von Kerstin Bamminger | Juni 19, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Geschwister, Leben
Geschwisterbeziehungen prägen uns mindestens so wie die Beziehung zu unseren Eltern. Daher ist es hilfreich, sich immer wieder mal der eigenen Position bewusst zu werden und was man sich als Persönlichkeit vielleicht genau deshalb angeeignet hat. Heute geht’s um die jüngsten Kinder in einer (längeren oder kürzeren) Reihe und was sie ausmacht, ob sie wirklich nur verhätschelt werden und alles für sie leichter ist.
Mythen & Klischees
Nesthäkchen, Baby, Küken oder auf gut oberösterreichisch „Nestscheißal“ genannt, nehmen die jüngsten Kinder in der Familie eine besondere Position ein. Sie sind die letzten in einer Reihe von Kindern und haben dadurch – ähnlich wie Erstgeborene – einen besonderen Status. Über sie gibt es ebenfalls haufenweise Alltagsmythen: sie seien verweichlicht, zu sehr verwöhnt und verzogen, werden dauernd nachsichtig behandelt und müssen viel weniger im Haushalt beitragen, als die anderen Geschwister.
Charmebolzen & Altkleiderständer
Was die Jüngsten Kinder tatsächlich erleben und wie der Alltag auf sie wirkt, ist wohl eine andere Sache. Sie werden in eine Familie hineingeboren, wo sie von Beginn an mit sehr viel Leben konfrontiert sind, wo viel Aktivität herrscht und mindestens drei unterschiedliche, jedenfalls vorerst überlegene und größere Persönlichkeiten wirken und werken.
Durch diese Asymmetrie sind die Positionen natürlich von Haus aus ungerecht verteilt und so suchen jüngste Kinder oft ihren Platz, ihre Aufmerksamkeit und ihre Einzigartigkeit auf andere Weise. Sie lassen sich gern länger tragen, füttern oder anziehen und setzen ihren ganzen Charme ein (klein und knuddelig sein hat auch seine Vorteile, die durchaus nützlich sind!) um weniger zur Verantwortung gezogen zu werden, genießen manchmal früher als die älteren Geschwister diverse Freiheiten und müssen dafür lediglich aushalten, ein paar abgetragene Klamotten zur Verfügung gestellt zu bekommen.
So weit, so zynisch (diese Betrachtung).
Friedfertig & ausgleichend
Doch auch im Rang der Jüngsten Kinder steckt großes Potenzial, das erkannt und genutzt werden darf, auch sie können aufgrund ihrer Position spezielle Eigenschaften erwerben, die ihnen als Persönlichkeiten dienen können.
Zum Beispiel sind die jüngsten Kinder üblicherweise weniger gewaltbereit beim Konfliktlösen. Durch ihre körperliche Unterlegenheit brauchen sie längere Zeit andere Methoden, um einen Streit zu schlichten. Allerdings sind sie auch gut im Vermeiden von Konflikten, weil sie sich nicht gern unbeliebt machen, sind sie doch die Schnuckeligen der Familie.
Anpassungsfähig & frühentwickelt
Sie lernen schon früh, sich an andere Menschen im engen Umfeld anzupassen, weil sie ja in der Familie dazugehören wollen. Dabei sind sie oft mit vielen unterschiedlichen Meinungen und Verhaltensmustern konfrontiert, die sie für sich filtern und gegebenenfalls übernehmen dürfen.
Oft befassen sich jüngste Kinder in Familien schon früher als ihre Geschwister mit Themen und Inhalten, die ihrer Entwicklung voraus sind, was teilweise hohe Anforderungen an ihr kognitives Denken stellt.
Grenzgänger & Austester
Besonderes Durchsetzungsvermögen benötigen sie, wenn sie die von Geschwisterkindern ausgetretenen Pfade verlassen wollen und womöglich die ersten sind, die etwas „anders tun wollen“. Dabei profitieren sie meiner Meinung nach enorm von den meist schon tiefenentspannten Eltern. Bei den Jüngsten wird es oft nicht mehr so tragisch gesehen, wenn tägliche Bildschirmminuten, Vormittagssüßigkeiten oder nächtliche Ausgehzeiten verhandelt werden. Eltern haben bei den Küken bereits die Erfahrung gemacht, dass Gelassenheit ein guter Wegweiser ist und das Leben die Dinge schon richtet. Die jüngsten testen dennoch die elterlichen Grenzen auf ihr absolutes Belastungsmaximum, was schon manchmal aufreibend sein kann.
Persönliche Erfahrungen
Ich habe persönlich schon öfter gehört, dass die letzten Kinder die Familie so richtig abrunden. Wo beispielsweise in einer Familie mit drei Kindern vieles drunter und drüber ging, beruhigte sich das System erstaunlicher Weise mit einem vierten Kind. So, als wäre man noch nicht komplett gewesen. Auch wenn die jüngsten Kinder sehr oft diejenigen sind, die am wenigsten geplant waren (zweifach hautnah erlebt), sind sie dann nicht mehr weg zu denken und genau so wichtig und wertvoll wie jedes andere Kind in der Reihe, auch wenn sie unter anderen Vorzeichen aufwachsen.
By the way: „planen“ und „Kinder kriegen“ sollte man erst gar nicht in einem Satz verwenden.
Augenaufschlag & Bestechungsmanöver
Als Mutter von drei Kindern kann ich bestätigen, dass es schwer fällt, dieselben „Grenzen“ für Kinder aufrecht zu erhalten – sei es bei „wann darf ich alleine ins Freibad gehen“ bis zu „wann bekomm ich mein erstes Handy“. Nicht zuletzt, weil auch die Zeit nicht stehen bleibt und es Entwicklungen gibt, die Eltern auch berücksichtigen sollen. Ich ertappe mich selbst dabei, milder mit der Einhaltung diverser Zusammenlebensregeln zu sein, das Kuscheln mit dem Küken länger zu genießen, weil mein Schoß von keinem jüngeren Kind besetzt ist und manchmal ein wenig dem Augenaufschlag und Bestechungsmanöver des Nesthäkchens zu erliegen.
