Im Kelomat der Gefühle & Bedürfnisse

Im Kelomat der Gefühle & Bedürfnisse

Familien im Ausnahmezustand.

Egal ob wir daheim praktisch aufeinandersitzen müssen oder ob wir durch einen systemerhaltenden Beruf vor anderen Herausforderungen stehen: die momentane und wohl noch länger dauernde Situation ist alles, außer gewöhnlich.

Seit Bekanntwerden der Empfehlung “Bleib daheim!” gibt es eine Flut von Tipps und Rezepten, wie man Kinder daheim beschäftigt, was mit ihnen zu tun ist und ganz selbstverständlich übernehmen wir Eltern aus dem Stand den Heimunterricht. Warum Mütter dennoch keine Entertainer sind, was jetzt tatsächlich zählt und warum der Streit mit der Realität nichts bringt, darum geht’s heute hier am Blog.

Zack, zack, zack. Und der Staat wird auf Minimalbetrieb runter gefahren. Die Kinder sind daheim oder wir stehen vor echten Betreuungsproblemen. Das tägliche Leben wie wir es kennen: abgesagt.
Die Welt steht kopf. (Alle? Nein, eine Insel im Nordwesten Europas lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.)

Wie schon letzte Woche hier beschrieben, gibt es gute Gründe ruhig zu bleiben, das Neue als Chance zu wachsen zu sehen, die Herausforderung anzunehmen, in der Liebe zu bleiben.
Doch, dass nun der Druck auf Familien noch mal deutlich erhöht wird, fällt erst auf den zweiten Blick auf.
Mein erstes Gefühl war auch: hey, viel mehr Freiheit und Selbstbestimmung.
Das zweite allerdings: alles lastet auf meinen / unseren Schultern als Eltern.

Kein Wunder, dass man weiß, dass Quarantäne Maßnahmen die Zahl der häuslichen Gewalttaten in die Höhe treiben. Der Frust, die Enge, die Spannung entlädt sich – wie immer – nach unten: bei den Schwächeren, sprich Kindern und Frauen.

Wir sitzen im Kelomat (für alle, denen das Wort nix sagt: Druck-Schnellkochtopf. 🙂 ) Unterschiedliche Menschen unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichsten Bedürfnissen und teils heftigen Gefühlen. Deckel drauf und dann kräftig aufheizen, der Druck kann steigen. Muss er aber nicht.

Ja, Kinder brauchen gerade in Krisenzeiten Struktur. Sie brauchen Rituale, die (vielleicht neu erfunden) jetzt gewisse Eckpfeiler im Tagesablauf markieren. Sie brauchen auch sinnvolle Beschäftigung und Anleitung. 

Doch wir sind nicht für die Dauerbespaßung und -belehrung zuständig. Wenn wir in diese Rolle fallen, machen wir uns kaputt. Wir sollten erst gar nicht versuchen, jede Minute mit sinnvollem Tun zu füllen, eine Bastelidee nach der anderen umzusetzen, Aktivitäten vorauszuplanen und den Kindern dann vorzugeben. Das sind einfach gewohnte, alte Muster, die sich ihren Weg bahnen wollen. Doch wir brauchen nicht wieder “volles Programm” und “action” am laufenden Band.

Was jetzt not-wendig ist (Achtung, Wortspiel!), ist Beziehung. 

Sie brauchen jemanden, der ihre Gefühle erfasst und benennt.
Sie brauchen jemanden, der ihre Bedürfnisse erkennt und anspricht.
Sie brauchen jemanden, der da ist: aufrichtig, ehrlich und echt.

Bedürfnisorientiertes und beziehungsorientiertes Handeln in einem neuen Licht, also. Weil wir nicht aus der Fülle an Möglichkeiten schöpfen können, die wir gewohnt sind, und Wünsche jederzeit erfüllen, werden wir zurückgeworfen auf das, worum es eigentlich geht: 
das HINSEHEN, HINHÖREN und HINFÜHLEN.(Statt: “… ich schau, wie ich das möglichst schnell erfülle, damit Ruhe ist!”)

Statt: “Jammere bitte nicht schon wieder wegen den Freundinnen!”
Ja, es ist traurig, dass du deine Freundinnen so lang nicht sehen kannst.

Statt: “Du hast es doch so schön ruhig, jetzt lern halt einfach, was dir aufgegeben wurde!”
Ja, es ist frustrierend, dass du ganz allein lernen sollst.

Statt: “Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du derzeit mit niemandem spielen kannst!”
Ja, es ist furchtbar, die Nachbarskinder zu sehen und dennoch nicht spielen gehen zu können.

Statt: “Das geht jetzt nicht, wir können Oma und Opa jetzt einfach nicht besuchen!”
Ja, es ist schade, dass wir Oma und Opa jetzt so lang nicht sehen.

