Bitte, geht’s euch wieder fürchten!

Bitte, geht’s euch wieder fürchten!

Also, so war das nicht geplant. Heute ist hier letzter Schultag. Ho-ruck werden ab morgen wieder alle Betreuungs- und Bildungseinrichtungen in einigen Bezirken in OÖ geschlossen. Da war doch dieses Dings, ach ja: CORONA!
Der Wink mit dem Zaunpfahl lautet wohl: geht’s euch alle brav wieder fürchten, die Pandemie ist nicht vorbei! 
Wovor ich mich wirklich fürchte und was mir durch den Kopf geht, wenn ich an Familien und Kinder denke angesichts der Maßnahmen dieser Tage, kannst du heute hier lesen.

Geplant hatte ich ja mal, dass ich zum Schulschluss (das wäre dann nächste Woche gewesen) einen Rückblick über die Grundschulzeit schreibe, dazugehörige Erlebnisse und Ideen zur Verbesserung. (Wird’s auch geben, nur – wir haben dann schon eine Woche Ferien).
Dass man im Leben nicht immer alles planen kann, ist mir schon länger bewusst. Ich lass mich auch gern mal überraschen und kann mit Veränderungen grundsätzlich sehr gut umgehen, wie ich meine. Doch hier geht’s für mich nicht um eine unvermeidbare, schicksalhafte Entscheidung, sondern um etwas Anderes.

ZU SEHR ALTE NORMALITÄT?

Ich hatte schon geglaubt, mich an eine “neue Normalität” zu gewöhnen. Ganz ehrlich war es sogar sehr nah dran an meiner “alten Normalität”, weil ich nicht jemand bin, die jedes Wochenende um den Globus jettet, dauernd Großveranstaltungen besucht oder am laufenden Band in brechend vollen Diskotheken die Nacht zum Tag macht.
Die Kinder durften einige der geliebten Freizeit Aktivitäten wieder aufnehmen, ich konnte langsam meine persönlichen Klientenkontakte durchführen und erneut face-to-face Kurse planen, ein löchriger, aber dennoch zumindest minimal vorhandener Schulalltag war gegeben, es hat sich ganz gut angefühlt, eigentlich.

So nach Zuversicht.
Nach “wir schaffen das”.

ZUVERSICHT STREUEN? DENKSTE!

Doch denkste: so leicht sollen wir bloß nicht glauben, dass es ist. Wir sind gefährlich füreinander, außerdem rücksichtslos und wir fürchten uns definitiv zu wenig, weil wir so tun, als wäre alles wieder beim Alten. Die Menschen wurden lebensfroher, haben auch kritisch betrachtet, was da so passiert ist vor einigen Wochen. Viele waren gar nicht mehr so sehr einverstanden mit der Proportionalität der Einschränkungen gegenüber der tatsächlichen Gefahr, die sich darstellte.

Da kommt so eine Maßnahme (Schulschließungen) natürlich genau richtig, um uns zu erinnern: wir sind in einer Pandemie, das Leben ist tödlich! Habt Angst! Das ist gefährlich! (Außerdem haben wir noch keine verpflichtende App und auch keine Impfung.)
Einmal ganz abgesehen davon, dass die Entscheidungsträger anscheinend noch immer völlig hilflos agieren (und genau gleich wie vor dreieinhalb Monaten) und auch wie es aussieht nichts dazugelernt haben, frag ich mich ernsthaft, ob jemand bedenkt, was man damit auslöst. 
Und bitte: diesmal zählt das Argument einfach NICHT, man hätte nicht Zeit gehabt, darüber nachzudenken. 

WAS IST DAS ZIEL?

Angst und Schrecken zu verbreiten ist – und auch diese Diskussion hatten wir doch schon – kein probates Mittel um Menschen zu schützen, die sich gegen ein hochansteckendes und möglicherweise auch gefährliches Virus schützen oder wehren sollen.
Wenn ich auch sonst nicht viel von Virologie verstehe und von Infektionsketten und solchen Dingen, dann zumindest das: unser Körper wird, wenn er mit Angst konfrontiert wird (und noch mehr mit unseren Urängsten) nicht stark sondern SCHWACH!
Wir brauchen Mut und Zuversicht, damit wir gut durch Krisen kommen. Doch ich spüre vor allem Unwissenheit, Täuschung und Manipulation. 

MIT DER GEFAHR LEBEN

Wir werden lernen dürfen mit Corona zu leben und brauchen endlich eine bodenständige Einschätzung der Gefahr. Denn auch mit einer App wird das Virus weiterexistieren, sich verändern und vielleicht noch mehr Probleme machen. Und auch mit einer Impfung gibt es (Achtung, breaking news:) KEINE 100%ige Sicherheit. Also, wenn unser Ziel ist, Corona auszurotten, dann können wir uns glaub ich tatsächlich von einem planbaren Alltag verabschieden.

Ja, das Leben ist potenziell gefährlich. Nicht wegen Corona. Auch wegen dem Straßenverkehr, Unfällen im Haushalt, gewalttätigen Übergriffen, psychischen Traumatisierungen, anderen Krankheiten.

WAS ECHT ZUM FÜRCHTEN IST

Was mir viel mehr Sorgen bereitet, ist der Umgang mit den zukünftigen Generationen. Mir nix, dir nix werden sie aufs Abstellgleis geschoben. Soll sich sonst wer darum kümmern. WIE das passiert ist ja mehr als fraglich. Anstiege bei den registrierten Missbrauchsfällen sind ja längst kein Geheimnis. Doch auch wenn keine körperlichen Übergriffe passieren: SO VIELE Kinder sind und waren schon während dem ersten Lockdown sich selbst überlassen. Waren alleine, während Eltern arbeiten gehen mussten und sich nicht getraut haben, die Kinder in den Notbetrieb zu schicken, da red ich noch nicht davon die “Schande” einzugestehen, dass man es “nicht schafft” daheim. Eine ganze Generation verkümmert hier und wird einfach zu wenig beachtet. Die Folgen dieser Erlebnisse wird man erst in vielen Monaten oder Jahren einschätzen können.