Gleich vs. gerecht
Da erinnere ich mich dann selbst daran, dass „gleich“ nicht immer „gerecht“ ist und manchmal nur gleich auch gerecht ist. In welchem Fall was anzuwenden ist, entscheidet natürlich jede Familie für sich selbst. Ich versuche dennoch, das jüngste Kind nicht zu schonen, was Haushaltstätigkeiten betrifft und werde dabei auch beständig von den beiden Älteren daran erinnert. Das abgetragene Gewand wird trotzdem weiter gereicht, weil das abgesehen von persönlichen Eitelkeiten einfach ökologisch und ökonomisch ist. Dass das Smartphone nicht früher in die Kükenhände kommt, auch wenn alle Klassenkollegen schon eins haben, nur er wieder nicht.
Es gibt nicht immer ein „eindeutiges Richtig“ oder ein „sicheres Falsch“ bei diesem elterlichen Tun. Am meisten zählt wohl, dass wir uns der Unterschiedlichkeit unserer Kinder bewusst sind, reflektiert und kritisch betrachten, dass es halt Vorteile und Nachteile in jedem Rang gibt und stets versuchen, das beste daraus zu machen, was uns gegeben ist.
Also falls wir’s wieder mal ordentlich versemmeln, sei gesagt: die besten Eltern machen (laut Jesper Juul) mindestens 20 Fehler pro Tag.
Und ganz ehrlich: über irgendwas müssen die Kinder ja dann mal lachen können, wenn sie in fünfzehn Jahren bei der Familienfeier sitzen und über ihre Kindheit quatschen … grauenvolle Vorstellung, wenn sie feststellen, dass alles immer wie am Schnürchen lief, oder?!
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von Kerstin Bamminger | Juni 12, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Geschwister, Leben
Über Geschwisterbeziehungen hab ich ja schon öfter geschrieben. Über emotionale Premieren und erinnerungswürdige Finali gab’s hier schon zu lesen. Diese betreffen oft die jüngsten oder erstgeborenen Kinder. Wem oft zu wenig Aufmerksamkeit zu Teil wird, sind die Mittleren, die sogenannten Sandwichkinder.
Mit diesem Beitrag möchte ich speziell dieser Personengruppe huldigen und mich auf die Suche machen nach dem, was an den zwischendrin geborenen Kindern das Herausragende ist und was an so manchem Klischee dran ist – oder auch nicht.
Wenn Paare Eltern werden, erleben sie mit ihren Erstgeborenen praktisch täglich Premieren, alles passiert zum ersten Mal. Man entdeckt sich als Eltern und lernt so viel dazu. Mit den jüngsten Kindern der Geschwisterreihe – den sogenannten „Nesthäkchen“ – erleben wir Abläufe, Feste, Rituale oft zum letzten Mal und deshalb auch manchmal sehr bewusst.
Dass die mittleren Kinder, die Sandwiches, dabei oft durch die Finger schauen, ist irgendwie offensichtlich – jedenfalls meiner Erfahrung nach und die Befragungen dieser Gruppe bestätigen diese Meinung.
Die „armen“ Sandwichkinder
„Die haben’s besonders schwer“ heißt es oft, oder „… das sind immer die schwierigen Kinder“ klingt es, wenn man über diejenigen spricht, die in der Mitte einer mindestens 3-teiligen Geschwisterreihe stehen. Laut presse.com sagen 38% der Eltern, die Mittleren seien die ungezogensten und frechsten ihrer Kinder.
Sie erleben häufig, weniger bemuttert zu werden als die vorher und nachher Geborenen, bekommen generell weniger elterliche Aufmerksamkeit, sie verzagen leichter, können eher aggressives Verhalten zeigen und sind fordernder und unzuverlässiger als die anderen Kinder.
Keine besonders schmeichelhafte Bilanz, selbst wenn sie nicht auf hundert Prozent der Gruppe zutrifft, weil es eben immer Ausnahmen zur Regel gibt.
Dennoch zahlt es sich aus, mal einen kritischen Blick auf ihre Rolle zu werfen. Mittlere Kinder werden in Familien hineingeboren, wo schon mindestens ein Kind da ist. Sie erleben das Aufwachsen mit anderen Geschwistern als ihr „normal“, sind meist von Beginn an mehr Energie gewöhnt (weil eben mehr Leben da ist) als die Erstgeborenen und bekommen früher oder später eins oder mehrere jüngere Geschwisterkinder, die wieder den Fokus von ihnen wegziehen. Sie stehen also nur für ein gewisses Zeitfenster im Rampenlicht.
Wettkampf um elterliche Zuwendung
Da jedes Kind gesehen werden will und Aufmerksamkeit möchte, suchen sie eben kreative Wege, um wahrgenommen zu werden. Wenn das durch „folgsam sein“ (wie die Erstgeborenen) nicht geht, weil das schon jemand macht und auch nicht durch „niedlich sein“ (siehe Nesthäkchen), braucht es eben andere Mittel. Sie wollen und müssen Dinge anders machen, wenn sie elterliche Zuwendung erreichen möchten, egal ob dies nun positive oder negative Zuwendung ist. „Hauptsache, es bemerkt mich irgendwer“, quasi. Diese Tatsache führt meiner Meinung nach zu den wenig bewundernswerteren Eigenschaften die Sandwichkinder möglicherweise entwickeln können.
Die goldene Mitte
Statt sich allerdings dauernd auf die negativen Eigenschaften zu stürzen, ist es gut und wichtig darüber nachzudenken, welches Potenzial in dieser Position steckt. Denn jede Geschwisterkonstellation und -position hat ihre Vorteile und Nachteile. Die Kunst besteht halt darin, diese Chancen zu nützen anstatt die schweren Umstände zu bejammern.
Mittlere lernen beispielsweise besser als andere in der Geschwisterreihe, flexibel zu sein. Auch wenn viele dieser Kinder das als leidvolle Erfahrung beschreiben, nicht zu wissen „wo man hingehöre – zu den Großen oder den Kleinen?“, lernen sie dabei Einzigartiges. Sie können sich an das Spiel der älteren Geschwister anpassen, sich aber auch an den Interessen der jüngeren Geschwister erfreuen und sich so in verschiedenen Rollen erleben. Einmal mitlaufen und sich unterordnen, dann die Führung übernehmen. Beides lernen sie in dieser Position besser als die anderen Kinder, was man für das Leben gut brauchen kann.