Statt: “Ich kann das – mir ist soooo fad – nicht mehr hööööreenn!”
Ja, es ist auch langweilig, dauernd zuhause sein zu müssen.

Es ist, wie es ist.

Kerstin Bamminger

Wenn wir mit der Realität streiten, sind wir immer die Verlierer.
Was den Druck im Kelomat also erleichtert, ist folgende Haltung:
“Ich sehe deine Bedürfnisse.
Ich höre deine Wünsche. Ich fühle, wie es dir geht.
Und ich helfe dir dabei, das auszudrücken und auszuhalten. “
Niemand sagt, dass das leichter ist, als Kinder zu “bespaßen” oder “beschäftigen”. Doch es ist definitiv dringender und vor allem NOT-wendig. Nach dem WAHRnehmen folgt übrigens keine gemeinschaftliche, langanhaltende Depression, sondern die Suche nach Lösungen

  • Was glaubst du, hilft dir, wenn es so langweilig ist?
  • Was glaubst du, lenkt dich jetzt ab?
  • Was können wir denn tun, wenn …. gerade nicht geht?

Bindet die Kinder in die Lösungsfindung ein! WIR müssen nicht alles wissen! Wir können Möglichkeiten anbieten und vorleben (“Weißt du, mir hilft zum Beispiel, ….”). Wir können aber auch unwissend sein.

Es ist deswegen trotzdem manchmal schwer auszuhalten, weil wir in unseren Möglichkeiten begrenzt sind, oder uns zumindest begrenzt fühlen – und: weil wir selbst im Ausnahmezustand sind.

Du darfst auch sagen:
Ich bin auch traurig. Ich bin auch frustriert. Ich bin auch überfordert. 
UND: wir schaffen das GEMEINSAM. 
Es darf dauern, bis sich ein neues System “einpendelt” und dabei darf es auch ordentlich wackeln
Vertrauen wir darauf, dass wir jetzt die Gelegenheit haben, Dinge neu zu ordnen, unseren ausschweifenden und überdimensionalen Lebensstil zu überdenken und dass es gelingen wird eine bodenständige, neue Ausrichtung zu bekommen

Auch wenn wir jetzt noch nicht genau wissen, wie die aussehen wird.
Stay positive. Stay strong.


GEFÜHLspaletten als Hilfswerkzeug

Das Ausdrücken von Gefühlen und Bedürfnissen ist oft schwieriger als vermutet. Wir sind, wie ich gern sage, sachlich verwahrlost, was dieses Thema angeht, unterscheiden bei der Frage “Wie geht’s dir denn?” oft nur zwischen gut und schlecht. Dabei sind wir soooooo viel mehr! 


Diese beiden Gefühlspaletten schenke ich dir: druck sie aus und hänge sie an einen gut sichtbaren Ort, wo sie dir hilfreich sein können als Unterstützung beim Formulieren von Gefühlslagen. Wenn deine Kinder noch nicht lesen können, biete ihnen verschiedene Begriffe an, oder versuche für sie den richtigen Ausdruck zu finden.

Das verlangt viel Empathie, ich weiß – es ist aber sprachliche Bildung und Herzensbildung in höchster Form!


Bei Fragen: immer gern das MAMAtelefon nützen 😉 …

CORONA , oder: Bleib in der Liebe!

CORONA , oder: Bleib in der Liebe!

Da sind wir also. Mehr oder weniger plötzlich erwachen wir in einer Situtation, die wir so sicher nicht geplant hatten, oder uns so wünschten. Ein Virus und sein Schatten verschaffen sich Raum – kaum jemandem, der nicht völlig abgeschottet von Nachrichten & Co lebt, war es wohl möglich, in den letzten Tagen einen kompletten Bogen um das Thema zu machen. 

Es geht uns an. Und es geht uns alle an. Gedanken kreisen beständig um das Thema, der kritische Geist überlegt, was vielleicht Wahrheit und was Übertreibung ist, das bequeme Gemüt schreit auf, dass es keine Veränderung will, der sensationshungrige Zwerg in uns meint, gefüttert werden zu müssen und ganz nebenbei erwacht draußen, als ob sie nichts von all dem wüsste, die Natur.

Auch in Zeiten, in denen scheinbar alltäglichste Dinge über unseren Kopf hinweg bestimmt werden, uns verordnet werden, haben wir die Wahl. So wie wir immer irgendwie eine Wahl haben.
Wir können in Panik geraten, uns jede Schreckensmeldung anhören, wie verrückt unsere Lebensmittelvorräte aufstocken, Angst und Schrecken verbreiten und uns fürchten, weil alles momentan ach so schrecklich ist.