WEGEN DEN PAAR WOCHEN

Wer jetzt meint, das kann ja nicht so schlimm sein, die Kids mal ein paar Wochen nicht so gut zu betreuen, dem sei gesagt: selbst hier (in einem diesbezüglich sehr privilegierten Haushalt, weil immer ein Elternteil greifbar war) waren Auswirkungen deutlich spürbar und was wir als Familie abfedern durften an Enttäuschung, Frust, Angst, Verwirrung, Antriebslosigkeit, Trauer, Wut und Sorgen war hart an der Grenze. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es Kindern und Jugendlichen (JA, auch 16-jährige brauchen noch elterliche Zuwendung, besonders in Krisenzeiten!!) ergangen sein mag, die in dieser Zeit völlig auf sich gestellt waren. 

ICH HAB DAZU GELERNT

Was mich betrifft, so hab ich dazu gelernt. Ich werde nicht mehr darauf warten, dass politische Entscheidungsträger uns erlauben, soziale Kontakte zu pflegen, wenn ich merke, dass das nötig ist. (Und dann behaupten, private Treffen waren eh immer erlaubt.) Bei allem Respekt für meine Mitmenschen und sorgfältigem Umgang werde ich mich um uns kümmern.
Ich werde kritisch hinterfragen, und öffentlich darüber reden, was man wohl mit gewissen Maßnahmen erzielen mag und nicht in Schockstarre verfallen, sondern in der Liebe bleiben – so wie es von Anfang an geplant war.
In der Liebe zu meinen Kindern, meiner Familie, meinem sozialen Umfeld und zu mir selbst.
Ich werde auffangen, trösten und mitleiden, weil kein Abschied möglich war, Veranstaltungen wieder abgesagt werden, das Schulende nicht gefeiert werden konnte, das Fußballspiel wieder nix wird und meine Kurse wieder auf wackeligen Beinen stehen. 

Vor allem aber werde ich das Konzept der Angst nicht mittragen. Auch wenn ich mich gegen öffentliche Entscheidungen nicht wehren kann. Der Angst gebe ich IN mir keine Chance. Für mein Leben will ich Zuversicht, Hoffnung und ein Konzept, das auf etwas Postitivem basiert. 
Zum Beispiel Liebe
Und Vertrauen ins Leben.
Darauf, dass es gut wird und Sinn macht. Irgendwann, zumindest.

(So, danke für’s Zuhören. Das wollte ich mir heut von der Seele schreiben.)

Kommentar schreibenKommentare: 7

  • #1Kerstin L. (Donnerstag, 02 Juli 2020 12:56)Danke, du triffst es wieder mal super! Alles Liebe!
  • #2Grabner Susanne (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:22)Hammer Beitrag, ich bin zu 100 Prozent deiner Meinung.
    Super geschrieben
  • #3Lena (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:39)No more words needed.
  • #4Sabine (Donnerstag, 02 Juli 2020 14:49)Danke für deine Worte Kerstin. Ich bin auch absolut deiner Meinung!
    Und ich bin soooo sauer, dass den Kindern nun obwohl sie in der Schule eh schon in 2 Gruppen zerlegt wurden, und sehr genau auf Abstand und Hygiene achten, und somit dort wesentlich mehr auf Schutzmaßnahmen geachtet wird als anderswo … Dass ihnen nun trotzdem diese eine letzte Woche mit der Möglichkeit auf angemessenen Abschied (vor allem der Abschlussklassen) genommen wurde. Meine Jungs sind sehr enttäuscht, und ich auch!
  • #5Petra (Donnerstag, 02 Juli 2020)Perfekt ge-/beschrieben! Danke dafür!!!!
  • #6Sigrid (Donnerstag, 02 Juli 2020 19:50)Du sprichst mir aus der Seele, wir bleiben in der Liebe und nicht in der Angst. Ich bin von Beginn an nicht auf den Zug der Angst aufgesprungen und werde das auch in Zukunft nicht tun.
  • #7Tina (Donnerstag, 02 Juli 2020 22:16)Danke für deine tolle wahre Worte.
    Die Leidtragende sind die Kinder. Von heute auf morgen wird abrupt eine Schließung ausgesprochen und wie es den Kindern dabei geht egal, Hauptsache es wird gemacht. #kopfschüttelnfür dieganzeaktionenwasimjahr2020geschehenist#
Overload – wegen so einer Kleinigkeit?

Overload – wegen so einer Kleinigkeit?

Ist das jetzt ein Problem, dass du Brot einkaufst? Das ist doch bitte kein Aufwand! Das Kind vom Bahnhof abholen? Sind doch nur 15 Minuten! Wäsche waschen? Macht doch eh die Maschine. Stimmt genau. 

Warum sich viele Frauen – ja, das ist leider die Realität – dennoch überlastet fühlen, wenn es um diese kleinen Alltagsdinge geht, wie es im Kopf einer Mutter aussehen kann und zwei kleine Lösungsansätze für dieses Problem.

Vielleicht wird uns diese Tatsache jetzt gerade wieder deutlicher bewusst, weil wir das “Leben hochfahren” und sich Terminkalender langsam wieder dichter füllen. Sicher ist jedoch für mich: das ist nichts Neues, das kenn ich schon, dass mir an manchen Tagen fast der Kopf platzt vor lauter To-Dos und die Hände nicht zur Ruhe kommen wegen tausend kleiner Tätigkeiten.

Es ist doch so. Grundsätzlich sind wir Menschen Lebewesen, die gerne etwas schaffen, die sich von Natur aus (wenn nicht zuviel drein gepfuscht wurde) gern betätigen und sinnvolle Beschäftigung suchen.

