz einfach. Also lass uns darüber nachdenken, WIE wir es tun. Solange es uns nämlich gelingt, über das Vergleichen etwas dankbarer zu werden, achtsam zu sein und wertschätzend gegenüber dem, was wir im Leben haben, hat ja niemand was einzuwenden. Es geht also darum, die Bewertung außen vor zu lassen. Fest zu legen, was gut oder schlecht ist und starr einzuordnen ohne jegliche Individualität zu berücksichtigen.
TIPP #1
Installiere eine inneres Vergleichs-Warnsystem – zum Beispiel so, wie bald mit der Corona-Ampel (erinnere dich gern jedes Mal an diesen Absatz beim Wort “Corona Ampel”). Wenn du dich selbst dabei beobachtest, wertfrei zu leben ist alles auf grün. Wenn du vergleichst ohne zu bewerten, ist die Ampel gelb (noch nichts ist passiert), doch wenn du beginnst, dich selbst oder deine Lieben abzuwerten und zu erniedrigen, leuchtet das Licht orange oder rot (hochakut!). Es ist immer noch nicht sofort tödlich, doch Vorsicht ist geboten. Und der erste und wichtigste Schritt ist getan: Ich habe wahrgenommen, dass ich beim Vergleichen in die BEWERTUNG gehe.
TIPP #2
Positiv nützen: wenn ich merke, dass ich durch das Vergleichen unzufrieden und unglücklich werde, habe ich zwei Möglichkeiten, zu reagieren. (Bsp: “Meine Freundin ist viel sportlicher als ich!”) Entweder ich nützte die Erkenntnis um mich selbst zu entwickeln und zu wachsen, mich selbst anzuspornen (“Ich möchte auch sportlicher sein, deshalb werde ich jetzt regelmäßig laufen gehen”) oder ich nehme die Gelegenheit, mich selbst anzunehmen, wie ich bin und einem etwaigen Optimierungsdrang bewusst zu widerstehenUND kann dennoch das andere gut finden (“Ich finde mich auch so okay, ich bin gut und richtig, so wie ich bin und es gefällt mir so eine sportliche Freundin zu haben”). So bleibe ich bei mir selbst und nehme mich trotzdem in meinem Umfeld wahr.
TIPP #3
Betrachte jeden Vergleich als eine Einladung…
… eine Einladung, deine eigenen Werte zu überdenken. … eine Einladung, dankbar zu sein für deine Einzigartigkeit. … eine Einladung, kritisch zu hinterfragen, welche Tabellen, Werte und Zahlen als “Einordnungssysteme” eher hilfreich oder hinderlich sind. … eine Einladung, altbekannte Denkmuster zu verlassen und neue zu etablieren. … eine Einladung, mutig deine Individualität zu leben und … eine Einladung, die Individualität des anderen anzuerkennen. … eine Einladung, emphatisch mit deinen Mitmenschen zu sein, wenn es ihnen anders geht als dir. … eine Einladung, deinen Wert zu erkennen ohne ihn zwingend einordnen zu müssen. … eine Einladung, gelassen zu bleiben – weil es fast immer irgendwo noch mehr oder noch weniger von was auch immer gibt.
VERGLEICHEN IST MENSCHLICH
Warum es so ist, dass wir unsere eigene Lage oft erst wieder schätzen können, wenn jemand im sozialen Umfeld ein Unglück oder einen Schicksalsschlag erlebt, darüber hab ich schon oft ausgiebig mit lieben Menschen philosophiert.
Der Unfall des Nachbarjungen macht uns betroffen und wir sind froh, intakte Beine zu haben. Die Krankheit der Arbeitskollegin macht uns dankbar für die eigene Gesundheit. Das Unglück einer Bekannten macht uns demütig und wir können anhand dieser Geschichten unser eigene Situation wieder vollends schätzen und glücklich sein darüber.
Auch wenn gerade ein Karton Eier am Boden gelandet ist, das Kind mit einem Bomben-5er aus der Schule heimkehrt und der Flugurlaub für heuer storniert werden musste.
Vergleichen ist menschlich. Solange wir soziale Wesen sind, werden wir diesem Verhalten unterliegen. Wenn wir es nicht mehr tun, sind wir tot. Wovon wir uns aber mehr und mehr befreien können, ist das krankhafte Bewerten, das gegenseitige Schlechmachen, das Erniedrigen und Herabwürdigen von anderen Leistungen, Sichtweisen, Errungenschaften, Talenten, Gesinnungen oder Vorlieben. Egal welchen Lebensbereich das betrifft.
Wir dürfen sehen:
Ich bin so. Andere sind anders. Das ist gut und wichtig. Das ist gut und richtig. Verschiedenartigkeit macht unsere Welt bunt. Eine bunte Welt macht mehr Spaß als eine in schwarz und weiß. Ich darf mich vergleichen. Ich mache das wertfrei. So geht’s mir gut. So geht’s meinem Umfeld gut.
(Falls dich das an eine Werbekampagne der Regierung erinnert, bitte ich um Entschuldigung.) Wo ertappst du dich am ehesten beim bewertenden Vergleichen?
Wobei hat dich schon einmal das Vergleichen mit anderen unglücklich gemacht? Und hast du noch einen Tipp, der dir das Vergleichen ohne bewerten erleichtert?
Ich bin gespannt, was du mir in die Kommentare schreibst …
Sie machen Paare zu Eltern, werden von jüngeren Geschwistern manchmal angehimmelt und erleben als einzige in einer Geschwisterreihe, wie es sich anfühlt, vom Thron gestoßen zu werden. Ob das wirklich so schlimm ist für die ersten Kinder, was man in diesem Geschwisterrang lernen kann und was Eltern tun können, um die ältesten gut zu begleiten, darum geht’s diesmal am Blog.
Nach dem ich ja schon über Nesthäkchen und die mittleren Kinder, die sogenannte Sandwichkinder geschrieben hab, folgt heut der vorletzte Teil – Die Erstgeborenen – in dieser Reihe. Dann wird es noch um die Einzelkinder gehen, die wieder einen anderen Status haben als die Erstgeborenen.
Premieren am laufenden Band
Als erstes Kind in der Familie hat man in mehrerlei Hinsicht einen Sonderstatus. Wie du vielleicht weißt, gehöre ich ebenfalls dieser Gruppe an und machte einst ein Paar zu Eltern. Dass das zunächst auch für Frau und Mann eine spezielle Herausforderung ist, zusätzlich die Rolle als Mutter und Vater dazu zu bekommen, steht wohl außer Frage.