Und wir können Ruhe bewahrenEmpfehlungen einfach beachten, unsere Nächsten schützen. Wir können Begrüßungsrituale verändern und dabei erleben, wie wir plötzlich viel bewusster auf den anderen achten, weil es nicht mehr so automatisiert ist. Wir können spielerisch an das Thema Händewaschen herangehen und unsere Haut dabei achtsam spüren. Wir können Kontakt zu den Großeltern vermeiden und schon jetzt die Vorfreude auf das Wiedersehen genießen. Wir können – wie Notfallsanitäter Mag. Gerry Foitik gestern treffend beschrieben hat – durch Rücksichtnahme zu Lebensrettern werden indem wir unser Leben für einige Zeit verändern.

Veränderung. Wunderbare Zeiten also für’s Gehirn. Wer hier schon länger mitliest, weiß, dass ich Fan von allem Neuen bin, dass ich gerne selbst unbeschrittene Wege gehe und es mag, mich heraus zu fordern, ungewohnte Dinge zu tun, um im Kopf frisch zu bleiben.

Jetzt bekommen wir Veränderung quasi per Verordnungsschein. Wunderbar. Schulen und Kindergärten machen ab nächster Woche dicht. Alle möglichen Veranstaltungen sind abgesagt. Aufträge werden storniert und plötzlich wird aus einem vollen Kalender einer mit ganz viel Raum.

Jammern wir nicht allzu oft über das hohe Tempo?
Jammern wir nicht allzu oft über die vielen Termine?
Jammern wir nicht allzu oft über ärgerliche Verpflichtungen?
Nun – jetzt können wir mal ordentlich bremsen und uns auf das Wesentlichste reduzieren.
Und das, obwohl wir (noch hoffentlich lang) bei bester Gesundheit sind.
Eine Pause.
Ein Schnitt.
Eine Unterbrechung.

Und weißt du was? Ich bin nicht die Einzige, die sich ein bisschen darauf freut. Schon mehrere Menschen mit denen ich in letzter Zeit Kontakt hatte, haben schon Ideen, was sie “nun endlich” umsetzen möchten, weil durch diese außergewöhnliche Situation Zeit dafür entsteht.

Die Ideen reichen von “ich näh mir endlich mein eigenes Dirndl, der Stoff liegt eh schon so lang daheim” über “ich miste meinen Gewandkasten aus” bis hin zu “die Garage gehört dringend aufgeräumt”. Ich kann es schon jetzt fast fühlen, wie es sein wird, lang aufgeschobene Dinge erledigt zu haben – weil viele Alltagstermine ausfallen.

Natürlich bin ich in einer privilegierten Situation, denn es gibt Berufsgruppen und Menschen, die jetzt erst recht gefordert sind, vielleicht noch mehr arbeiten sollen und sich dabei in Gefahr begeben, über ihre Grenzen hinauswachsen müssen. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die durch ihr Tun diese Gesellschaft in einer Krise am Laufen halten und DANKE von Herzen.

Allen, denen die aktuellen Emfehlungen einen wirren Kopf bescheren, denen wünsche ich jedenfalls, dass es ihnen gelingt, RUHE zu bewahrenPOSITIV zu bleiben, sich für LANGSAMKEIT zu begeistern, und immer davon auszugehen, dass es da LÖSUNGEN gibt, neue VERHALTENSWEISEN zu erproben und entdecken, zu WACHSEN mit der Aufgabe.

Bleiben wir zuversichtlich.
Bleiben wir achtsam.
Bleiben wir rücksichtsvoll.
Bleiben wir dankbar.
Bleiben wir gelassen.
Bleiben wir freundlich.
Bleiben wir in der Liebe.
Denn Angst macht definitiv krank. Auch ohne Virus. 
Stay safe and enjoy your new current life. 

P.S: derzeit stelle ich es mir durchaus idyllisch vor, mit den Kindern den neuen Alltag daheim zu gestalten, viel Zeit für Spiel und Natur zu haben, die sonst fehlt. Ein bisschen Lernen und HomeOffice dazu, nebst jeder Menge Familienzeit. Falls uns die Realität überholt und wir anschließend alle einen Lagerkoller haben, liest du es vermutlich nächste (oder übernächste) Woche … genau hier. 😉