Das kann aus den verschiedensten Gründen passieren: 

(Putzen) …weil es persönliches Bedürfnis ist, in einer sauberen Wohnung zu leben
(Vorlesen) … weil es ungeteilte Aufmerksamkeit für mein Kind bedeutet
(Einkaufen) … weil wir Lebensmittel brauchen, um zu überleben
(Arbeiten) … weil wir mit Geld unser Leben finanzieren und es in unserem Wirtschaftssystem relevant ist.
(Abholdienste) … weil die Sicherheit unserer Kinder wichtig ist oder Termindichte das erfordert.
(Planen) … weil wir effizient sein möchten und wir uns Orientierung wünschen.

Liste an dieser Stelle bitte beliebig fortsetzen.

Das Problem ist und war nie eine einzelne Tätigkeit. Mir geht es zumindest so. 

  • Es ist kein Problem einmal die Waschmaschine zu starten (… meine piepst übrigens grad, weil sie fertig ist: sie schreit “Wäsche aufhängen! Jetzt, sonst verknittert sie!”). 
  • Es ist kein Problem, mal schnell das Kind irgendwo hinzubringen, weil vielleicht grad kein Bus oder Zug fährt (… was ja im ländlichen Raum DURCHAUS mal der Fall sein könnte – oder die Bushaltestelle ist so weit weg, dass es schon Wurscht ist, ob der Bus fährt oder nicht #dieletztemeile )
  • Es ist kein Problem, neue Schuhe für das Kind zu besorgen (… obwohl: gehe mal mit Teenagern einkaufen, und diese Aussage ist schnell relativiert – da bekommt jede Verkäuferin Wallungen).
  • Es ist kein Problem, noch schnell ein paar Erdbeeren zu pflücken, weil die Kinder sie sooooo lieben (doch, wer verarbeitet dann eigentlich die 16 Kilo, die es unabsichtlich geworden sind?).
  • Es ist kein Problem, eine Anfrage für den Familienurlaub an ein Hotel zu schicken.
  • Oder den Müll im Altstoffsammelzentrum zu entsorgen.
  • Oder die Katze zu füttern.

Die Dosis macht das Gift

Einzeln betrachtet, sind viele dieser beschriebenen Tätigkeiten in wenigen Minuten erledigt. Wenn man mich dann anspricht darauf, warum ich eine solche Aufregung darum herum veranstalte, frag ich mich selbst manchmal, was eigentlich mit mir los ist?! Das kann doch nicht so schwer sein. Einfach die Katze füttern. 

Das schlechte Gewissen und das Gefühl wohl einfach unzureichend zu sein, stellt sich prompt ein, was der ganzen Situation natürlich überhaupt nicht förderlich ist, weil es meine Motivation zu tun eher hemmt als fördert. Bei genauer Betrachtung kommt jede von uns aber schnell selbst darauf: es ist nicht “DIE EINE” Sache, die Dosis macht das Gift. Und besonders alle Gedanken, die vorher und nachher um so eine Tätigkeit kreisen. Denn das dran-denken ist auch ein To-DO!

Kopfkino gefällig

Wenn man in den Kopf einer Familienmanagerin hineinblicken könnte und jeder Gedanke darin auf zwei Beinen herumlaufen würde, dann wär das eine Menschenansammlung, bei der von Mindestabstand keine Rede mehr sein kann.

Noch ein Geburtstagsgeschenk für den Freund kaufen, die bestellten Sachen vom Dorfladen abholen, Essen für’s Wochenende vorchecken, die berufliche Anfrage beantworten, die Kinder zum Tennis bringen, den kaputten Fahrradschlauch bestellen, Milch kaufen, die ist schon wieder alle, die Familie zum Teeniegeburtstag einladen, den Kieferorthopädin-Termin verschieben, die Kinder vom Smartphone trennen, die sitzen dort schon wieder zu lange, kochen anfangen, es ist schon so spät, die fällige Rechnung überweisen, das Volksbegehren unterschreiben gehen, die lang nicht gehörte Freundin anrufen, Ribisel pflücken, Schreibtisch aufräumen, beim Online Yoga dabei sein, die Schneckenbremse beim Hochbeet erneuern.

Sichtbarkeit bringt Wertschätzung

Was viele dieser Dinge auszeichnet, ist: es fällt kaum auf, wenn sie erledigt wurden. Doch wenn man darauf vergisst, wird es sehr wohl bemerkt. Von mir oder den anderen. Deshalb schreibe ich immer wieder gern negative To-Do Listen, ich nenne sie : “DID IT!” Listen, wo ich aufschreibe (für mich und alle, die es sonst so interessiert), was ich alles gemacht habe. Ich schreibe einzelne Arbeitsschritte auf, die erledigt sind und nicht bloß “Wäsche gemacht”. (Dazu gehört auch dass ich Wäsche einsammle, sortiere, einschalte, aufhänge, falte und verräume – ein Lieblingsbeispiel von mir!)

Wenn man abends manchmal das Gefühl hat – was besonders mit kleinen Kindern häufig der Fall ist – nichts geschafft zu haben, dann tut so eine Liste gut. Weil dann auch drauf steht: 

  • 3 Bilderbücher vorgelesen. 
  • 4 mal Kind getröstet. 
  • Zerbrochenes Marmeladeglas beseitigt und Boden gewischt.
  • Kind geduldig beim Zähneputzen begleitet.
  • 2 Stunden das Lieblingskuscheltier gesucht

Oder so.

Über das Sichtbar-machen bekommen die Dinge mehr Wertschätzung. So siehst du selbst und auch andere, wie viel du (an unbezahlter Arbeit) leistest. Für bezahlte Arbeit gibt’s am Ende des Monats eine Buchungszeile auf dem Bankkonto, die die Wertschätzung in Zahlen gießt – das ist wesentlich einfacher.