Sie lernen durchsetzungsfähig zu werden, besonders, wenn sie andere Wege beschreiten wollen, als vorher geborene Geschwister (z.B. doch ein anderes Maturaballkleid zu bekommen als die Schwestern vorher). Wenn die Eltern mit ihnen „gewohnte Pfade verlassen dürfen“, ist dafür auch besonderer Kampfgeist von Nöten – den kann man bekanntlich auch ganz gut brauchen im Leben. Andererseits sind die Sandwiches außergewöhnlich diplomatisch, weil sie vielleicht auch gelernt haben, zwischen den „Großen“ und den „Kleinen“ zu vermitteln, wenn es Unstimmigkeiten gab – sicher eine wunderbare Eigenschaft für allfällige spätere Beziehungsgestaltung.
Sandwiches wissen, wie es geht, aufzuzeigen, gewohnte Bahnen zu durchbrechen und (wenn nötig mit allen Mitteln) Neues durchzusetzen, können aber auch bequem bereits (von älteren Geschwistern) bereitete Wege beschreiten – und sie gegebenenfalls noch ein wenig erweitern! (Stichwort Fortgehzeiten).
Die mangelnde elterliche Aufmerksamkeit kann definitiv als Bonus erlebt und genützt werden. Viele Mittlere gestehen, dass man sich „super durchschummeln“ konnte und die Eltern vieles nicht bemerkten, was sie so getan haben, weil das Hauptaugenmerk eben wo anders lag (z.B. ein Wertkartenhandy ohne elterliche Erlaubnis kaufen „…ist nie wem aufgefallen“).
Man kann auch sagen, dass sie es nicht nötig haben, immer im Mittelpunkt zu stehen – was durchaus Vorteile im Leben hat! Sie halten es gut aus, wenn sich nicht alles um sie dreht.
Eine andere Brille
Eine gemachte Erfahrung mit einer anderen Brille zu betrachten ist also auch im Hinblick auf Geschwisterpositionen zu empfehlen. Ja, es ist so: mittlere Kinder bekommen oft weniger Aufmerksamkeit von den Eltern und haben andere Bedingungen beim Aufwachsen als die Erstgeborenen oder die Jüngsten. Doch das bedeutet nicht, dass das automatisch schlechtere Karten sind. Wie in jedem Geschwisterrang gilt es auch bei ihnen, die Gegebenheiten gut für sich zu nützen und darauf zu vertrauen, dass man genau an der richtigen Stelle geboren wurde, weil man dort das meiste lernen kann und alles mitbekommt, was für das eigene Leben notwenig ist, weil uns Konstellationen im Familienmobile eben prägen. Als Menschen und Persönlichkeiten.
Erfahrungen als Eltern
Als erstgeborenes Kind kann ich diese Dinge nur erzählen, ich hab sie nicht erlebt. Ich kann und habe mittlere Kinder befragt (gaaaaanz viele davon in den Partnerkursen für Brautpaare), wie es ihnen ergangen ist – doch richtig gefühlt hab ich natürlich nie, wie es ist, ein mittleres Kind zu sein.
Als dreifache Mama versuche ich täglich mein Bestes, die Kinder gerecht zu behandeln. Dazu gehört nicht nur die Geschwisterposition sondern auch die Persönlichkeit, Temperament und Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen. (Schon beim Tippen dieser Wörter wird mir die Unmöglichkeit dieser Aufgabe bewusst.)
Doch der Punkt ist: ich versuche es.
Ich bin mir bewusst, dass es Unterschiede gibt.
Ich bemühe mich, typische Rollenbilder zu verbannen.
Ich widme dem mittleren Kind – und jedem Kind – öfter Exklusivzeit.
Ich gebe mein Bestes und vertraue darauf, dass das gut genug ist.
Wir kommen als Eltern nicht ohne Fehler durch. Das müssen wir auch nicht. Jeder Fehler ist eine Erfahrung, die uns weiterbringt auf unserer Reise als Begleiter durchs Leben. (Jan Uwe Rogge sagte mal in einem Vortrag: „Trinken Sie 1/8 Weißburgunder für jeden Fehler, den Sie in der Erziehung gemacht haben.“ … worauf eine anwesende Mütterrunde im Anschluss eine feuchtfröhliche Nacht erlebte 😉 ….)
Und wir können sie stets in etwas Gutes verwandeln und bisher eventuell negativ behafteten Bildern oder Rollen einen neuen Anstrich geben.
Sandwich Kinder sind vielleicht Troubleshooter.
Vielleicht sind sie aber auch ganz einfach: die GOLDENE Mitte. Und glänzen von diesem Platz aus.
Bist du ein mittleres Kind? Welche Erfahrung hast du in dieser Position gemacht?
Was kannst du heute aufgrund deiner Geschwisterposition Positives in deinem Leben entdecken?
Lass mich gern teilhaben und schreib in die Kommentare!
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Kommentare: 3
von Kerstin Bamminger | Mai 28, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Gute Worte, Hilfreich, Leben, Selbstfürsorge
Oft weiß man als Eltern nicht, wann man mit dem Kind etwas „das letzte Mal“ macht. Das letzt Mal stillen, wickeln, füttern, einschlafbegleiten, im-gleichen-Bett-schlafen, … – viele finale Kapitel elterlichen Tuns gehen fast unbeachtet über die Bühne, weil plötzlich der nächste Schritt gegangen wird.
Diese Woche – und das ist ziemlich gut kalkulierbar – geht für mich eine Ära zu Ende.
Nach zehn Jahren wird das geliebte tägliche zu-Fuß-in-die-Schule gehen der Geschichte angehören.
Was wir alles erlebt haben auf diesen etwa 2000 Schritten jeden Morgen, erzähl ich dir heute.
Vorsicht: nicht weiterlesen, wenn du weiterhin dein Kind mit dem Elterntaxi chauffieren möchtest. Es könnte sein, dass ich dich begeistere, zu Fuß zu gehen.