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  • #1Sandra g. (Donnerstag, 12 März 2020 22:31)Applaus, Applaus, für deine Worte!!
    Kerstin, du hast das echt voll gut geschrieben!! Ich werde es weiterteilen und hoffe es sehen und nützen das viele so!!!
  • #2Bernhard (Freitag, 13 März 2020 02:06)DANKE KERSTIN, DAS IST ES!!
  • #3Carmen (Freitag, 13 März 2020 07:28)Super, Kerstin! Danke für die schönen, wahren Worte. Diese Panikmache ist der Horror. Ich freu mich ehrlich gesagt auch auf die Zeir mit meinen Liebsten. ❤ Hab nicht Angst um meine Kinder oder mich – wir sind ja fit und lassen uns nicht unterkriegen. Aber meine Großeltern sind alt und gebrechlich. Das ist mir erst jetzt richtig bewusst geworden. Es liegt an uns, sie zu schützen. Wer mich kennt, weiß, ich bin ein Grund-positiver-Mensch�. Ich als Selbstverständige bin halt in einer etwas anderen Situation. Wenn ich nichts arbeite, verdiene ich auch nichts. Punkt. Partys werden auf unbestimmte Zeit verschoben, was ich auch verstehe. Das als Alleinverdiener, der gerade mitten im Hausbau steckt … momentan nicht die Beste Kombi�. Aber ich werde es schaffen! Der Virus ist hoffentlich bald in Griff zu bekommen und die Menschen verlieren ihre Angst und schätzen soziale Kontakte, die Tupperpartys mit sich bringen umso mehr. �� Wir werden in dieser Notsituation wieder näher zusammenrücken und uns wieder mehr umeinander kümmern. Füreinander da sein. Das werden wir Positives aus dieser Lage mit raus nehmen. Und es wird die Menschheit im Umgang miteinander stärken.
    Ich wünsche allen das Wichtigste: xund bleib’n!!!!
  • #4Kerstin Bamminger (Freitag, 13 März 2020 09:02)Vielen Dank für die positiven Rückmeldungen! Es freut mich, euch mitnehmen zu können.
    @Sandra: Danke für den Applaus!
    @Bernhard: It is, what it is! 😉
    @Carmen: vollstes Verständnis unter Selbständigen. Es ist auch unbequem und wir kommen möglicherweise mit unseren Existenzängsten in Berührung. Das ist natürlich eine Herausforderung. Umso schöner, dass du auch der Meinung bist, dass ein positiver Geist jedenfalls hilfreich ist, wenn schon im Außen manches schwer wird. Ich versuche auch weiter die Chancen zu sehen. Die Möglichkeiten, sich zu verändern und daran zu wachsen, auch wenn es hart ist.
    Wie hat schon Kelly Clarkson so schön enthusiastisch gesungen: “…. what doesn’t kill you makes you stronger!”
    Bleibt’s g’sund!
  • #5Maddy (Freitag, 13 März 2020 11:04)DANKE für die aufbauenden und wahren Worte! Genau so muss man es sehen. 🙂
    Mir ist auch nicht mehr wohl bei der Sache gewesen, aber mit deinem Beitrag hast du mir geholfen, es mit anderen Augen zu sehen. DANKE! Alles Gute, weiter so & bleibt gesund!
  • #6Susanne (Freitag, 13 März 2020 17:25)Wahre Worte Kerstin … ENTSCHLEUNIGUNG!!!!
    Wieder Zeit haben für Wesentliches
Curling-Eltern, Komfortzonen & Bob-der-Baumeister Mentalität

Curling-Eltern, Komfortzonen & Bob-der-Baumeister Mentalität

Kinder sind höchst abhängig davon, wie wir Erwachsenen mit ihnen umgehen – besonders wir als Eltern. Wir können von ihnen nur Respekt erwarten, wenn wir selbst respektvoll sind. Wir können von ihnen nur Einfühlungsvermögen erwarten, wenn wir selbst empathisch sind. Wir können von ihnen nur Engagement erwarten, wenn wir sie auch machen lassen. (Bitte hier beliebig fortsetzen.)

Welche bedenklichen Entwicklungen es meiner Beobachtung nach durch Curling Eltern gibt, was das Verlassen von Comfort Zonen bringt und was eine Bob-der-Baumeister Menatlität ist, gibt’s hier und heute zu lesen.


“Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes,
wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt.
Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.”

Aristoteles
(384 – 322 v. Chr.), griechischer Philosoph


Dieses Zitat, das Aristoteles zugeschrieben wird, ist knapp zweieinhalbtausend Jahre alt. Was beweist, dass es scheinbar schon immer Zweifel einer vorangegangenen Generation gegenüber der Nachfolgenden gegeben hat. 

Wenn man, wie ich, in verschiedenen Lebensbereichen mit jungen Menschen zu tun hat, wird man zwangsläufig mit den Eigenheiten der “Jungen” konfrontiert. Das ist oft wirklich spannend und erfrischend, weil jede Generation ein bisserl anders “tut” als die vorherige und wir davon profitieren können, wenn Dinge von Anderen anders gemacht werden.

Manchmal ist es auch ein wenig besorgniserregend. Was mich im Speziellen traurig macht, ist, wenn Kindern das Vertrauen in sich selbst abhanden kommt und der Wille, etwas erreichen zu wollen. Wenn sie verlernen, wie befriedigend es ist, sich für etwas anzustrengen und dann den Erfolg zu genießen. 