Reduzieren statt aufhalsen

Nicht immer ist allerdings Wertschätzung die ultimative Lösung. Manchmal ist es dennoch einfach zu viel und da braucht es unser “Nein”, eine bewusste Unterbrechung, ein Ausstieg aus einer Dynamik, eine neue Aufgabenverteilung.
Wenn die Zumutbarkeitsgrenze erreicht ist, ist es wichtig, gut (oder wieder besser) auf sich zu schauen und durch ein “Nein” zu einer Tätigkeit oder Person ein “Ja” zu sich selbst zu erlauben. (Weil man sonst nicht mal mehr die angenehmen Dinge im Tagesablauf genießen kann.)
Das erfordert als erstes Bewusstsein, dann Mut und dann Durchhaltevermögen
Ich wünsche dir alle drei Eigenschaften, falls sich das nächste Mal bei dir ein “Overload” ankündigt oder eintritt.
Jedenfalls hab ich auf meiner Website eine “Did it!” Liste als Download für dich bereit gestellt, falls dir diese Idee gefällt. Viel Freude damit!

Schreib mir gern in die Kommentare, wie es dir mit deiner Belastungsgrenze geht!
Und ob du schon Lösungen dafür entwickelt hast …. 😉

Nesthäkchen – die jüngsten Kinder

Nesthäkchen – die jüngsten Kinder

Geschwisterbeziehungen prägen uns mindestens so wie die Beziehung zu unseren Eltern. Daher ist es hilfreich, sich immer wieder mal der eigenen Position bewusst zu werden und was man sich als Persönlichkeit vielleicht genau deshalb angeeignet hat. Heute geht’s um die jüngsten Kinder in einer (längeren oder kürzeren) Reihe und was sie ausmacht, ob sie wirklich nur verhätschelt werden und alles für sie leichter ist.

Mythen & Klischees 

Nesthäkchen, Baby, Küken oder auf gut oberösterreichisch “Nestscheißal” genannt, nehmen die jüngsten Kinder in der Familie eine besondere Position ein. Sie sind die letzten in einer Reihe von Kindern und haben dadurch – ähnlich wie Erstgeborene – einen besonderen Status. Über sie gibt es ebenfalls haufenweise Alltagsmythen: sie seien verweichlicht, zu sehr verwöhnt und verzogen, werden dauernd nachsichtig behandelt und müssen viel weniger im Haushalt beitragen, als die anderen Geschwister.

Charmebolzen & Altkleiderständer

Was die Jüngsten Kinder tatsächlich erleben und wie der Alltag auf sie wirkt, ist wohl eine andere Sache. Sie werden in eine Familie hineingeboren, wo sie von Beginn an mit sehr viel Leben konfrontiert sind, wo viel Aktivität herrscht und mindestens drei unterschiedliche, jedenfalls vorerst überlegene und größere Persönlichkeiten wirken und werken.

Durch diese Asymmetrie sind die Positionen natürlich von Haus aus ungerecht verteilt und so suchen jüngste Kinder oft ihren Platz, ihre Aufmerksamkeit und ihre Einzigartigkeit auf andere Weise. Sie lassen sich gern länger tragen, füttern oder anziehen und setzen ihren ganzen Charme ein (klein und knuddelig sein hat auch seine Vorteile, die durchaus nützlich sind!) um weniger zur Verantwortung gezogen zu werden, genießen manchmal früher als die älteren Geschwister diverse Freiheiten und müssen dafür lediglich aushalten, ein paar abgetragene Klamotten zur Verfügung gestellt zu bekommen.
So weit, so zynisch (diese Betrachtung).

Friedfertig & ausgleichend

Doch auch im Rang der Jüngsten Kinder steckt großes Potenzial, das erkannt und genutzt werden darf, auch sie können aufgrund ihrer Position spezielle Eigenschaften erwerben, die ihnen als Persönlichkeiten dienen können.

Zum Beispiel sind die jüngsten Kinder üblicherweise weniger gewaltbereit beim Konfliktlösen. Durch ihre körperliche Unterlegenheit brauchen sie längere Zeit andere Methoden, um einen Streit zu schlichten. Allerdings sind sie auch gut im Vermeiden von Konflikten, weil sie sich nicht gern unbeliebt machen, sind sie doch die Schnuckeligen der Familie.

Anpassungsfähig & frühentwickelt

Sie lernen schon früh, sich an andere Menschen im engen Umfeld anzupassen, weil sie ja in der Familie dazugehören wollen. Dabei sind sie oft mit vielen unterschiedlichen Meinungen und Verhaltensmustern konfrontiert, die sie für sich filtern und gegebenenfalls übernehmen dürfen.
Oft befassen sich jüngste Kinder in Familien schon früher als ihre Geschwister mit Themen und Inhalten, die ihrer Entwicklung voraus sind, was teilweise hohe Anforderungen an ihr kognitives Denken stellt.

Grenzgänger & Austester 

Besonderes Durchsetzungsvermögen benötigen sie, wenn sie die von Geschwisterkindern ausgetretenen Pfade verlassen wollen und womöglich die ersten sind, die etwas “anders tun wollen”. Dabei profitieren sie meiner Meinung nach enorm von den meist schon tiefenentspannten Eltern. Bei den Jüngsten wird es oft nicht mehr so tragisch gesehen, wenn tägliche Bildschirmminuten, Vormittagssüßigkeiten oder nächtliche Ausgehzeiten verhandelt werden. Eltern haben bei den Küken bereits die Erfahrung gemacht, dass Gelassenheit ein guter Wegweiser ist und das Leben die Dinge schon richtet. Die jüngsten testen dennoch die elterlichen Grenzen auf ihr absolutes Belastungsmaximum, was schon manchmal aufreibend sein kann.