Mit dem erstgeborenen Kind erleben Eltern gefühlt Prämieren am laufenden Band. Von der ersten Schwangerschaft, zur ersten Geburt, die ersten durchwachten Nächte, die ersten Schritte eines Kindes, der erste Kindergartentag, der erste Elternabend, … – eine unendliche Serie an ersten Malen, die in den eignen Erfahrungsschatz kommen.
Versuchskaninchen der Eltern
So sind Erstgeborene oft ein bisschen die Versuchskaninchen der elterlichen Fähigkeiten und erleben, wie die Eltern es sehr genau nehmen oder auch sehr unsicher sind. Manchmal beschreiben sie, dass sie eher streng erzogen wurden und sich erste kleine Freiheiten hart erkämpfen mussten. Am härtesten trifft das die Erstgeborenen scheinbar bei den so schwer ausgehandelten Ausgehzeiten als Jugendliche. (Das sitzt Vielen so tief, dass es ihnen im Erwachsenenalter noch als große Ungerechtigkeit aufstößt. Erleb ich jedes Mal im Partnerkurs für Brautpaare ;-)!)
Einmal runter vom Thron, bitte!
Das mag eventuell daran liegen, dass sie von nachfolgenden Geschwistern bei deren Geburt vom Thron gestoßen wurden. Zwar nicht mutwillig oder bösartig, doch der Fall schmerzt manchmal sehr – die Wissenschaft meint: je jünger die Kinder bei der Geburt des zweiten Kindes sind, desto heftiger. Ich sage: jede Familie ist anders. Das mag für viele Kinder stimmen – möglicherweise nicht für alle.
Vor allem glaube ich, dass die Entthronung dann schlimm ist, wenn sie von ungünstigem elterlichen Verhalten begleitet wird, indem man das Erstgeborene überfordert, dessen Gefühle ignoriert und zur geschwisterlichen Liebe zwingt.
Laura, die zweite Frau
Stell dir doch mal vor, dass dein Mann (für Männer: deine Frau) nach Hause kommt und sagt: “Liebling, darf ich vorstellen: dass ist Laura, meine zweite Frau. Da sie neu ist und da sich erst eingewöhnen muss, werde ich ihr viel Zeit widmen müssen. Ich hoffe, da du schon älter bist, wirst du dich gut benehmen und mehr zu Hause helfen. Sie wird bei mir im Zimmer schlafen, damit ich leichter für sie sorgen kann, und du wirst ein eigenes Zimmer ganz für dich alleine haben, da du ja schon groß bist. Du bist doch sicher froh ein eigenes Zimmer zu bekommen? Und weißt du, wie toll: du darfst ab jetzt alles mit ihr teilen: dein Gewand, deine Schuhe, deinen Schmuck. Das ist doch toll, oder?”
Spätestens jetzt müsste klar sein, wie sich Erstgeborene fühlen können, wenn die zweiten Geschwister geboren werden und daheim einziehen.
Arm, ärmer, Erstgeborene?
Doch so düster schaut es für die ersten Kinder längst nicht aus. Auch Sie haben – wie alle anderen Kinder in den unterschiedlichen Geschwisterrängen – einzigartige Möglichkeiten, positive Eigenschaften zu erlernen und diese Position für sich zu nützen.
Man weiß, dass Erstgeborene oft über ein höheres Verantwortungsbewusstsein verfügen und auch im Erwachsenenalter in Beruf und Privatleben häufiger oder gern Verantwortung übernehmen. Sie besitzen oft hervorragende Führungsqualitäten und haben ein ausgezeichnetes Durchsetzungsvermögen – was sie (im Vergleich zu den Geschwistern) oft an ihren Eltern trainiert haben. (Stichwort: Ausgehzeiten).
Auch ein gewisser Pioniergeist kann ihnen nachgesagt werden, was angesichts der vielen Premieren ja nicht weiter verwunderlich ist. Zudem lernen viele erste Kinder sehr gut, rücksichtsvoll zu sein, wenn jüngere Geschwister dringendere Bedürfnisse haben als sie selbst. (Das heißt übrigens nicht, dass das immer angenehm ist beim Erlernen. Ach du merkst schon, ein wenig Trotz einer Erstgeborenen ist auch bei mir noch spürbar. Sorry dafür.)
Was Eltern tun können
Man kann und sollte die ersten Kinder natürlich auf die Geburt eines zweiten Kindes einstellen – realistisch, bedürfnisgerecht und ergebnisoffen (sie müssen sich nicht lieben oder hassen) – doch auch die beste Vorbereitung kann den Sturz vom Thron nicht ganz verhindern.
So ist das wichtigste elterliche Verhalten die Anerkennung und Akzeptanz dessen, was das erste Kind erlebt, auch wenn das herbe Zurückweisungen des zuckersüßen Neugeborenen zur Folge hat, so nach dem Motto: “Wann fährt die wieder nach Hause? Können wir den zurück geben?”
Kinder brauchen dann Eltern, die sagen können: “Oh, ich merke, du wärst jetzt lieber wieder allein mit Mama und Papa?! Du bist ganz schön frustriert, wie? Was brauchst du denn, damit es dir jetzt im Moment wieder gut gehen kann?” statt empörtem Aufschreien im Sinn von “… wie kannst du so was Gemeines über deine Schwester sagen? Die musst du doch lieb haben, schaut nur, wie süß sie ist?!”
Erstgeborene dürfen ihre jüngeren Geschwister blöd finden und nervig, und sie dürfen das auch zum Ausdruck bringen, so lange gewisse Grenzen gewahrt werden (körperliche & seelische Übergriffe sind gemeint – individuell nach Familie zu definieren!). Man kann geschwisterliche Liebe nicht erzwingen, so schwer uns das als Eltern oft fällt. Damit ein gutes Miteinander entstehen kann, braucht es Einfühlungsvermögen und Bedürfnisorientierung soweit das möglich ist.
Ist das Glas halbvoll oder halbleer?
Natürlich können und werden wir nicht jüngere Geschwister degradieren oder zurückgeben – wie viele Kinder man haben möchte ist eine Paarentscheidung (… und noch mehr die einer höheren Macht) und daran haben auch Erstgeborene nicht zu rütteln.