Ich beobachte (und ja, das mag eine sehr subjektive Einschätzung sein), dass Kinder häufig nicht mehr aus ihren Komfort Zonen herauskommen. Sie machen das, was sie schon kennen und können, das, was “leicht geht” und wenn es wo besonderen Einsatz oder Engagement braucht, wenn etwas körperlich anstrengend wird oder etwas Mut und Zuversicht braucht heißt es gern: “Das kann ich nicht. Du musst das für mich tun. Das geht aber nicht. Das ist ja anstrengend.”

Und es folgt keine weitere Reaktion, weil ihre Erfahrung zu sein scheint: “… wenn ich das sage, oder mich so verhalte, kommt jemand, der mir die Tätigkeit abnimmt.”

Womit wir beim springenden Punkt sind. Es sind nicht die Kinder, denen hier etwas vorzuwerfen ist, sondern die Erwachsenen. Manche Eltern räumen von Beginn an alle Schwierigkeiten aus dem Weg. Das beginnt beim Spielzeug, das dem krabbelnden Baby entgegen gebracht wird, über Anziehservice von Kopf bis Fuß im Kindesalter bis hin zu bequemem Chauffieren der Jugendlichen, denen ein Gehweg nicht zugemutet wird.

Es gibt ein Wort für diese Art Elternschaft: Curling-Eltern.

Das sind Eltern, die sich permanent in der Nähe ihres Kindes aufhalten, es in seinen Aktivitäten überwachen, wie beim Curling, jede Unebenheit am Lebensweg wegpolieren, so dass der Nachwuchs ruhig die Bahn entlang gleiten kann.
Kein Wunder, dass sich solche Kinder dann beschweren, wenn es plötzlich uneben und steinig wird, wenn erste Hindernisse auftauchen und sie ihre eigene Energie darauf verwenden dürfen, etwas zu schaffen, einen Weg oder eine Aufgabe zu bewältigen und das nicht jemand anders für sie übernimmt. 

Dabei hat es so viele Vorteile, wenn wir als Eltern mal den “Curling Besen” wegstellen und uns stattdessen (bildlich gesprochen) an die Bahn stellen und sie anfeuern, aufmuntern und anleiten. Wie sie es selbst schaffen können.

Ihnen zurufen, dass wir an sie glauben.
Ihnen – wenn gewünscht – mit unserer Erfahrung beiseite stehen.
Und – wenn nicht – sie auch mal auf die Nase fallen lassen können und dann da sind.
Um zu trösten, zuzuhören, auszuhalten.

Kinder – und davon bin ich fest überzeugt – wollen lernen, wollen sich entwickeln und sie wollen sich auch anstrengen. Das liegt in der menschlichen Natur. Sie haben grundsätzlich eine Bob-der-Baumeister-Mentalität (“Können wir das schaffen? JA, wir schaffen das!”).
Es ist jedoch möglich, dies abzutrainieren, worauf wir als Eltern bewusst verzichten dürfen.

Niemand wird sich wohl selbst (gern) als Curling-Elternteil bezeichnen und doch sind wir alle nicht geschützt davor, solches Verhalten zu zeigen.

Weil’s schneller geht, ihnen die Schuhbänder selbst zu binden, obwohl sie es können.
Weil’s bequemer ist, sie schnell zu fahren, als das Gejammer auszuhalten.
Weil’s sauberer ist, sie selbst zu füttern, obwohl sie den Löffel halten können.
Weil’s leichter geht, sie den Berg rauf zu tragen, als sie zum Gehen zu motivieren.
Weil’s einfacher ist, dem Wunsch nachzugeben, als die Gegenwehr auszuhalten.

Ich nehme mich nicht aus. Auch ich bin in mancher Hinsicht ausbaufähig und könnte den Kids noch mehr zutrauen oder von ihnen verlangen. (Siehe “Wir sind eine WG, kein Hotel!”
Am Wichtigsten ist meiner Meinung nach, dass wir das Bewusstsein dafür entwickeln, wo wir sie sinnvoller Weise unterstützen und wo wir ihenn Dinge unnötiger oder bequemer Weise abnehmen.

Es gibt diesen schönen Spruch: “Outside your comfort-zone is … where the magic happens!”

Was heißen soll: lasst uns selbst und unsere Kinder immer wieder raus aus unseren Komfortzonen, den inneren Schweinehund überwinden, den Curlingbesen im Schrank versperren, ins kalte Wasser springen, das Unmögliche wagen ….. (nenne es, wie du willst) 
… und lasst uns dann voll Freude darüber staunen, was möglich ist, was wir alles schaffen, was sie sich selbst zutrauen, wenn wir es ihnen zutrauen, wie wir alle zusammen über uns hinauswachsen und … die MAGIE dahinter spüren.