Persönliche Erfahrungen

Ich habe persönlich schon öfter gehört, dass die letzten Kinder die Familie so richtig abrunden. Wo beispielsweise in einer Familie mit drei Kindern vieles drunter und drüber ging, beruhigte sich das System erstaunlicher Weise mit einem vierten Kind. So, als wäre man noch nicht komplett gewesen. Auch wenn die jüngsten Kinder sehr oft diejenigen sind, die am wenigsten geplant waren (zweifach hautnah erlebt), sind sie dann nicht mehr weg zu denken und genau so wichtig und wertvoll wie jedes andere Kind in der Reihe, auch wenn sie unter anderen Vorzeichen aufwachsen.

By the way: “planen” und “Kinder kriegen” sollte man erst gar nicht in einem Satz verwenden.

Augenaufschlag & Bestechungsmanöver

Als Mutter von drei Kindern kann ich bestätigen, dass es schwer fällt, dieselben “Grenzen” für Kinder aufrecht zu erhalten – sei es bei “wann darf ich alleine ins Freibad gehen” bis zu “wann bekomm ich mein erstes Handy”. Nicht zuletzt, weil auch die Zeit nicht stehen bleibt und es Entwicklungen gibt, die Eltern auch berücksichtigen sollen. Ich ertappe mich selbst dabei, milder mit der Einhaltung diverser Zusammenlebensregeln zu sein, das Kuscheln mit dem Küken länger zu genießen, weil mein Schoß von keinem jüngeren Kind besetzt ist und manchmal ein wenig dem Augenaufschlag und Bestechungsmanöver des Nesthäkchens zu erliegen. 

Gleich vs. gerecht

Da erinnere ich mich dann selbst daran, dass “gleich” nicht immer “gerecht” ist und manchmal nur gleich auch gerecht ist. In welchem Fall was anzuwenden ist, entscheidet natürlich jede Familie für sich selbst. Ich versuche dennoch, das jüngste Kind nicht zu schonen, was Haushaltstätigkeiten betrifft und werde dabei auch beständig von den beiden Älteren daran erinnert. Das abgetragene Gewand wird trotzdem weiter gereicht, weil das abgesehen von persönlichen Eitelkeiten einfach ökologisch und ökonomisch ist. Dass das Smartphone nicht früher in die Kükenhände kommt, auch wenn alle Klassenkollegen schon eins haben, nur er wieder nicht. 

Es gibt nicht immer ein “eindeutiges Richtig” oder ein “sicheres Falsch” bei diesem elterlichen Tun. Am meisten zählt wohl, dass wir uns der Unterschiedlichkeit unserer Kinder bewusst sind, reflektiert und kritisch betrachten, dass es halt Vorteile und Nachteile in jedem Rang gibt und stets versuchen, das beste daraus zu machen, was uns gegeben ist.

Also falls wir’s wieder mal ordentlich versemmeln, sei gesagt: die besten Eltern machen (laut Jesper Juul) mindestens 20 Fehler pro Tag

Und ganz ehrlich: über irgendwas müssen die Kinder ja dann mal lachen können, wenn sie in fünfzehn Jahren bei der Familienfeier sitzen und über ihre Kindheit quatschen … grauenvolle Vorstellung, wenn sie feststellen, dass alles immer wie am Schnürchen lief, oder?!


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Sandwichkinder – die “goldene” Mitte

Sandwichkinder – die “goldene” Mitte

Über Geschwisterbeziehungen hab ich ja schon öfter geschrieben. Über emotionale Premieren und erinnerungswürdige Finali gab’s hier schon zu lesen. Diese betreffen oft die jüngsten oder erstgeborenen Kinder. Wem oft zu wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird, sind die Mittleren, die sogenannten Sandwichkinder. 

Mit diesem Beitrag möchte ich speziell dieser Personengruppe huldigen und mich auf die Suche machen nach dem, was an den zwischendrin geborenen Kindern das Herausragende ist und was an so manchem Klischee dran ist – oder auch nicht.

Wenn Paare Eltern werden, erleben sie mit ihren Erstgeborenen praktisch täglich Premieren, alles passiert zum ersten Mal. Man entdeckt sich als Eltern und lernt so viel dazu. Mit den jüngsten Kindern der Geschwisterreihe – den sogenannten “Nesthäkchen” – erleben wir Abläufe, Feste, Rituale oft zum letzten Mal und deshalb auch manchmal sehr bewusst.

Dass die mittleren Kinder, die Sandwiches, dabei oft durch die Finger schauen, ist irgendwie offensichtlich – jedenfalls meiner Erfahrung nach und die Befragungen dieser Gruppe bestätigen diese Meinung.

Die “armen” Sandwichkinder

“Die haben’s besonders schwer” heißt es oft, oder “… das sind immer die schwierigen Kinder” klingt es, wenn man über diejenigen spricht, die in der Mitte einer mindestens 3-teiligen Geschwisterreihe stehen. Laut presse.com sagen 38% der Eltern, die Mittleren seien die ungezogensten und frechsten ihrer Kinder.

Sie erleben häufig, weniger bemuttert zu werden als die vorher und nachher Geborenen, bekommen generell weniger elterliche Aufmerksamkeit, sie verzagen leichter, können eher aggressives Verhalten zeigen und sind fordernder und unzuverlässiger als die anderen Kinder.

Keine besonders schmeichelhafte Bilanz, selbst wenn sie nicht auf hundert Prozent der Gruppe zutrifft, weil es eben immer Ausnahmen zur Regel gibt.

Dennoch zahlt es sich aus, mal einen kritischen Blick auf ihre Rolle zu werfen. Mittlere Kinder werden in Familien hineingeboren, wo schon mindestens ein Kind da ist. Sie erleben das Aufwachsen mit anderen Geschwistern als ihr “normal”, sind meist von Beginn an mehr Energie gewöhnt (weil eben mehr Leben da ist) als die Erstgeborenen und bekommen früher oder später eins oder mehrere jüngere Geschwisterkinder, die wieder den Fokus von ihnen wegziehen. Sie stehen also nur für ein gewisses Zeitfenster im Rampenlicht. 