Doch Verständnis zeigen und die jeweiligen Gefühle zugestehen, das können Eltern tun. Aushalten, wenn es unbequem wird und Angebote machen, die möglich sind. (“Wollen wir beide wieder mal ganz allein spazieren gehen? … ein Buch lesen? … kuscheln?”)
Und jedem einzelnen Kind ab und zu Exklusivzeit widmen und diese auch als Eltern bewusst genießen.
Sich selbst innerlich immer wieder auf die Schulter klopfen und sagen: “Ich bin gut genug.” Auch wenn wir uns oft die Lockerheit und Erfahrung, die wir bei den zweit- oder drittgeborenen Kindern haben, rückwirkend für das Erste wünschen.
Es ist gut, so wie es ist. Denn so wie in jedem Geschwisterrang gibt es Vorteile und Nachteile.
Und es liegt an der jeweiligen Person (und ein bisschen an uns Eltern), was man daraus macht und ob man ein halb leeres oder halb volles Glas sieht.
Du bist ein Erstgeborenes? Wie siehst du deine Position in der Familie?! Schreib mir gern in die Kommentare ….
Du interessierst dich für GESCHWISTERbeziehungen?
Was das Besondere an dieser längsten Beziehung des Lebens ist? Wie mehr Harmonie im Kinderzimmer einziehen darf? Wie du Konflikte unter Geschwistern gut und nachhaltig löst? Dann hüpf doch mal rüber zu meinem ONLINE Kurs “Geschwister sind für immer!”
Also, so war das nicht geplant. Heute ist hier letzter Schultag. Ho-ruck werden ab morgen wieder alle Betreuungs- und Bildungseinrichtungen in einigen Bezirken in OÖ geschlossen. Da war doch dieses Dings, ach ja: CORONA! Der Wink mit dem Zaunpfahl lautet wohl: geht’s euch alle brav wieder fürchten, die Pandemie ist nicht vorbei! Wovor ich mich wirklich fürchte und was mir durch den Kopf geht, wenn ich an Familien und Kinder denke angesichts der Maßnahmen dieser Tage, kannst du heute hier lesen.
Geplant hatte ich ja mal, dass ich zum Schulschluss (das wäre dann nächste Woche gewesen) einen Rückblick über die Grundschulzeit schreibe, dazugehörige Erlebnisse und Ideen zur Verbesserung. (Wird’s auch geben, nur – wir haben dann schon eine Woche Ferien). Dass man im Leben nicht immer alles planen kann, ist mir schon länger bewusst. Ich lass mich auch gern mal überraschen und kann mit Veränderungen grundsätzlich sehr gut umgehen, wie ich meine. Doch hier geht’s für mich nicht um eine unvermeidbare, schicksalhafte Entscheidung, sondern um etwas Anderes.
ZU SEHR ALTE NORMALITÄT?
Ich hatte schon geglaubt, mich an eine “neue Normalität” zu gewöhnen. Ganz ehrlich war es sogar sehr nah dran an meiner “alten Normalität”, weil ich nicht jemand bin, die jedes Wochenende um den Globus jettet, dauernd Großveranstaltungen besucht oder am laufenden Band in brechend vollen Diskotheken die Nacht zum Tag macht. Die Kinder durften einige der geliebten Freizeit Aktivitäten wieder aufnehmen, ich konnte langsam meine persönlichen Klientenkontakte durchführen und erneut face-to-face Kurse planen, ein löchriger, aber dennoch zumindest minimal vorhandener Schulalltag war gegeben, es hat sich ganz gut angefühlt, eigentlich.
So nach Zuversicht. Nach “wir schaffen das”.
ZUVERSICHT STREUEN? DENKSTE!
Doch denkste: so leicht sollen wir bloß nicht glauben, dass es ist. Wir sind gefährlich füreinander, außerdem rücksichtslos und wir fürchten uns definitiv zu wenig, weil wir so tun, als wäre alles wieder beim Alten. Die Menschen wurden lebensfroher, haben auch kritisch betrachtet, was da so passiert ist vor einigen Wochen. Viele waren gar nicht mehr so sehr einverstanden mit der Proportionalität der Einschränkungen gegenüber der tatsächlichen Gefahr, die sich darstellte.
Da kommt so eine Maßnahme (Schulschließungen) natürlich genau richtig, um uns zu erinnern: wir sind in einer Pandemie, das Leben ist tödlich! Habt Angst! Das ist gefährlich! (Außerdem haben wir noch keine verpflichtende App und auch keine Impfung.) Einmal ganz abgesehen davon, dass die Entscheidungsträger anscheinend noch immer völlig hilflos agieren (und genau gleich wie vor dreieinhalb Monaten) und auch wie es aussieht nichts dazugelernt haben, frag ich mich ernsthaft, ob jemand bedenkt, was man damit auslöst. Und bitte: diesmal zählt das Argument einfach NICHT, man hätte nicht Zeit gehabt, darüber nachzudenken.
WAS IST DAS ZIEL?
Angst und Schrecken zu verbreiten ist – und auch diese Diskussion hatten wir doch schon – kein probates Mittel um Menschen zu schützen, die sich gegen ein hochansteckendes und möglicherweise auch gefährliches Virus schützen oder wehren sollen. Wenn ich auch sonst nicht viel von Virologie verstehe und von Infektionsketten und solchen Dingen, dann zumindest das: unser Körper wird, wenn er mit Angst konfrontiert wird (und noch mehr mit unseren Urängsten) nicht stark sondern SCHWACH! Wir brauchen Mut und Zuversicht, damit wir gut durch Krisen kommen. Doch ich spüre vor allem Unwissenheit, Täuschung und Manipulation.
MIT DER GEFAHR LEBEN
Wir werden lernen dürfen mit Corona zu leben und brauchen endlich eine bodenständige Einschätzung der Gefahr. Denn auch mit einer App wird das Virus weiterexistieren, sich verändern und vielleicht noch mehr Probleme machen. Und auch mit einer Impfung gibt es (Achtung, breaking news:) KEINE 100%ige Sicherheit. Also, wenn unser Ziel ist, Corona auszurotten, dann können wir uns glaub ich tatsächlich von einem planbaren Alltag verabschieden.
Ja, das Leben ist potenziell gefährlich. Nicht wegen Corona. Auch wegen dem Straßenverkehr, Unfällen im Haushalt, gewalttätigen Übergriffen, psychischen Traumatisierungen, anderen Krankheiten.