Bevor ich damit anfange, aber noch ein Wort.
„Meine Kinder, es war eine unglaublich schöne Zeit, die wir gemeinsam erlebt haben. Anfangs mit Kinderwagen und allerlei Gefährten als Hilfe, mit netten Wegbegleiterinnen oder allein: ich hab jeden Schritt an eurer Seite geliebt und genossen. Ich hab gerne die oft schwere Schultasche geschleppt als Motivationsdienst und euch getragen, wenn es zu viel wurde für die jungen Beine. Ihr hattet Zeit, euch umzustellen von „Daheim“ auf „Kindergarten“ oder „Schule“ und konntet vielleicht den Umstieg in die jeweilig andere Welt besser verkraften als durch eine 5 Minuten Autofahrt. Ich bin überzeugt, nicht nur euch sondern auch mir etwas Gutes getan zu haben mit diesen morgendlichen 20 Gehminuten, die so viel mehr sind und waren als „einfach nur gehen“, weil es so viel zu erleben gab.“
33 Dinge, die man am Fußweg zur Schule erleben kann:
- die buntesten Himmelsfarben des Morgenrot bewundern, das Grün der Blätter einatmen und beobachten, wie sie sich im Jahreskreis verfärben, abfallen und wieder austreiben
- die Schritte zählen und dabei siebzehn mal unsicher sein, ob man sich nicht doch verzählt hat
- über den Zebrastreifen gehen wie die Beatles (und dabei Musikgeschichte diskutieren)
- die aktuellen Ohrwürmer der Kinder gemeinsam trällern – von Mai Cocopelli über Beatles, Springsteen, AC/DC … je nach Jahreszeit und Stimmung war so ziemlich alles dabei
- alle Schultaschen der Kinder im Expeditionswagen transportieren (Aufgabe der Eltern) und den Weg in eine Parcouring Strecke verwandeln, sodass schon vor dem ersten Läuten „turnen“ war
- im Matschgewand in alle Pfützen springen (als Eltern empfiehlt es sich, den nötigen Abstand einzuhalten) und danach mit Gummistiefeln deren Tiefe messen
- in der kalten Jahreszeit gefrorene Spinnennetze an der Traunbrücke bestaunen und dem Knirschen des frisch gefallenen Schnees unter den Schuhen zuhören (Musik in den Ohren von Winterfans)
- den Baufortschritt verschiedenster Projekte täglich aus nächster Nähe beobachten (z.B. Salzstaldn) und mitansehen wie baufällige Häuser mit neuem Leben erweckt werden, Grünflächen zubetoniert werden, historische Gebäude in Schutt & Asche gelegt werden (Flachsspinnerei) und dabei über Oberflächenversiegelung debattieren
- bei diesen Baustellen tätige, spektakuläre Baumaschinen fachmännisch benennen (und dann wegen zu langer Beobachtung derselben zu spät zur Schule kommen)
- zweistimmig Pizzera & Jaus „Kaleidoskop“ singen und damit die Bewohner am Weg beglücken
- zu zweit mit dem Roller fahren und es „Schulbus“ nennen (einer läuft ein Stück voraus, stellt sich an den Wegrand = Bushaltestelle und wird dort vom „Bus“ abgeholt)
- mit diesem Roller einen kapitalen Sturz hinlegen und dabei auf das Kind drauf fallen
- Streckenabschnitte mit Fantasienamen kennzeichnen (z.B. Schneckenfriedhof … dabei über das grausame Massensterben von Nacktschnecken sinnieren)
- die Freundinnen am Weg aufgabeln und wuseliges Geplapper bis zur Schule anhören (Erwachsene: mit der Mama dieser Freundinnen das eigene Feldwebelgehabe vor dem Außer-Haus-gehen analysieren und sich gegenseitig mütterliches Fehlverhalten eingestehen und einander danach beruhigen – es ist halt irgendwie überall gleich)
- ungestörte und kostbare Einzelzeit mit dem Kind genießen = Beziehungsgestaltung pur
- zusammen schweigen und den Morgenmuffel raus hängen lassen
- jeden Tag ein Stück Müll aufheben und zum nächsten Mistkübel bringen (das macht in diesen Jahren dann rund 1800 Dosen / Papierl / Becher / Verpackungen …pro Person!)
- sich bei deftigen Minusgraden den Allerwärtesten abfrieren und die dabei sichtbar werdende Atemluft cool als „rauchen“ definieren (das kenn ich noch aus meiner Kindheit)
- am Weg allen Menschen freundlich (und möglicherweise mit einem Lächeln) „griaß di“ zurufen
- bei orkanartigem Wind versuchen, wie Mary Poppins mit dem Schirm abzuheben (und dabei den Regenschirm ruinieren)
- verschiedenste Vogelstimmen am Weg hören und versuchen zuzuordnen
- das Zupassen mit dementsprechenden Steinen vom Wegrand üben – schafft der Stein es bis zur Schule?
- Eiszapfen von Autos oder Brückengeländern abbrechen und bestaunen (und vielleicht mal dran lutschen, wenn Mama nicht hinsieht – gutes Immuntraining, übrigens!)
- die neuesten Klatschgeschichten vom Kind erfahren und darüber diskutieren
- noch schnell das Gedicht für die Schule auswendig lernen (Bewegung & Sprache lässt sich prima und vorteilhaft kombinieren) – dabei den Sprechrhythmus an die Schritte anpassen
- vor Liebe taumeln, weil das Kind seine Hand immer noch beim Gehen in deine legen will
- die eigene Wut (oder die des Kindes) mit jedem Schritt in den Boden stampfen
- vorgeben, ein kleiner Hund zu sein, der vom Kind Gassi geführt werden muss (die Nachbarschaft hält mich sowieso für eine Verrückte, also was soll’s) inklusive Gebell, Bein heben und treuherzigem Blick beim Hecheln
- vorauslaufen, sich in einer Ecke verstecken und die anderen höllisch erschrecken wenn sie herankommen
- nicht auf Risse im Asphalt oder Fugenlinien treten – wer’s tut, stirbt klarer Weise
- sämtliche Käfer und Insekten sorgsam „umgehen“ und so Zeit vertrödeln, weil man nicht zur Schule gehen mag
- ZÄHLEN! und zwar alles mögliche: Zigarettenstummel auf dem Weg (wir zählten mal rund 280), Autos, die vorbeifahren, (Brücken-)Geländerstäbe, Leitpflöcke, Häuser, … – was immer Spaß macht
- Klima schonen und sparen! Laut einer Berechnung sind das: Eingespartes CO2 (kg) 1589.76 kg, eingesparte Fahrtkosten 2592€, Vermeidung von Umweltkosten 216€, Vermeidung von Unfallfolge- und Staukosten: 1224 € (wow, wir sollten auf Urlaub fahren für dieses Geld!)