Hand auf’s Herz. 
Wo entdeckst du dich im Alltag mit dem Curling-Besen? 
Wo brauchst du mehr von der Bob-der-Baumeister-Mentalität?
Wo chillst du zu sehr in deiner Komfortzone?
Wo solltest du mal den Sprung ins kalte Wasser wagen?

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  • #1Jolanda (Mittwoch, 26 Februar 2020 21:10)Hallo Kerstin!
    Ich habe meine Kleinen heute zu einer “Frischluft Kur” verdonnert, nachdem es endlich mal windstill und trocken war. Kaum draußen ist meine Tochter mit dem Scooter vom Weg abgekommen und hat sich aufgeschürft, mein Sohnemann hat einen Trotzanfall bekommen und ich war kurz davor retour zu gehen, alle beide ins Auto zu sitzen und nicht mehr zu Fuß einkaufen zu gehen!
    Aber – ich brauchte selber DRINGEND Frischluft, hab mich nochmal aufgerafft und so sind wir nach gutem Zureden doch noch marschiert ☺️
    Am Rückweg hat uns ein ordentlicher “Hagel-Schneesturm” (Kinder Mund) erwischt und das Abenteuer war perfekt! Keine Spur mehr von Müdigkeit, Trotz oder “ich mag nicht mehr” ☺️
    Einmal raus aus der Comfort Zone und man erlebt die schönsten kleinen feinen Abenteuer! Es war für uns alle ein lustiger Spaziergang und das einschlafen am Abend ging ganz, ganz problemlos �
    LG Jolanda
  • #2Kerstin Bamminger (Montag, 02 März 2020 16:52)Jolanda, das ist ja eine wunderbare Geschichte. Wir Mütter brauchen solche magischen Wendungen im Alltag eh ganz dringend. Schön, dass du das so erlebt hast! Alles Liebe und: let the magic happen 😉 Kerstin
Ich MUSS nicht. Ich DARF!

Ich MUSS nicht. Ich DARF!

“Muss”. Ein mächtiges kleines Wort, das wir in unserem Alltag häufiger verwenden, als uns wahrscheinlich lieb ist. Bei der Verwendung erklären wir uns selbst, dass wir scheinbar unfrei sind, gezwungen zu Irgendwas, fremdbestimmt.
Dass lang nicht jedes “muss” ein Muss ist und wie du mehr ins “Dürfen” kommen kannst, damit du dich frei, selbstbestimmt und handlungsfähig erlebst, erfährst du in diesem Blog Beitrag.

Beobachte dich mal einen Tag selbst – oder schau in Gedanken auf deine Sprache und wie oft du dieses kleine Wort “MUSS” aussprichst. Es ist erschreckend, wie häufig es über unsere Lippen kommt. 

“Ich muss aufstehen.
Ich muss die Kinder wo hin bringen / abholen.
Ich muss einkaufen.
Ich muss ein Projekt fertig machen.
Ich muss kochen. 
Ich muss Wäsche waschen.
Ich muss die Mails beantworten.
Ich muss arbeiten.”
(Bitte hier beliebig fortsetzen.)

Die Verwendung dieses Wortes gibt uns den Eindruck, fremdbestimmt zu sein, in unserer Handlungsfähigkeit eingeschränkt und außerdem kommt bei den meisten “muss” auch ein deprimierendes Gefühl dazu – denn: wer lässt sich schon gern zu etwas zwingen (von wem auch immer)? Also macht es uns niedergeschlagen, es erhöht unbewusst den Druck auf uns und wir machen uns das Leben dadurch schwerer, als es in  Wirklichkeit ist. Wir meinen, dadurch unseren Selbstwert zu erhöhen – oh, wie bin ich wichtig, was ICH alles “muss” – stattdessen passiert genau das Gegenteil.

Wir nehmen unserem Tun die wahre Bedeutung, machen uns klein und abhängig. 

Nun hör ich schon manche schreien: “…aber ich muss doch aufstehen und Essen kochen! Ich muss die Kinder bringen, und die Wäsche muss auch gewaschen werden, glaub mir – und das ist wirklich nicht lustig.”

Stimmt. Fast.
In meinem Workshop “Positive Sprache” sag ich dann meist: denk mal den Gedanken fertig

  • Was passiert, wenn du nicht aufstehst? (Du bleibst liegen und der Tag geht vorbei.)
  • Wenn du die Kinder nicht bringst oder abholst. (Die Kinder sind daheim oder sich selbst überlassen oder warten vergeblich.)
  • Wenn du nicht einkaufen gehst. (Es ist nichts zu essen daheim). 
  • Nicht kochst und Wäsche wäscht. (Es gibt keine ordentliche Mahlzeit und dreckige Wäsche.)
  • Nicht arbeitest. (Vermutlich verlierst du irgendwann deinen Job.)

Willst du das?