WAS ECHT ZUM FÜRCHTEN IST
Was mir viel mehr Sorgen bereitet, ist der Umgang mit den zukünftigen Generationen. Mir nix, dir nix werden sie aufs Abstellgleis geschoben. Soll sich sonst wer darum kümmern. WIE das passiert ist ja mehr als fraglich. Anstiege bei den registrierten Missbrauchsfällen sind ja längst kein Geheimnis. Doch auch wenn keine körperlichen Übergriffe passieren: SO VIELE Kinder sind und waren schon während dem ersten Lockdown sich selbst überlassen. Waren alleine, während Eltern arbeiten gehen mussten und sich nicht getraut haben, die Kinder in den Notbetrieb zu schicken, da red ich noch nicht davon die “Schande” einzugestehen, dass man es “nicht schafft” daheim. Eine ganze Generation verkümmert hier und wird einfach zu wenig beachtet. Die Folgen dieser Erlebnisse wird man erst in vielen Monaten oder Jahren einschätzen können.
WEGEN DEN PAAR WOCHEN
Wer jetzt meint, das kann ja nicht so schlimm sein, die Kids mal ein paar Wochen nicht so gut zu betreuen, dem sei gesagt: selbst hier (in einem diesbezüglich sehr privilegierten Haushalt, weil immer ein Elternteil greifbar war) waren Auswirkungen deutlich spürbar und was wir als Familie abfedern durften an Enttäuschung, Frust, Angst, Verwirrung, Antriebslosigkeit, Trauer, Wut und Sorgen war hart an der Grenze. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es Kindern und Jugendlichen (JA, auch 16-jährige brauchen noch elterliche Zuwendung, besonders in Krisenzeiten!!) ergangen sein mag, die in dieser Zeit völlig auf sich gestellt waren.
ICH HAB DAZU GELERNT
Was mich betrifft, so hab ich dazu gelernt. Ich werde nicht mehr darauf warten, dass politische Entscheidungsträger uns erlauben, soziale Kontakte zu pflegen, wenn ich merke, dass das nötig ist. (Und dann behaupten, private Treffen waren eh immer erlaubt.) Bei allem Respekt für meine Mitmenschen und sorgfältigem Umgang werde ich mich um uns kümmern. Ich werde kritisch hinterfragen, und öffentlich darüber reden, was man wohl mit gewissen Maßnahmen erzielen mag und nicht in Schockstarre verfallen, sondern in der Liebe bleiben – so wie es von Anfang an geplant war. In der Liebe zu meinen Kindern, meiner Familie, meinem sozialen Umfeld und zu mir selbst. Ich werde auffangen, trösten und mitleiden, weil kein Abschied möglich war, Veranstaltungen wieder abgesagt werden, das Schulende nicht gefeiert werden konnte, das Fußballspiel wieder nix wird und meine Kurse wieder auf wackeligen Beinen stehen.
Vor allem aber werde ich das Konzept der Angst nicht mittragen. Auch wenn ich mich gegen öffentliche Entscheidungen nicht wehren kann. Der Angst gebe ich IN mir keine Chance. Für mein Leben will ich Zuversicht, Hoffnung und ein Konzept, das auf etwas Postitivem basiert. Zum Beispiel Liebe. Und Vertrauen ins Leben. Darauf, dass es gut wird und Sinn macht. Irgendwann, zumindest.
(So, danke für’s Zuhören. Das wollte ich mir heut von der Seele schreiben.)
#1Kerstin L. (Donnerstag, 02 Juli 2020 12:56)Danke, du triffst es wieder mal super! Alles Liebe!
#2Grabner Susanne (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:22)Hammer Beitrag, ich bin zu 100 Prozent deiner Meinung. Super geschrieben
#3Lena (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:39)No more words needed.
#4Sabine (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:49)Danke für deine Worte Kerstin. Ich bin auch absolut deiner Meinung! Und ich bin soooo sauer, dass den Kindern nun obwohl sie in der Schule eh schon in 2 Gruppen zerlegt wurden, und sehr genau auf Abstand und Hygiene achten, und somit dort wesentlich mehr auf Schutzmaßnahmen geachtet wird als anderswo … Dass ihnen nun trotzdem diese eine letzte Woche mit der Möglichkeit auf angemessenen Abschied (vor allem der Abschlussklassen) genommen wurde. Meine Jungs sind sehr enttäuscht, und ich auch!
#5Petra (Donnerstag, 02 Juli 2020)Perfekt ge-/beschrieben! Danke dafür!!!!
#6Sigrid (Donnerstag, 02 Juli 2020 19:50)Du sprichst mir aus der Seele, wir bleiben in der Liebe und nicht in der Angst. Ich bin von Beginn an nicht auf den Zug der Angst aufgesprungen und werde das auch in Zukunft nicht tun.
#7Tina (Donnerstag, 02 Juli 2020 22:16)Danke für deine tolle wahre Worte. Die Leidtragende sind die Kinder. Von heute auf morgen wird abrupt eine Schließung ausgesprochen und wie es den Kindern dabei geht egal, Hauptsache es wird gemacht. #kopfschüttelnfür dieganzeaktionenwasimjahr2020geschehenist#
Dass Kinder verschieden sind, ist ja nun keine bahnbrechende Neuigkeit. Dass jeder Mensch gute und bessere Tage hat, auch nicht. Dass Eltern aber ab und zu echte Meisterleistungen in punkto Anpassungsfähigkeit erbringen dürfen, weil die immer voll im Moment lebenden Kinder ziemliche Achterbahnfahrten mit ihren Gefühlen erleben, will ich heut mal würdigen. Mein Leben also zwischen Kaktusphasen und Kuschelepisoden.
Ich merk es ja selbst. Jeder Tag ist anders und ich fühle mich nicht immer gleich. Das mag damit zu tun haben, wie gut man geschlafen hat, welche Gedanken einen gerade beschäftigen, ob der Tag sehr dicht verplant ist oder eher viel Freiraum bietet, wieviel Bewegung und frische Luft man so zur Zeit bekommt, ob (schwelende) Konflikte in der Luft liegen oder sich kürzlich in einem Gewitter entladen haben, ab und zu ist auch das Wetter mit Schuld und ganz sicher auch die Hormone.