Gratuliere, du hast es bis hierhin geschafft beim Lesen!
Morgen hat das jüngste Kind hier Radfahrprüfung und wird somit zukünftig lieber mit dem Drahtesel den Weg bewältigen, statt an meiner Seite zu Fuß.
Es ist ein Stück Loslassen und Abschied nehmen und erfordert eine Anpassung der Morgenroutine an neue Verhältnisse.
Ich möchte dir sagen: nütze die Zeit & Gelegenheit, deine Kinder zu Fuß zu begleiten und wenn du zu weit weg wohnst, geht zumindest die letzten 10 Minutuen zusammen (Stichwort Elternhaltestellen)!
Es zahlt sich aus und das Zeitfenster schließt sich irgendwann, wo diese Begleitung gewünscht ist.
Und dann gehst du – wie ich gestern – zum letzten Mal mit … und bist dankbar dafür, dass du rund 300.000 Schritte ganz dicht neben ihnen gehen durftest.
P.S: der Junior hat mein leidvolles Gesicht gestern bemerkt und gesagt („Vielleicht regnet’s ja mal voll, dann gehen wir noch einmal, ja Mama?!“)
Wie süß ist das denn bitte??!!!!
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von Kerstin Bamminger | Mai 15, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Gute Worte, Hilfreich, Leben
Am Montag werden sich die Tore für die jüngeren Schüler nach einer gefühlten Ewigkeit wieder öffnen.
Nicht für alle gleichzeitig – nein! Wir haben Pläne bekommen, welche Klassen an welchen Tagen durch welche Türen eintreten dürfen. Natürlich nur mit Schutzmasken und dem berühmten Mindestabstand.
Freudige Begrüßung mit Händeschütteln? Leider nein!
Den lang nicht gesehenen Freunden wieder in die Arme fallen? Fehlanzeige.
Ein berührendes Erlebnis der Freundin schildern? Ja, wenn ein Babyelefant dazwischen passt.
Ich will mal ganz ehrlich sein. Dieses Heim-Beschulungs-Dings war tatsächlich auch nicht hundertprozentig mein Fall. Obwohl die Kinder mit Lernmaterial versorgt waren, in unserem Fall sehr selbständig arbeiteten und unglaublich mit der Aufgabe gewachsen sind, war die Gesamtsituation doch für die Familie sehr belastend, zumal wir nicht über fünf Schreibtische oder noch besser Büros in Vollausstattung verfügen. Ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf meine bzw. unsere verfügbare Arbeitszeit.
Dennoch: ich hab die Kinder gern unterstützt, sie mit Handlettering-Logbuch Vorlagen versorgt, wie früher schon geduldig beim Lernen geholfen, versucht, ihnen Struktur anzubieten. Die Kids haben „brav“ die meisten Aufgaben erledigt, auch wenn der eine oder andere Lernauftrag schon etwas fragwürdig war (z.B. Dreck aus den Schuhsolen kratzen, im Backrohr erwärmen und dann dokumentieren, was daraus wächst, wenn man ihn gießt. Sorry – für so etwas hatte ich echt keinen Nerv.)
What the f$§& ??!
Was ich aber – auch in hundert Jahren – beim „Distance Leraning“ nicht bieten kann ist der Kontakt zu einer Gruppe Gleichaltriger. Ja, wir haben (seit dem „private Treffen ja immer erlaubt waren“ ein paar Tage) eine Lerngemeinschaft mit einer Freundin der Tochter organisiert – aber eine ganze Klasse kann man nicht ersetzen.
Die Gemeinschaft, die Gaudi mit den Kameradinnen zwischendurch, das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein, kann der Unterricht daheim schlicht und einfach nicht bieten.
Die Sozialkontakte, die Gespräche, der persönliche Austausch, sind auf digitalem Weg gefühlt oft nicht mal die Hälfte wert. Besser als Nichts, aber kein dauerhafter Ersatz.
Wenn also am Montag die Schultüren aufgehen, hoffe ich inständig darauf, dass die Schülerinnen und Schüler, die Pädagogen und wir alle begreifen: Schule ist ein Begegnungsort. Schule ist ein Ort, wo nicht nur Wissen in Köpfe gestopft wird (oder werden sollte) sondern ein Ort, wo das Leben stattfindet.
Gemeinsam Lernen, gemeinsam lachen, gemeinsam verzweifeln und sich wieder aufrappeln, gemeinsam streiten und sich versöhnen, gemeinsam etwas Neues erfahren und sich darüber unterhalten, gemeinsam forschen und gemeinsam Antworten finden. GEMEINSAM! Das ist die Stärke der Schule! Die Gemeinschaft.
Wer gute und positive Erinnerungen an die Schulzeit hat, hat meistens auch gute Gemeinschaft erlebt. Im besten Fall auch mit den Lehrpersonen. Weil Beziehung vor Bildung kommt. Weil ohne Beziehung auch die kompetenteste Lehrerin nichts an ihr Publikum vermitteln kann.
Ich hoffe inständig darauf, dass wir mit Menschenverstand und viel Empathie dem kindlichen und jugendlichen Verhalten begegnen und die Schule nicht zum Ort der polizeilichen Überwachung verkommen lassen!
Nicht weil es um Widerstand gegen (dennoch mittlerweile fragwürdige) Verordnungen geht, sondern um etwas VIEL Wichtigeres: um Gesundheit.
Nicht nur um körperliche Gesundheit, sondern auch um emotionale Gesundheit, um psychische Gesundheit, um geistige Gesundheit und seelische Gesundheit.