Wettkampf um elterliche Zuwendung

Da jedes Kind gesehen werden will und Aufmerksamkeit möchte, suchen sie eben kreative Wege, um wahrgenommen zu werden. Wenn das durch “folgsam sein” (wie die Erstgeborenen) nicht geht, weil das schon jemand macht und auch nicht durch “niedlich sein” (siehe Nesthäkchen), braucht es eben andere Mittel. Sie wollen und müssen Dinge anders machen, wenn sie elterliche Zuwendung erreichen möchten, egal ob dies nun positive oder negative Zuwendung ist. “Hauptsache, es bemerkt mich irgendwer”, quasi. Diese Tatsache führt meiner Meinung nach zu den wenig bewundernswerteren Eigenschaften die Sandwichkinder möglicherweise entwickeln können. 

Die goldene Mitte

Statt sich allerdings dauernd auf die negativen Eigenschaften zu stürzen, ist es gut und wichtig darüber nachzudenken, welches Potenzial in dieser Position steckt. Denn jede Geschwisterkonstellation und -position hat ihre Vorteile und Nachteile. Die Kunst besteht halt darin, diese Chancen zu nützen anstatt die schweren Umstände zu bejammern.

Mittlere lernen beispielsweise besser als andere in der Geschwisterreihe, flexibel zu sein. Auch wenn viele dieser Kinder das als leidvolle Erfahrung beschreiben, nicht zu wissen “wo man hingehöre – zu den Großen oder den Kleinen?”, lernen sie dabei Einzigartiges. Sie können sich an das Spiel der älteren Geschwister anpassen, sich aber auch an den Interessen der jüngeren Geschwister erfreuen und sich so in verschiedenen Rollen erleben. Einmal mitlaufen und sich unterordnen, dann die Führung übernehmen. Beides lernen sie in dieser Position besser als die anderen Kinder, was man für das Leben gut brauchen kann.

Sie lernen durchsetzungsfähig zu werden, besonders, wenn sie andere Wege beschreiten wollen, als vorher geborene Geschwister (z.B. doch ein anderes Maturaballkleid zu bekommen als die Schwestern vorher). Wenn die Eltern mit ihnen “gewohnte Pfade verlassen dürfen”, ist dafür auch besonderer Kampfgeist von Nöten – den kann man bekanntlich auch ganz gut brauchen im Leben. Andererseits sind die Sandwiches außergewöhnlich diplomatisch, weil sie vielleicht auch gelernt haben, zwischen den “Großen” und den “Kleinen” zu vermitteln, wenn es Unstimmigkeiten gab – sicher eine wunderbare Eigenschaft für allfällige spätere Beziehungsgestaltung.

Sandwiches wissen, wie es geht, aufzuzeigen, gewohnte Bahnen zu durchbrechen und (wenn nötig mit allen Mitteln) Neues durchzusetzen, können aber auch bequem bereits (von älteren Geschwistern) bereitete Wege beschreiten – und sie gegebenenfalls noch ein wenig erweitern! (Stichwort Fortgehzeiten).

Die mangelnde elterliche Aufmerksamkeit kann definitiv als Bonus erlebt und genützt werden. Viele Mittlere gestehen, dass man sich “super durchschummeln” konnte und die Eltern vieles nicht bemerkten, was sie so getan haben, weil das Hauptaugenmerk eben wo anders lag (z.B. ein Wertkartenhandy ohne elterliche Erlaubnis kaufen “…ist nie wem aufgefallen”). 

Man kann auch sagen, dass sie es nicht nötig haben, immer im Mittelpunkt zu stehen – was durchaus Vorteile im Leben hat! Sie halten es gut aus, wenn sich nicht alles um sie dreht. 

Eine andere Brille

Eine gemachte Erfahrung mit einer anderen Brille zu betrachten ist also auch im Hinblick auf Geschwisterpositionen zu empfehlen. Ja, es ist so: mittlere Kinder bekommen oft weniger Aufmerksamkeit von den Eltern und haben andere Bedingungen beim Aufwachsen als die Erstgeborenen oder die Jüngsten. Doch das bedeutet nicht, dass das automatisch schlechtere Karten sind. Wie in jedem Geschwisterrang gilt es auch bei ihnen, die Gegebenheiten gut für sich zu nützen und darauf zu vertrauen, dass man genau an der richtigen Stelle geboren wurde, weil man dort das meiste lernen kann und alles mitbekommt, was für das eigene Leben notwenig ist, weil uns Konstellationen im Familienmobile eben prägen. Als Menschen und Persönlichkeiten.

Erfahrungen als Eltern

Als erstgeborenes Kind kann ich diese Dinge nur erzählen, ich hab sie nicht erlebt. Ich kann und habe mittlere Kinder befragt (gaaaaanz viele davon in den Partnerkursen für Brautpaare), wie es ihnen ergangen ist – doch richtig gefühlt hab ich natürlich nie, wie es ist, ein mittleres Kind zu sein.

Als dreifache Mama versuche ich täglich mein Bestes, die Kinder gerecht zu behandeln. Dazu gehört nicht nur die Geschwisterposition sondern auch die Persönlichkeit, Temperament und Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen. (Schon beim Tippen dieser Wörter wird mir die Unmöglichkeit dieser Aufgabe bewusst.)

Doch der Punkt ist: ich versuche es
Ich bin mir bewusst, dass es Unterschiede gibt. 
Ich bemühe mich, typische Rollenbilder zu verbannen.
Ich widme dem mittleren Kind – und jedem Kind – öfter Exklusivzeit
Ich gebe mein Bestes und vertraue darauf, dass das gut genug ist.