Nun ist es ja oft schon schwer genug, sich selbst auszuhalten mit den eigenen Launen und Befindlichkeiten. Als Eltern leisten wir dazu noch extra viel, wenn wir auch noch ein oder mehrere Gegenüber (in Form von Kindern) dabei begleiten und sie aushalten. Was man zwischen Kaktus (“Schau mich nicht an! Rühr mich nicht an! Red mich nicht an!”) und Kuschelbär (“Du bist die beste Mama der Welt! Ich hab dich lieb! Wieso bist du so gut zu uns?”) gut gebrauchen kann, hab ich versucht hier zusammen zu tragen.
Annehmen. (“Es ist, wie es ist.”)
Ich hab mal gelesen: wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer. Das kann man als Eltern insofern nutzen, als dass man nicht versucht, dauernd etwas anderes zu wollen, als man gerade hat. Wenn ein Kind zum Beispiel tobt und weint, hilft es meist wenig, sich in dieser Situation auch noch lautstark darüber zu beschweren und zu lamentieren, wie furchtbar das gerade ist. Klar, wünschen wir uns einen harmonischen Alltag und einen entspannten Umgang, doch die Realität ist eben, dass wir – und unsere Kinder – auch mit viel Frust umgehen dürfen. Und der lässt sich eben nicht einfach wegblasen wie die Samen einer Pusteblume. Da gibt’s eben heftige Gefühle und ungehemmten Ausdruck, die als Ventil dienen, um sich von innerem Druck befreien zu können. So lange keine anderen Lebewesen und Gegenstände dabei zu Schaden kommen, darf das sein. Ansonsten braucht es dienlichere Strategien, mit dem Frust umzugehen.
Jemandem zu sagen: “… geh, sei doch nicht so wütend!” ist meiner Erfahrung nach wenig Hilfe.
Wahrnehmen. (“Aha. So ist das also.”)
Wahrnehmung ist immer “wahr”, sonst würde es ja “Falschnehmung” heißen. Was einfach klingt, ist oft ganz schön schwer zu verstehen. Wenn wir nicht verstehen, warum das Kind jetzt Angst hat, auf das Baumhaus zu klettern oder wir nicht nachvollziehen können, woher ein Tobsuchtsanfall kommt. Beim Wahrnehmen kann man sich darin üben, ohne Wertung zu beschreiben. Weil Wahrnehmen noch nicht “verstehen” ist. Also kann ich sagen: “Wow, du hast ein hochrotes Gesicht und die Tränen rinnen über die Wangen, du schreist, so laut du kannst – du musst ganz schön ärgerlich sein.”
Das beinhaltet nicht, dass ich das verstehen muss. Doch was wir dabei tun, ist: das Kind sehen. In dem Zustand, in dem es jetzt eben ist. Das geht natürlich auch im Positiven: “Ich sehe deine leuchtenden Augen und dass du ganz sacht auf meinen Schoß krabbelst und dich anschmiegst – willst du kuscheln?”
Wir können uns bemühen, in diesen emotionalen Phasen zwischen Kaktus und Kuschelbär mit zu fließen, auch wenn wir sie nicht verstehen. Und versuchen, zu geben, was das Kind in dem Moment braucht.
Gelassen bleiben. (“Ich bin gut genug.”)
Das hört sich hier einfacher an (und ist auch einfacher geschrieben) als es getan ist. Besonders, wenn wir wieder bedenken, dass auch wir Erwachsene Menschen mit Gefühlen und unterschiedlichen Bedürfnis- und Gefühlslagen sind. Das eigene “raus” zu halten, geht einfach oft nicht und beeinflusst unser elterliches Tun maßgeblich.
Wenn es uns also gelingt, gut und angemessen auf diverse emotionale Höhenflüge oder Tiefschläge der Kinder zu reagieren, dann ist das wunderbar. Wir können auch einfach danach fragen: “Was kann ich für dich tun?” “Was brauchst du, damit es dir wieder besser geht?”
Wenn aber mal Geduld und Nerven zu Ende gehen und der Tag schon lang ist, dann ist es wichtig, die eigenen Ansprüche runter zu schrauben und gelassen zu bleiben.
Oft ist weniger mehr.
Einfach in den Arm nehmen oder dem Kind den Rückzug gönnen.
Zuhören, ohne gleich was drauf sagen.
Hinschauen, ohne gleich eine Wertung aufzutischen.
Atmen und loslassen.
Eltern können (und sollen) bitte nicht alles richtig machen. Es ist erstens immer im Auge des Betrachters, zu beurteilen, was nun richtig ist und was nicht. Zweitens erlauben uns Fehler, zu wachsen, zu lernen und uns zu entwickeln und drittens wären wir vollkommen ätzend für unsere Kinder, aalglatt und perfekte Ausstellungsstücke. Unerreichbar. Und so will ich jedenfalls als Mutter nicht sein.
Bleiben wir menschlich und freundlich mit uns selbst und mit unserem Umfeld. Und wenn es mal nicht mehr weiter geht: jemand anderen übernehmen lassen oder sich zurück ziehen. Auf die eigenen Kräfte schauen und alle möglichen Ressourcen aktivieren, die zur Verfügung stehen und auftanken. Die Höhen und Tiefen der Kinder und alles zwischendrin zu begleiten als Eltern ist eine fordernde Aufgabe, die meine kühnsten Vorstellungen manchmal sprengt.
Und dann denk ich mir wieder: DAS hier ist das VOLLE Leben. Ungeschminkt, ungefiltert, unzensiert. Es darf so sein.
Ist mir allemal lieber als überkontrolliertes, gezähmtes, zurechtgestutztes Verhalten. Es braucht Mut, Vertrauen und Zuversicht – und dafür bekommen wir intensive Erlebnisse und Erinnerungen und … echte Beziehung.
Was findest du herausfordernd beim Eltern-sein? Hast du auch schon Kaktusphasen erlebt? Wie gehst du damit um? Lass uns voneinander lernen! ….
#1Gerlinde (Freitag, 05 Juni 2020 14:54)Hallo! Danke für den Super Blog! Also ich durchlebe auch immer wieder mal Kaktusphasen mit meinen Kindern und bin da gerade mitten drin am üben, weil ich den Online Kurs von dir Kerstin gemacht habe- was mir wirklich ein sehr tolles “Rüstzeug” geworden ist. Einfach die Kinder mit ihren Bedürfnissen zu sehen und sich nicht immer gleich als “Richterin” ein zu schalten. Ich freue mich, dass ich durch deine Beiträge und deinem Online Kurs so viel lernen darf .