Gesundheit ist nicht nur unterm Mikroskop erkennbar, oder am Blutbild, einem Rachenbstrich durch Röntgen, Magnetresonanz, Computertomographie oder sonstige Gerätschaften feststellbar. Wenn wir nicht begreifen, dass psychische Erkrankungen uns genau so schädigen können wir ein Virus, dass seelische Wunden uns mindestens so schädigen wie körperliche Verletzungen das können, dann haben wir einen wesentlichen Teil übersehen.
Also denken wir daran, wenn wir ab Montag in den Schulen und sowieso schrittweise in einen natürlichen Begegnungsalltag zurückkehren: wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen die Anderen um uns herum (nicht nur aus der Distanz) und beurteilen wir die Gefahr mit Augenmaß.
Ja, die Schule ist eine Bildungseinrichtung. Doch wer auch nur einen Funken Ahnung davon hat, weiß, dass Bildung über Beziehung funktioniert. Beziehung braucht Nähe.
Wenn schon körperlich nicht alles zugelassen wird, dann braucht es umso mehr emotionale Nähe.
Verständnis von uns Erwachsenen für kindliches Verhalten. Einfühlungsvermögen für Kinder, die in den letzten Wochen – durch die Bank – viel Frust erlebt haben, aus verschiedensten Gründen.
Viele dieser Kinder werden viele dieser Regeln kaum verstehen. (Wie übrigens ich auch.)
Seien wir ihnen als Erwachsene voraus, zeigen wir Empathie und sagen:
- „Ihr freut euch so sehr, euch wiederzusehen!“ statt „Auseinander!“
- „Du bist so aufgeregt, wieder hier zu sein, dass du am liebsten von einer Ecke zur anderen schießen möchtest!“ statt „Bleib endlich auf deinem Platz!“
- „Erzähl mal, wie es dir ergangen ist!“ statt „Schnell raus mit den Büchern, es gibt viel aufzuholen!“
- „Das ist ungewohnt für dich, das halbe Gesicht nicht zu sehen / zu verdecken!“ statt „Maske auf!“
Der Klassenvorstand unserer Tochter hat so treffend beschrieben: „Es geht jetzt nicht darum, möglichst nah am Lehrplan zu bleiben und viel zu erreichen. Es geht darum, WIE wir in dieser Situation miteinander umgehen.“
Immer noch und immer wieder.
So wünsche ich allen Kindern, die am Montag oder Dienstag oder irgendwann demnächst in die Schule zurückkehren eine Umgebung, die sie nicht feindselig und starrhalsig empfängt, sondern Personen, die mit viel Herz und Hirn agieren.
Am meisten wünsch ich es denen, die daheim niemand haben, der sie dann auffängt, weil der Haussegen (wegen Corona oder sowieso) schief hängt.
(Und dann wünsche ich ihnen, dass sie ganz bald wieder turnen und singen, was das Zeug hält, weil das für die psychische Gesundheit auch immens wichtig ist. Vielleicht wichtiger als Desinfektionsmittel. #justsaying)
Worauf freust du dich am meisten, wenn die Kinder zurück zur Schule dürfen?
Was kann Schule, was der Unterricht daheim nicht kann?
Ich freu mich, wenn du deine Erkenntnisse hier in den Kommentaren teilst!
von Kerstin Bamminger | März 26, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Hilfreich, Leben
Erstmals in der jüngeren Geschichte gibt’s also flächendeckendes HOME-schooling.
Pikanterweise gleich gepaart mit Home-office am HOME-Küchentisch und tendenziellem HOME-Lagerkoller, also quasi unter erschwerten Bedingungen.
Gott sei Dank wissen allerhand Experten gleich, WIE das funktioniert, haben Tipps und Tricks auf Lager und einen scheinbar unerschöpflichen Erfahrungsschatz.
Hmm. Ich kann und werde dir damit nicht dienen. Hier und heute erfährst du von mir lediglich, wie ich glaube, dass es NICHT geht – alles andere lerne ich selbst grad. Genau wie du, vermutlich.
Wir befinden uns in Woche 2 der neuen Corona – Zeitrechnung und langsam kommt so etwas wie Gewohnheit auf. Von heut auf morgen weht der Wind aus einer anderen Richtung, doch wer, wenn nicht wir Mütter bzw. Eltern, schultern Krisen wie diese mit links?!
Ich schnall mir also mein Superheldinnen-Cape um und düse durch meinen Alltag.
Neuerdings bin ich befugt, die Arbeit von 21 Lehrpersonen in 37 Gegenständen bei drei schulpflichtigen Kindern zu übernehmen, natürlich ein Kinderspiel. Ganz nebenbei schaukle ich noch das Fußballtraining, Instrumentalunterricht und Showdance-Klassen.
Also fliege ich mir der Trillerpfeife pünktlich um 6 Uhr Früh durch die Kinderzimmer und reiße den Nachwuchs unsanft aus den Federn – damit sind sie wenigstens gleich ordentlich geweckt und der Kreislauf in Schwung, wenn schon der morgendliche Spaziergang zum Bus oder zur Schule entfällt. Nach dem knappen Frühstück treibe ich sie in Windeseile an den Arbeitsplatz und überschütte sie – nach den digital übermittelten Aufgaben – noch mit zusätzlichen Übungen in jedem einzelnen Fach, damit daheim ja keine Gemütlichkeit aufkommt.
Ganz Superheldinnen-like gebe ich einen streng hierarchischen Plan vor, wann sie was zu tun haben, bloß nicht fragen, worauf sie grad Lust hätten – sonst finden sie sich ja später (irgendwann) in der Schule gar nicht mehr zu recht. Wichtig ist auch noch, reichlich Druck und Angst entstehen zu lassen, damit auch endlich mal was weiter geht – wochenlang nix tun geht ja gar nicht, da verblöden sie ja total! Jegliche Ablenkung wird nicht geduldet, ebensowenig ausgiebige Pausen … wo kommen wir denn da hin?!
Also tu ich ihnen letztlich einen Gefallen als superstrenger Lehrerinnenschreck….