Wir kommen als Eltern nicht ohne Fehler durch. Das müssen wir auch nicht. Jeder Fehler ist eine Erfahrung, die uns weiterbringt auf unserer Reise als Begleiter durchs Leben. (Jan Uwe Rogge sagte mal in einem Vortrag: “Trinken Sie 1/8 Weißburgunder für jeden Fehler, den Sie in der Erziehung gemacht haben.” … worauf eine anwesende Mütterrunde im Anschluss eine feuchtfröhliche Nacht erlebte 😉 ….)

Und wir können sie stets in etwas Gutes verwandeln und bisher eventuell negativ behafteten Bildern oder Rollen einen neuen Anstrich geben.

Sandwich Kinder sind vielleicht Troubleshooter.
Vielleicht sind sie aber auch ganz einfach: die GOLDENE MitteUnd glänzen von diesem Platz aus.
Bist du ein mittleres Kind? Welche Erfahrung hast du in dieser Position gemacht?

Was kannst du heute aufgrund deiner Geschwisterposition Positives in deinem Leben entdecken?
Lass mich gern teilhaben und schreib in die Kommentare!


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Kommentare: 3

  • #1Tina (Freitag, 12 Juni 2020 12:34)Ich finde nichts schlechtes daran ein mittleres Kind zu sein.
    Meiner Meinung nach zieh ich sehr viel positives daraus! Ich war die als erste selbständig und ihr eigene Leben gelebt hat. Hab die Zeit mit meinem großen Bruder genossen und natürlich auch gestritten 🙂 Mit meinem kleinen Bruder war’s so das ich schon die Rolle der großen Schwester sehr genutzt und genossen habe.
  • #2Papa (Sonntag, 14 Juni 2020 10:33)ich bin der Dritte von Fünf, und nach meinen zwei Schwestern der lang ersehnte Stammhalter.
    Durch diese spezielle Konstellation und meiner braven Art und Weise als Kind hatte ich absolut keine Nachteile, außer zwei große Schwestern zu haben, die oft etwas besser wussten. Liebe und Zuneigung wurden bei uns in der Familie durch den Betrieb sowieso kaum gelebt, einfach keine Zeit.
    ich habe als erstgeborener Sohn einen Sonderstatus erlangt und bis heute behalten, mir ist es mit meiner Position gut ergangen.
  • #3Kerstin (Montag, 15 Juni 2020 10:32)Schau mal, Tina – das hab ich auch bei der Recherche gefunden (t.online):
    Am einfachsten haben es die mittleren Kinder, die der einzige Junge oder das einzige Mädchen in der Familie sind. Als “Prinz” oder “Prinzessin” haben sie eine recht klare Position. 😉
    Schön, wenn es dir in deiner Position gut geht!
    Papa, danke für deinen Kommentar … schade, dass es da noch diese klischeehaften Wertungen gab bezüglich “Stammhalter” – auch wenn du sichtlich davon profitiert hast. Die Familiendynamik ist immer eine spannende Sache – in jeder Familie!
  • #4
Kaktusphasen & Kuschelepisoden

Kaktusphasen & Kuschelepisoden

Dass Kinder verschieden sind, ist ja nun keine bahnbrechende Neuigkeit.
Dass jeder Mensch gute und bessere Tage hat, auch nicht.
Dass Eltern aber ab und zu echte Meisterleistungen in punkto Anpassungsfähigkeit erbringen dürfen, weil die immer voll im Moment lebenden Kinder ziemliche Achterbahnfahrten mit ihren Gefühlen erleben, will ich heut mal würdigen. 
Mein Leben also zwischen Kaktusphasen und Kuschelepisoden.

Ich merk es ja selbst. Jeder Tag ist anders und ich fühle mich nicht immer gleich.
Das mag damit zu tun haben, wie gut man geschlafen hat, welche Gedanken einen gerade beschäftigen, ob der Tag sehr dicht verplant ist oder eher viel Freiraum bietet, wieviel Bewegung und frische Luft man so zur Zeit bekommt, ob (schwelende) Konflikte in der Luft liegen oder sich kürzlich in einem Gewitter entladen haben, ab und zu ist auch das Wetter mit Schuld und ganz sicher auch die Hormone.

Nun ist es ja oft schon schwer genug, sich selbst auszuhalten mit den eigenen Launen und Befindlichkeiten. Als Eltern leisten wir dazu noch extra viel, wenn wir auch noch ein oder mehrere Gegenüber (in Form von Kindern) dabei begleiten und sie aushalten.
Was man zwischen Kaktus (“Schau mich nicht an! Rühr mich nicht an! Red mich nicht an!”) und Kuschelbär (“Du bist die beste Mama der Welt! Ich hab dich lieb! Wieso bist du so gut zu uns?”) gut gebrauchen kann, hab ich versucht hier zusammen zu tragen.

Annehmen. (“Es ist, wie es ist.”)

Ich hab mal gelesen: wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer. Das kann man als Eltern insofern nutzen, als dass man nicht versucht, dauernd etwas anderes zu wollen, als man gerade hat. Wenn ein Kind zum Beispiel tobt und weint, hilft es meist wenig, sich in dieser Situation auch noch lautstark darüber zu beschweren und zu lamentieren, wie furchtbar das gerade ist. Klar, wünschen wir uns einen harmonischen Alltag und einen entspannten Umgang, doch die Realität ist eben, dass wir – und unsere Kinder – auch mit viel Frust umgehen dürfen. Und der lässt sich eben nicht einfach wegblasen wie die Samen einer Pusteblume. Da gibt’s eben heftige Gefühle und ungehemmten Ausdruck, die als Ventil dienen, um sich von innerem Druck befreien zu können. So lange keine anderen Lebewesen und Gegenstände dabei zu Schaden kommen, darf das sein. Ansonsten braucht es dienlichere Strategien, mit dem Frust umzugehen.