#2Sabine (Dienstag, 09 Juni 2020 14:29)Das hast du sehr gut formuliert: Du kannst nicht mit der Realität streiten – denn das ist dann eigentlich die doppelte Auflage. Ein wahrer Zugang liebe Kerstin – ich danke dir für deine wohl formulierten Beiträge!
#3Verena (Donnerstag, 11 Juni 2020 21:33)Liebe Kerstin! …wie immer: scharfsinnig beobachtet, treffend formuliert, mitten ins Herz!!
#4Kerstin (Freitag, 12 Juni 2020 08:28)Danke für die bestärkenden Rückmeldungen. Es freut mich, auch hier zu lesen, dass ich euch mit meinen Worten erreiche – das ist mein Ansporn für diesen Blog. Fühlt euch umarmt!
Oft weiß man als Eltern nicht, wann man mit dem Kind etwas “das letzte Mal” macht. Das letzt Mal stillen, wickeln, füttern, einschlafbegleiten, im-gleichen-Bett-schlafen, … – viele finale Kapitel elterlichen Tuns gehen fast unbeachtet über die Bühne, weil plötzlich der nächste Schritt gegangen wird.
Diese Woche – und das ist ziemlich gut kalkulierbar – geht für mich eine Ära zu Ende. Nach zehn Jahren wird das geliebte tägliche zu-Fuß-in-die-Schule gehen der Geschichte angehören. Was wir alles erlebt haben auf diesen etwa 2000 Schritten jeden Morgen, erzähl ich dir heute.
Vorsicht: nicht weiterlesen, wenn du weiterhin dein Kind mit dem Elterntaxi chauffieren möchtest. Es könnte sein, dass ich dich begeistere, zu Fuß zu gehen.
Bevor ich damit anfange, aber noch ein Wort.
“Meine Kinder, es war eine unglaublich schöne Zeit, die wir gemeinsam erlebt haben. Anfangs mit Kinderwagen und allerlei Gefährten als Hilfe, mit netten Wegbegleiterinnen oder allein: ich hab jeden Schritt an eurer Seite geliebt und genossen. Ich hab gerne die oft schwere Schultasche geschleppt als Motivationsdienst und euch getragen, wenn es zu viel wurde für die jungen Beine. Ihr hattet Zeit, euch umzustellen von “Daheim” auf “Kindergarten” oder “Schule” und konntet vielleicht den Umstieg in die jeweilig andere Welt besser verkraften als durch eine 5 Minuten Autofahrt. Ich bin überzeugt, nicht nur euch sondern auch mir etwas Gutes getan zu haben mit diesen morgendlichen 20 Gehminuten, die so viel mehr sind und waren als “einfach nur gehen”, weil es so viel zu erleben gab.”
33 Dinge, die man am Fußweg zur Schule erleben kann:
die buntesten Himmelsfarben des Morgenrot bewundern, das Grün der Blätter einatmen und beobachten, wie sie sich im Jahreskreis verfärben, abfallen und wieder austreiben
die Schritte zählen und dabei siebzehn mal unsicher sein, ob man sich nicht doch verzählt hat
über den Zebrastreifen gehen wie die Beatles (und dabei Musikgeschichte diskutieren)
die aktuellen Ohrwürmer der Kinder gemeinsam trällern – von Mai Cocopelli über Beatles, Springsteen, AC/DC … je nach Jahreszeit und Stimmung war so ziemlich alles dabei
alle Schultaschen der Kinder im Expeditionswagen transportieren (Aufgabe der Eltern) und den Weg in eine Parcouring Strecke verwandeln, sodass schon vor dem ersten Läuten “turnen” war
im Matschgewand in alle Pfützen springen (als Eltern empfiehlt es sich, den nötigen Abstand einzuhalten) und danach mit Gummistiefeln deren Tiefe messen
in der kalten Jahreszeit gefrorene Spinnennetze an der Traunbrücke bestaunen und dem Knirschen des frisch gefallenen Schnees unter den Schuhen zuhören (Musik in den Ohren von Winterfans)
den Baufortschritt verschiedenster Projekte täglich aus nächster Nähe beobachten (z.B. Salzstaldn) und mitansehen wie baufällige Häuser mit neuem Leben erweckt werden, Grünflächen zubetoniert werden, historische Gebäude in Schutt & Asche gelegt werden (Flachsspinnerei) und dabei über Oberflächenversiegelung debattieren
bei diesen Baustellen tätige, spektakuläre Baumaschinen fachmännisch benennen (und dann wegen zu langer Beobachtung derselben zu spät zur Schule kommen)
zweistimmig Pizzera & Jaus “Kaleidoskop” singen und damit die Bewohner am Weg beglücken
zu zweit mit dem Roller fahren und es “Schulbus” nennen (einer läuft ein Stück voraus, stellt sich an den Wegrand = Bushaltestelle und wird dort vom “Bus” abgeholt)
mit diesem Roller einen kapitalen Sturz hinlegen und dabei auf das Kind drauf fallen
Streckenabschnitte mit Fantasienamen kennzeichnen (z.B. Schneckenfriedhof … dabei über das grausame Massensterben von Nacktschnecken sinnieren)
die Freundinnen am Weg aufgabeln und wuseliges Geplapper bis zur Schule anhören (Erwachsene: mit der Mama dieser Freundinnen das eigene Feldwebelgehabe vor dem Außer-Haus-gehen analysieren und sich gegenseitig mütterliches Fehlverhalten eingestehen und einander danach beruhigen – es ist halt irgendwie überall gleich)
ungestörte und kostbare Einzelzeit mit dem Kind genießen = Beziehungsgestaltung pur
zusammen schweigen und den Morgenmuffel raus hängen lassen
jeden Tag ein Stück Müll aufheben und zum nächsten Mistkübel bringen (das macht in diesen Jahren dann rund 1800 Dosen / Papierl / Becher / Verpackungen …pro Person!)
sich bei deftigen Minusgraden den Allerwärtesten abfrieren und die dabei sichtbar werdende Atemluft cool als “rauchen” definieren (das kenn ich noch aus meiner Kindheit)
am Weg allen Menschen freundlich (und möglicherweise mit einem Lächeln) “griaß di” zurufen
bei orkanartigem Wind versuchen, wie Mary Poppins mit dem Schirm abzuheben (und dabei den Regenschirm ruinieren)
verschiedenste Vogelstimmen am Weg hören und versuchen zuzuordnen
das Zupassen mit dementsprechenden Steinen vom Wegrand üben – schafft der Stein es bis zur Schule?