Wenn die Antwort an dieser Stelle ja ist, dann weiß ich nicht, was dich davon abhalten sollte, genau das zu tun: aufhören mit dem Müssen.
Und wenn die Antwort NEIN ist – kannst du das Wort ganz einfach tauschen.
In ein “DARF”. Wenn du nämlich diese Dinge durch eine Brille der Dankbarkeit betrachtest, wirst du ganz schnell bemerken, dass viele deiner Verpflichtungen eine freiwillige Entscheidung sind. Möglichkeiten, die wir haben. Chancen und Handlungsräume.

“Ich muss aufstehen!”


Nein, du darfst aufstehen und du kannst aufstehen. Wie viele Menschen mit Verletzungen oder Beeinträchtigungen würden sich zwei gesunde Beine wünschen, mit denen man einfach aus dem Schlafzimmer spazieren kann? Du darfst aufstehen, deinen Tag nützen und etwas Gutes daraus machen.

“Ich muss die Kinder wo hin bringen / abholen!”

Nein, du musst es nicht tun. Wenn sie nicht selbst wohin gehen oder Öffi fahren, dann überleg, warum du die bringen willst? Weil dir ihre Sicherheit wichtig ist? Weil es einfacher ist? Weil die Zeit zu knapp ist? Weil du sie nicht in der Dunkelheit stundenlang in der Stadt warten lassen willst? Dann freu dich, dass du die Möglichkeit hast und dein Kind bringen oder abholen darfst.

“Ich muss einkaufen!”

Ist es nicht eher so, dass die meisten von uns in der glücklichen Lage sind, einkaufen gehen zu können? Weil Geschäfte in unmittelbarere Nähe sind, wir Möglichkeiten haben, Waren zu bekommen und sie heim zu bringen, weil wir das Geld haben um dafür zu bezahlen. Wir können es uns leisten, einkaufen zu gehen. Das ist längst keine Selbstverständlichkeit. In Teilen dieser Welt sind unsere Supermärkte Luxusgeschäfte. WIr dürfen und können einkaufen, glücklicherweise.

“Ich muss kochen!”

Oh nein. Ein Klassiker. Zunächst mal: nein, man kann auch auswärts essen, sich etwas holen, fasten oder kalt essen. Warum also kochen? In meinem Fall ist es, weil mir gesunde Ernährung wichtig ist, eine gemeinsame Mahlzeit einen hohen Stellenwert hat, weil mir tägliches “take-out” Essen zum Hals raus hängen würde und es zudem günstig und ressourcenschonend ist. Außerdem: ich muss nicht erst Feuer machen, sondern starte per Knopfdruck in einer wunderbar ausgestatteten Küche und ich bestimme (meistens), was auf den Tisch kommt. 

“Ich muss Wäsche waschen!”

Interessant wäre es ja – wie lange kommt man ohne Waschen aus? Wann wird man tatsächlich eine Belastung für das Umfeld und stinkt sich vielleicht sogar selbst an? Schon mal ausprobiert? Ich nicht, weil ich im Zweifelsfall wieder dankbar bin, eine Waschmaschine zu haben und nicht (so sehr ich Bullerbü liebe – wie dort) im kalten Bach die Wäsche sauber zu bekommen versuche. Wenn du Gewand hast, das du waschen kannst, hast du schon mehr als viele andere Menschen in ärmeren Ländern. Sie waschen und auf sie zu achten ist Dankbarkeit.

“Ich muss arbeiten!”

Das (für manche) Schwierigste kommt zum Schluss. Und dennoch: nirgendwo steht geschrieben, dass wir arbeiten müssen. Doch die Meisten von uns wollen es. Zumindest, weil wir dadurch Geld verdienen, das uns ein freieres Leben ermöglicht. Arbeiten zu können, ist eine Chance – wertvoll zu sein, einen Beitrag zu leisten, Talente und Fähigkeiten zu beweisen. Leider stecken viele Menschen in Jobs, die weit weg sind von Erfüllung, Selbstverwirklichung und gerechter Bezahlung. Dennoch: Arbeit ist ein wichtiges Element für ein erfülltes Leben. Also freu dich, wenn du arbeiten kannst.

Zwischen müssen und dürfen versteckt sich also die DANKBARKEIT. Jedes “MUSS” ist eine Einladung an dich, zu überprüfen, ob es wirklich ein Zwang ist, oder du einfach vergessen hast, warum du manche Dinge tust.
Wenn du Dankbarkeit finden kannst: wunderbar.
Wenn du sie nicht entdeckst: dann hast du meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten: entweder dieses “MUSS” nicht mehr weiter zu tun. Oder, wenn dir das “darf” so gar nicht behagt, lass wenigstens das “muss” weg und sag:

“Ich koche. Ich hole die Kinder. Ich wasche die Wäsche.”