Jemandem zu sagen: “… geh, sei doch nicht so wütend!” ist meiner Erfahrung nach wenig Hilfe. 

Wahrnehmen. (“Aha. So ist das also.”)

Wahrnehmung ist immer “wahr”, sonst würde es ja “Falschnehmung” heißen. Was einfach klingt, ist oft ganz schön schwer zu verstehen. Wenn wir nicht verstehen, warum das Kind jetzt Angst hat, auf das Baumhaus zu klettern oder wir nicht nachvollziehen können, woher ein Tobsuchtsanfall kommt. Beim Wahrnehmen kann man sich darin üben, ohne Wertung zu beschreiben. Weil Wahrnehmen noch nicht “verstehen” ist. Also kann ich sagen: “Wow, du hast ein hochrotes Gesicht und die Tränen rinnen über die Wangen, du schreist, so laut du kannst – du musst ganz schön ärgerlich sein.”

Das beinhaltet nicht, dass ich das verstehen muss. Doch was wir dabei tun, ist: das Kind sehen. In dem Zustand, in dem es jetzt eben ist. Das geht natürlich auch im Positiven: “Ich sehe deine leuchtenden Augen und dass du ganz sacht auf meinen Schoß krabbelst und dich anschmiegst – willst du kuscheln?” 

Wir können uns bemühen, in diesen emotionalen Phasen zwischen Kaktus und Kuschelbär mit zu fließen, auch wenn wir sie nicht verstehen. Und versuchen, zu geben, was das Kind in dem Moment braucht.

Gelassen bleiben. (“Ich bin gut genug.”)

Das hört sich hier einfacher an (und ist auch einfacher geschrieben) als es getan ist. Besonders, wenn wir wieder bedenken, dass auch wir Erwachsene Menschen mit Gefühlen und unterschiedlichen Bedürfnis- und Gefühlslagen sind. Das eigene “raus” zu halten, geht einfach oft nicht und beeinflusst unser elterliches Tun maßgeblich. 

Wenn es uns also gelingt, gut und angemessen auf diverse emotionale Höhenflüge oder Tiefschläge der Kinder zu reagieren, dann ist das wunderbar. Wir können auch einfach danach fragen: “Was kann ich für dich tun?” “Was brauchst du, damit es dir wieder besser geht?”

Wenn aber mal Geduld und Nerven zu Ende gehen und der Tag schon lang ist, dann ist es wichtig, die eigenen Ansprüche runter zu schrauben und gelassen zu bleiben

  • Oft ist weniger mehr. 
  • Einfach in den Arm nehmen oder dem Kind den Rückzug gönnen.
  • Zuhören, ohne gleich was drauf sagen. 
  • Hinschauen, ohne gleich eine Wertung aufzutischen. 
  • Atmen und loslassen.

Eltern können (und sollen) bitte nicht alles richtig machen. Es ist erstens immer im Auge des Betrachters, zu beurteilen, was nun richtig ist und was nicht. Zweitens erlauben uns Fehler, zu wachsen, zu lernen und uns zu entwickeln und drittens wären wir vollkommen ätzend für unsere Kinder, aalglatt und perfekte Ausstellungsstücke. Unerreichbar. Und so will ich jedenfalls als Mutter nicht sein.

Bleiben wir menschlich und freundlich mit uns selbst und mit unserem Umfeld. Und wenn es mal nicht mehr weiter geht: jemand anderen übernehmen lassen oder sich zurück ziehen. Auf die eigenen Kräfte schauen und alle möglichen Ressourcen aktivieren, die zur Verfügung stehen und auftanken. Die Höhen und Tiefen der Kinder und alles zwischendrin zu begleiten als Eltern ist eine fordernde Aufgabe, die meine kühnsten Vorstellungen manchmal sprengt.

Und dann denk ich mir wieder: DAS hier ist das VOLLE Leben. 
Ungeschminkt, ungefiltert, unzensiert.
Es darf so sein. 

Ist mir allemal lieber als überkontrolliertes, gezähmtes, zurechtgestutztes Verhalten. 
Es braucht Mut, Vertrauen und Zuversicht – und dafür bekommen wir intensive Erlebnisse und Erinnerungen und
… echte Beziehung.

Was findest du herausfordernd beim Eltern-sein?
Hast du auch schon Kaktusphasen erlebt? Wie gehst du damit um? Lass uns voneinander lernen! ….


Kommentar schreibenKommentare: 4

  • #1Gerlinde (Freitag, 05 Juni 2020 14:54)Hallo!
    Danke für den Super Blog! Also ich durchlebe auch immer wieder mal Kaktusphasen mit meinen Kindern und bin da gerade mitten drin am üben, weil ich den Online Kurs von dir Kerstin gemacht habe- was mir wirklich ein sehr tolles “Rüstzeug” geworden ist.
    Einfach die Kinder mit ihren Bedürfnissen zu sehen und sich nicht immer gleich als “Richterin” ein zu schalten.
    Ich freue mich, dass ich durch deine Beiträge und deinem Online Kurs so viel lernen darf .
  • #2Sabine (Dienstag, 09 Juni 2020 14:29)Das hast du sehr gut formuliert: Du kannst nicht mit der Realität streiten – denn das ist dann eigentlich die doppelte Auflage. Ein wahrer Zugang liebe Kerstin – ich danke dir für deine wohl
    formulierten Beiträge!
  • #3Verena (Donnerstag, 11 Juni 2020 21:33)Liebe Kerstin!
    …wie immer: scharfsinnig beobachtet, treffend formuliert, mitten ins Herz!!
  • #4Kerstin (Freitag, 12 Juni 2020 08:28)Danke für die bestärkenden Rückmeldungen. Es freut mich, auch hier zu lesen, dass ich euch mit meinen Worten erreiche – das ist mein Ansporn für diesen Blog. Fühlt euch umarmt!