Eiszapfen von Autos oder Brückengeländern abbrechen und bestaunen (und vielleicht mal dran lutschen, wenn Mama nicht hinsieht – gutes Immuntraining, übrigens!)
die neuesten Klatschgeschichten vom Kind erfahren und darüber diskutieren
noch schnell das Gedicht für die Schule auswendig lernen (Bewegung & Sprache lässt sich prima und vorteilhaft kombinieren) – dabei den Sprechrhythmus an die Schritte anpassen
vor Liebe taumeln, weil das Kind seine Hand immer noch beim Gehen in deine legen will
die eigene Wut (oder die des Kindes) mit jedem Schritt in den Boden stampfen
vorgeben, ein kleiner Hund zu sein, der vom Kind Gassi geführt werden muss (die Nachbarschaft hält mich sowieso für eine Verrückte, also was soll’s) inklusive Gebell, Bein heben und treuherzigem Blick beim Hecheln
vorauslaufen, sich in einer Ecke verstecken und die anderen höllisch erschrecken wenn sie herankommen
nicht auf Risse im Asphalt oder Fugenlinien treten – wer’s tut, stirbt klarer Weise
sämtliche Käfer und Insekten sorgsam “umgehen” und so Zeit vertrödeln, weil man nicht zur Schule gehen mag
ZÄHLEN! und zwar alles mögliche: Zigarettenstummel auf dem Weg (wir zählten mal rund 280), Autos, die vorbeifahren, (Brücken-)Geländerstäbe, Leitpflöcke, Häuser, … – was immer Spaß macht
Klima schonen und sparen! Laut einer Berechnung sind das: Eingespartes CO2 (kg) 1589.76 kg, eingesparte Fahrtkosten 2592€, Vermeidung von Umweltkosten 216€, Vermeidung von Unfallfolge- und Staukosten: 1224 € (wow, wir sollten auf Urlaub fahren für dieses Geld!)
Gratuliere, du hast es bis hierhin geschafft beim Lesen!
Morgen hat das jüngste Kind hier Radfahrprüfung und wird somit zukünftig lieber mit dem Drahtesel den Weg bewältigen, statt an meiner Seite zu Fuß. Es ist ein Stück Loslassen und Abschied nehmen und erfordert eine Anpassung der Morgenroutine an neue Verhältnisse. Ich möchte dir sagen: nütze die Zeit & Gelegenheit, deine Kinder zu Fuß zu begleiten und wenn du zu weit weg wohnst, geht zumindest die letzten 10 Minutuen zusammen (Stichwort Elternhaltestellen)!
Es zahlt sich aus und das Zeitfenster schließt sich irgendwann, wo diese Begleitung gewünscht ist. Und dann gehst du – wie ich gestern – zum letzten Mal mit … und bist dankbar dafür, dass du rund 300.000 Schritte ganz dicht neben ihnen gehen durftest.
P.S: der Junior hat mein leidvolles Gesicht gestern bemerkt und gesagt (“Vielleicht regnet’s ja mal voll, dann gehen wir noch einmal, ja Mama?!”) Wie süß ist das denn bitte??!!!!
#1dein Papa (Donnerstag, 28 Mai 2020 12:22)schade das ich das mit euch 5 Mädels nie gemacht habe, sehr berührend, du bist eine ganz tolle Mama ich bin stolz das deine Kinder dich haben.
#2Gerlinde (Donnerstag, 28 Mai 2020 14:30)Sehr schön, wie du in liebevoller Begleitung deine Kinder am Weg zur Schule und früher zum Kindergarten begleitet hast. – sehr schöne lustige 33 Ideen, in einigen Ideen finden wir uns auch – zum Beispiel beim beobachten der Bauarbeiten, Sammeln vieler Naturmaterialien- das ist immer was spannendes. Wir haben ca. 1Kilometer zum Kindergarten und legen diesen Weg soweit es vom Wetter möglich ist auch meist mit dem Fahrrad zurück. Erst diese Woche habe ich mit meinem 6 jährigen Sohn wieder mal alleine eine kl. Wandung gemacht – er hat es so genossen – ungeteilte Mama Zeit .
Ein gemeinsamer Fußweg ist schon was besonders – ich werde mir diese Ideen auf jeden Fall auch für den Herbst mit nehmen, denn da gibt es dann bei uns auch unser erstes Schulkind :-)! Danke für deine tollen BLOG Einträge
#3Kerstin (Donnerstag, 28 Mai 2020 18:13)Lieber Papa, danke für die Wertschätzung! Ich hab es mit den Kindern langsam richtig schätzen gelernt, weil ich es eben aus meiner Kindheit nicht kannte – nur den Schulbus, weil wir ja weg vom Schuss lebten. Busfahren war auch manchmal lustig, aber Gehen toppt das einfach bei Weitem 😉
Gerlinde – yay! Schön, wenn du motiviert bist, da hast du dieses schöne Wegstück ja noch vor dir!
#4Bianca (Donnerstag, 28 Mai 2020 20:19)Jedes mal, wenn ich deine Zeilen lese egal ob über deine Kinder, Klima etc. denk ich mir immer wieder, was für eine wahnsinns Mutter/Frau bist. Du motivierst mich immer und immer wieder. Ich bin wirklich begeister von Dir und kann vieles lernen. Dafür Dank ich dir.
Am Montag werden sich die Tore für die jüngeren Schüler nach einer gefühlten Ewigkeit wieder öffnen.
Nicht für alle gleichzeitig – nein! Wir haben Pläne bekommen, welche Klassen an welchen Tagen durch welche Türen eintreten dürfen. Natürlich nur mit Schutzmasken und dem berühmten Mindestabstand.
Freudige Begrüßung mit Händeschütteln? Leider nein! Den lang nicht gesehenen Freunden wieder in die Arme fallen? Fehlanzeige. Ein berührendes Erlebnis der Freundin schildern? Ja, wenn ein Babyelefant dazwischen passt.
Ich will mal ganz ehrlich sein. Dieses Heim-Beschulungs-Dings war tatsächlich auch nicht hundertprozentig mein Fall. Obwohl die Kinder mit Lernmaterial versorgt waren, in unserem Fall sehr selbständig arbeiteten und unglaublich mit der Aufgabe gewachsen sind, war die Gesamtsituation doch für die Familie sehr belastend, zumal wir nicht über fünf Schreibtische oder noch besser Büros in Vollausstattung verfügen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf meine bzw. unsere verfügbare Arbeitszeit.