Bevor du dich fragst, ob ich nun komplett den Verstand verloren hab: SO ist es natürlich glücklicherweise hier nicht gelaufen. Und jeder, der nicht so ähnlich vorgegangen ist, hat vermutlich schon irgendwas richtig gemacht bei diesem Heimbeschulungsdingsbums.
WAS jedoch das Richtige ist, WIE man das ganz genau hinbekommt und WER wofür Verantwortung trägt, kann ich hier und heute allerdings nicht beschreiben. Ich weiß noch nicht, welche Erkenntnisse wir in dieser Zeit gewinnen, ich kann nicht sagen, ob sie ausreichend lernen und entsprechend „üben“, ich kann nicht beurteilen, ob ihnen diese Wochen oder Monate in ihrer Schullaufbahn mal „fehlen“ werden. Dafür ist es noch zu früh. Es gibt aber Experten, die sagen, dass 2-3 Monate verpasster Unterricht für den schulischen Wissenskanon letztlich irrelevant sind! (Ja, denkt mal über diese Aussage nach.)
Ich kann derzeit nur sagen, worauf ICH bei UNS im Home-Office-Schooling achte.
Ich lege Wert darauf, dass sich die Kids wieder selber spüren lernen. Darauf, dass sie womöglich (und hoffentlich!!) selbst noch einen Antrieb spüren, diesem einen Wissensgebiet, dieser Aufgabe jetzt nachzugehen. Dass sie spüren, worauf sie Lust haben und diese Energie dann sinnvoll nützen. Und auch spüren, wenn mal einfach nix weitergeht (auch wenn es halb neun Uhr morgens ist) und dann einer anderen Beschäftigung nachgehen, weil sie eventuell am Nachmittag eine gute Konzentrationsphase erleben.
Ich lege Wert darauf, dass sie sich selbständig organisieren lernen, ihre Aufgaben überblicken und eventuell zeitlich einschätzen können und dann eigenverantwortlich einteilen. Dazu gehört auch, sich mal zu täuschen und die To-do Liste nicht erledigen zu können oder viel zu früh fertig zu sein. Dazu gehört, sich selbst zu strukturieren und vorausplanen zu können.
Ich lege Wert darauf, dass ich sie emotional begleite – was momentan viel wichtiger ist, als die fachliche Unterstützung in diversen Fächern. (Und ääähhhm, in der berufsbildenden höheren Schule wird’s da auch in diversen Gegenständen recht knapp mit meinem Know-How.) Es gibt so viel abzufedern und zu reflektieren, weil die Kinder weniger bewegt, ob sie den Lehrstoff auch bewältigen, sondern mehr, dass ihnen ihre Freunde fehlen. Als Kolleginnnen oder Spielgefährten.
Ich lege Wert darauf, dass wir es als Familie in dieser Zeit gut haben miteinander anstatt den Leistungsdruck erst recht wieder absichtlich und unnötiger Weise nach oben zu drücken. Wir treffen uns nicht nur zum gemeinsamen Frühstück, sondern auch mal zu einer kleinen Jause am Vormittag, essen zusammen Mittag und auch am Nachmittag lässt es der nun leere Kalender zu, sich bei Lust und Laune rund um den Tisch zu versammeln und diesen Raum als Begegnungszone zu nützen und uns andererseits Rückzugsräume zugestehen.
Was ich also schon weiß ist: wir lernen nun Dinge, die sie in der Schule oder im früheren Alltag nicht oder nur begrenzt lernen konnten. Wir können und dürfen es uns gut machen beim gemeinsamen Arbeiten und Lernen. (Und… ein Schreibtisch mehr: wäre gut. Ein PC mehr: auch.)
Und dann gibt es noch viel mehr was ich oder wir NICHT wissen. Und weißt du was?
Es ist auch gar nicht notwendig.
Wir sind zum ersten Mal in dieser Situation.
Wir sind am Weg und lernen dazu, wir wachsen an unseren Aufgaben und entwickeln uns weiter.
Und DAS ist das, was zählt.
Das Beste zu geben, sich selbst und den Anderen Fehler zuzugestehen und nach einem Hoppala oder Hindernis weiter zu machen und wieder auf zu stehen.
Winston Churchill sagte: „Das ist die Kunst: einmal mehr aufzustehen, als man hinfällt!“
Und der Satz beinhaltet nicht, dass man dabei perfekte Haltungsnoten braucht!
Also, lass dir gesagt sein:
DU bist gut.
DU bist genug.
DU schaffst das.
DU wächst und lernst täglich dazu.
DU bist einzigartig & wunderbar.
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von Kerstin Bamminger | März 18, 2020 | Allgemein, Elternbeziehung, Gute Worte, Hilfreich, Leben, Selbstfürsorge
Familien im Ausnahmezustand.
Egal ob wir daheim praktisch aufeinandersitzen müssen oder ob wir durch einen systemerhaltenden Beruf vor anderen Herausforderungen stehen: die momentane und wohl noch länger dauernde Situation ist alles, außer gewöhnlich.
Seit Bekanntwerden der Empfehlung „Bleib daheim!“ gibt es eine Flut von Tipps und Rezepten, wie man Kinder daheim beschäftigt, was mit ihnen zu tun ist und ganz selbstverständlich übernehmen wir Eltern aus dem Stand den Heimunterricht. Warum Mütter dennoch keine Entertainer sind, was jetzt tatsächlich zählt und warum der Streit mit der Realität nichts bringt, darum geht’s heute hier am Blog.
Zack, zack, zack. Und der Staat wird auf Minimalbetrieb runter gefahren. Die Kinder sind daheim oder wir stehen vor echten Betreuungsproblemen. Das tägliche Leben wie wir es kennen: abgesagt.
Die Welt steht kopf. (Alle? Nein, eine Insel im Nordwesten Europas lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.)
Wie schon letzte Woche hier beschrieben, gibt es gute Gründe ruhig zu bleiben, das Neue als Chance zu wachsen zu sehen, die Herausforderung anzunehmen, in der Liebe zu bleiben.
Doch, dass nun der Druck auf Familien noch mal deutlich erhöht wird, fällt erst auf den zweiten Blick auf.