Dennoch: ich hab die Kinder gern unterstützt, sie mit Handlettering-Logbuch Vorlagen versorgt, wie früher schon geduldig beim Lernen geholfen, versucht, ihnen Struktur anzubieten. Die Kids haben “brav” die meisten Aufgaben erledigt, auch wenn der eine oder andere Lernauftrag schon etwas fragwürdig war (z.B. Dreck aus den Schuhsolen kratzen, im Backrohr erwärmen und dann dokumentieren, was daraus wächst, wenn man ihn gießt. Sorry – für so etwas hatte ich echt keinen Nerv.) What the f$§& ??!
Was ich aber – auch in hundert Jahren – beim “Distance Leraning” nicht bieten kann ist der Kontakt zu einer Gruppe Gleichaltriger. Ja, wir haben (seit dem “private Treffen ja immer erlaubt waren” ein paar Tage) eine Lerngemeinschaft mit einer Freundin der Tochter organisiert – aber eine ganze Klasse kann man nicht ersetzen.
Die Gemeinschaft, die Gaudi mit den Kameradinnen zwischendurch, das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, kann der Unterricht daheim schlicht und einfach nicht bieten. Die Sozialkontakte, die Gespräche, der persönliche Austausch, sind auf digitalem Weg gefühlt oft nicht mal die Hälfte wert. Besser als Nichts, aber kein dauerhafter Ersatz.
Wenn also am Montag die Schultüren aufgehen, hoffe ich inständig darauf, dass die Schülerinnen und Schüler, die Pädagogen und wir alle begreifen: Schule ist ein Begegnungsort. Schule ist ein Ort, wo nicht nur Wissen in Köpfe gestopft wird (oder werden sollte) sondern ein Ort, wo das Leben stattfindet.
Gemeinsam Lernen, gemeinsam lachen, gemeinsam verzweifeln und sich wieder aufrappeln, gemeinsam streiten und sich versöhnen, gemeinsam etwas Neues erfahren und sich darüber unterhalten, gemeinsam forschen und gemeinsam Antworten finden. GEMEINSAM! Das ist die Stärke der Schule! Die Gemeinschaft.
Wer gute und positive Erinnerungen an die Schulzeit hat, hat meistens auch gute Gemeinschaft erlebt. Im besten Fall auch mit den Lehrpersonen. Weil Beziehung vor Bildung kommt. Weil ohne Beziehung auch die kompetenteste Lehrerin nichts an ihr Publikum vermitteln kann.
Ich hoffe inständig darauf, dass wir mit Menschenverstand und viel Empathie dem kindlichen und jugendlichen Verhalten begegnen und die Schule nicht zum Ort der polizeilichen Überwachung verkommen lassen!
Nicht weil es um Widerstand gegen (dennoch mittlerweile fragwürdige) Verordnungen geht, sondern um etwas VIEL Wichtigeres: um Gesundheit.
Nicht nur um körperliche Gesundheit, sondern auch um emotionale Gesundheit, um psychische Gesundheit, um geistige Gesundheit und seelische Gesundheit.
Gesundheit ist nicht nur unterm Mikroskop erkennbar, oder am Blutbild, einem Rachenbstrich durch Röntgen, Magnetresonanz, Computertomographie oder sonstige Gerätschaften feststellbar. Wenn wir nicht begreifen, dass psychische Erkrankungen uns genau so schädigen können wir ein Virus, dass seelische Wunden uns mindestens so schädigen wie körperliche Verletzungen das können, dann haben wir einen wesentlichen Teil übersehen.
Also denken wir daran, wenn wir ab Montag in den Schulen und sowieso schrittweise in einen natürlichen Begegnungsalltag zurückkehren: wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die Anderen um uns herum (nicht nur aus der Distanz) und beurteilen wir die Gefahr mit Augenmaß.
Ja, die Schule ist eine Bildungseinrichtung. Doch wer auch nur einen Funken Ahnung davon hat, weiß, dass Bildung über Beziehung funktioniert. Beziehung braucht Nähe.
Wenn schon körperlich nicht alles zugelassen wird, dann braucht es umso mehr emotionale Nähe.
Verständnis von uns Erwachsenen für kindliches Verhalten. Einfühlungsvermögen für Kinder, die in den letzten Wochen – durch die Bank – viel Frust erlebt haben, aus verschiedensten Gründen.
Viele dieser Kinder werden viele dieser Regeln kaum verstehen. (Wie übrigens ich auch.) Seien wir ihnen als Erwachsene voraus, zeigen wir Empathie und sagen:
“Ihr freut euch so sehr, euch wiederzusehen!” statt “Auseinander!”
“Du bist so aufgeregt, wieder hier zu sein, dass du am liebsten von einer Ecke zur anderen schießen möchtest!” statt “Bleib endlich auf deinem Platz!”
“Erzähl mal, wie es dir ergangen ist!” statt “Schnell raus mit den Büchern, es gibt viel aufzuholen!”
“Das ist ungewohnt für dich, das halbe Gesicht nicht zu sehen / zu verdecken!” statt “Maske auf!”
Der Klassenvorstand unserer Tochter hat so treffend beschrieben: “Es geht jetzt nicht darum, möglichst nah am Lehrplan zu bleiben und viel zu erreichen. Es geht darum, WIE wir in dieser Situation miteinander umgehen.”
Immer noch und immer wieder.
So wünsche ich allen Kindern, die am Montag oder Dienstag oder irgendwann demnächst in die Schule zurückkehren eine Umgebung, die sie nicht feindselig und starrhalsig empfängt, sondern Personen, die mit viel Herz und Hirn agieren.
Am meisten wünsch ich es denen, die daheim niemand haben, der sie dann auffängt, weil der Haussegen (wegen Corona oder sowieso) schief hängt.
(Und dann wünsche ich ihnen, dass sie ganz bald wieder turnen und singen, was das Zeug hält, weil das für die psychische Gesundheit auch immens wichtig ist. Vielleicht wichtiger als Desinfektionsmittel. #justsaying)
Worauf freust du dich am meisten, wenn die Kinder zurück zur Schule dürfen? Was kann Schule, was der Unterricht daheim nicht kann? Ich freu mich, wenn du deine Erkenntnisse hier in den Kommentaren teilst!
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