Mein erstes Gefühl war auch: hey, viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung.
Das zweite allerdings: alles lastet auf meinen / unseren Schultern als Eltern.
Kein Wunder, dass man weiß, dass Quarantäne Maßnahmen die Zahl der häuslichen Gewalttaten in die Höhe treiben. Der Frust, die Enge, die Spannung entlädt sich – wie immer – nach unten: bei den Schwächeren, sprich Kindern und Frauen.
Wir sitzen im Kelomat (für alle, denen das Wort nix sagt: Druck-Schnellkochtopf. 🙂 ) Unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und teils heftigen Gefühlen. Deckel drauf und dann kräftig aufheizen, der Druck kann steigen. Muss er aber nicht.
Ja, Kinder brauchen gerade in Krisenzeiten Struktur. Sie brauchen Rituale, die (vielleicht neu erfunden) jetzt gewisse Eckpfeiler im Tagesablauf markieren. Sie brauchen auch sinnvolle Beschäftigung und Anleitung.
Doch wir sind nicht für die Dauerbespaßung und -belehrung zuständig. Wenn wir in diese Rolle fallen, machen wir uns kaputt. Wir sollten erst gar nicht versuchen, jede Minute mit sinnvollem Tun zu füllen, eine Bastelidee nach der anderen umzusetzen, Aktivitäten vorauszuplanen und den Kindern dann vorzugeben. Das sind einfach gewohnte, alte Muster, die sich ihren Weg bahnen wollen. Doch wir brauchen nicht wieder „volles Programm“ und „action“ am laufenden Band.
Was jetzt not-wendig ist (Achtung, Wortspiel!), ist Beziehung.
Sie brauchen jemanden, der ihre Gefühle erfasst und benennt.
Sie brauchen jemanden, der ihre Bedürfnisse erkennt und anspricht.
Sie brauchen jemanden, der da ist: aufrichtig, ehrlich und echt.
Bedürfnisorientiertes und beziehungsorientiertes Handeln in einem neuen Licht, also. Weil wir nicht aus der Fülle an Möglichkeiten schöpfen können, die wir gewohnt sind, und Wünsche jederzeit erfüllen, werden wir zurückgeworfen auf das, worum es eigentlich geht:
das HINSEHEN, HINHÖREN und HINFÜHLEN.(Statt: „… ich schau, wie ich das möglichst schnell erfülle, damit Ruhe ist!“)
Statt: „Jammere bitte nicht schon wieder wegen den Freundinnen!“
Ja, es ist traurig, dass du deine Freundinnen so lang nicht sehen kannst.
Statt: „Du hast es doch so schön ruhig, jetzt lern halt einfach, was dir aufgegeben wurde!“
Ja, es ist frustrierend, dass du ganz allein lernen sollst.
Statt: „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du derzeit mit niemandem spielen kannst!“
Ja, es ist furchtbar, die Nachbarskinder zu sehen und dennoch nicht spielen gehen zu können.
Statt: „Das geht jetzt nicht, wir können Oma und Opa jetzt einfach nicht besuchen!“
Ja, es ist schade, dass wir Oma und Opa jetzt so lang nicht sehen.
Statt: „Ich kann das – mir ist soooo fad – nicht mehr hööööreenn!“
Ja, es ist auch langweilig, dauernd zuhause sein zu müssen.
Es ist, wie es ist.
Kerstin Bamminger
Wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer.
Was den Druck im Kelomat also erleichtert, ist folgende Haltung:
„Ich sehe deine Bedürfnisse.
Ich höre deine Wünsche. Ich fühle, wie es dir geht.
Und ich helfe dir dabei, das auszudrücken und auszuhalten. „
Niemand sagt, dass das leichter ist, als Kinder zu „bespaßen“ oder „beschäftigen“. Doch es ist definitiv dringender und vor allem NOT-wendig. Nach dem WAHRnehmen folgt übrigens keine gemeinschaftliche, langanhaltende Depression, sondern die Suche nach Lösungen:
- Was glaubst du, hilft dir, wenn es so langweilig ist?
- Was glaubst du, lenkt dich jetzt ab?
- Was können wir denn tun, wenn …. gerade nicht geht?
Bindet die Kinder in die Lösungsfindung ein! WIR müssen nicht alles wissen! Wir können Möglichkeiten anbieten und vorleben („Weißt du, mir hilft zum Beispiel, ….“). Wir können aber auch unwissend sein.
Es ist deswegen trotzdem manchmal schwer auszuhalten, weil wir in unseren Möglichkeiten begrenzt sind, oder uns zumindest begrenzt fühlen – und: weil wir selbst im Ausnahmezustand sind.
Du darfst auch sagen:
Ich bin auch traurig. Ich bin auch frustriert. Ich bin auch überfordert.
UND: wir schaffen das GEMEINSAM.
Es darf dauern, bis sich ein neues System „einpendelt“ und dabei darf es auch ordentlich wackeln.
Vertrauen wir darauf, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, Dinge neu zu ordnen, unseren ausschweifenden und überdimensionalen Lebensstil zu überdenken und dass es gelingen wird eine bodenständige, neue Ausrichtung zu bekommen.
Auch wenn wir jetzt noch nicht genau wissen, wie die aussehen wird.
Stay positive. Stay strong.
Das Ausdrücken von Gefühlen und Bedürfnissen ist oft schwieriger als vermutet. Wir sind, wie ich gern sage, sachlich verwahrlost, was dieses Thema angeht, unterscheiden bei der Frage „Wie geht’s dir denn?“ oft nur zwischen gut und schlecht. Dabei sind wir soooooo viel mehr!
Diese beiden Gefühlspaletten schenke ich dir: druck sie aus und hänge sie an einen gut sichtbaren Ort, wo sie dir hilfreich sein können als Unterstützung beim Formulieren von Gefühlslagen. Wenn deine Kinder noch nicht lesen können, biete ihnen verschiedene Begriffe an, oder versuche für sie den richtigen Ausdruck zu finden.
Das verlangt viel Empathie, ich weiß – es ist aber sprachliche Bildung und Herzensbildung in höchster Form!
Bei Fragen: immer gern das MAMAtelefon nützen 😉 …
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