Damit erlaubst du dir wieder, selbstbestimmt zu handeln und freier zu entscheidenbewusster durch den Tag zu gehen und die Leichtigkeit damit mehr einkehren zu lassen.
Du willst noch mehr dazu wissen? Dann komm gern in den Workshop “Positive Sprache” (TERMINE)– da geht’s dann außerdem noch darum, dass wir die meisten “MUSS” zusätzlich “nur noch schnell” erledigen …! Na Bravo!  

Jetzt interessiert mich natürlich: musst du noch oder darfst du schon?!
Welches “muss” fällt dir besonders schwer? Einfach in die Kommentare schreiben …!

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  • #1Monika Schubert (Montag, 27 Januar 2020 13:50)Lese gerne deine Beiträge. Hab jetzt schmunzeln müssen, weil spätestens dann wenn man Oma ist, darf man auf Kinder (Enkelkinder) aufpassen , darf sie abholen, darf mit ihnen lernen, darf für die Familie kochen, darf im Betrieb mithelfen, darf, darf ………………. Man muss es nur nicht übertreiben!
  • #2Kerstin Bamminger (Dienstag, 28 Januar 2020 09:34)Stimmt, liebe Monika! Die Freude, Achtsamkeit und Gelassenheit, die man vielen Omas anmerkt, würden wir im Alltag oft gut brauchen können. Schön, wenn du die Zeit mit den Enkeln und Kindern als wertvoll empfindest und danke für dein Feedback!
    Dann also … nur nicht übertreiben 😛 (außer im Fasching vielleicht)! 😉 Kerstin
Vereinbarkeit – Falle oder Chance?

Vereinbarkeit – Falle oder Chance?

Zunächst einmal möchte ich aber sagen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein Frauenthema. Es betrifft Väter und Mütter gleichermaßen, auch wenn wir oft von Vereinbarkeit reden und nur die Frauen gemeint sind. Hier geht es um mehr. Es geht um eine gerechte Verteilung von Arbeit jeglicher Art und wie Familien sich das ausmachen können.

Vereinbarkeit als Chance

Beruf und Familie “unter einen Hut” zu bekommen, kann eine große Chance sein. Wenn in Familien beide Elternteile arbeiten, kommt man unweigerlich in die Diskussion, wie man die Kinderbetreuung regeln möchte, da ja nicht mehr zu jeder Zeit ein Elternteil zur Verfügung steht, wenn man auch außer Haus arbeitet. Es ist nötig, alle zu erledigenden Tätigkeiten und Verantwortungen anzuschauen und dann eine Lösung zu finden, wie man damit umgehen möchte.

Wer sorgt für welchen Teil des Einkommens?
Wer sorgt für welchen Teil der Kinderbetreuung?
Wer sorgt für welchen Teil des Haushalts?

Die Verhandlungen darüber sind auch hier oft zermürbend, weil gerecht nicht bedeutet “gleich” und weil das “gerecht” so schwer festzulegen ist. Jeder in der Familie hat da seinen eigenen Blickwinkel drauf. Dennoch ist es die Chance, die Dinge aufzuwerten, die Frauen generationenlang automatisch und selbstverständlich erledigt haben. Was wir gewinnen können?
 Eine wertschätzedne Haltung gegenüber “kleinen Handgriffen”.

Zufriedenere Frauen und damit zufriedenere Familien.
Mehr Achtung gegenüber der oft auch nicht lustigen Erwerbsarbeit.

Vereinbarkeit als Falle

Wenn es als selbstverständlich angesehen wird, dass beide Elternteile erwerbstätig sind und gleichzeitig Verhandlungen um die gerechte Verteilung der restlichen Arbeit in Familien ausbleiben, kann diese Thema auch zu einer Falle werden. Ich erlebe in Beratungen und in meinem Umfeld oft Frauen (ja, leider sind das hier hauprsächlich Frauen), die darunter leiden, die überwiegende Last der Care- und Haushaltsarbeit zu tragen und nebenbei auch erwerbstätig sind. Manchmal werden Frauen gedrängt, doch endlich “mehr Stunden” zu arbeiten, man müsse doch an die eigene Pension und die finanzielle Unabhängigkeit denken, außerdem: was macht man denn bitte sonst den ganzen Tag daheim, wenn die Kinder in Betreuung sind.

Bei solchen Sätzen dreht sich mir oft der gesamte Mageninhalt um, weil es nur zeigt, wie wenig diese Personen von dem wissen, was Frauen leisten und wie sehr sie damit Druck ausüben. Nicht selten fühlt man sich dann tatsächlich “minderwertig” und geringgeschätzt, weil ja andere dieses Kunststück scheinbar mühelos vollbringen. Da sitzt man dann in der Falle und spürt nur: “… ich mach doch alles Menschenmögliche und das ist immer noch nicht genug.”

Ob und wie Vereinbarkeit in Familien gelebt wird und gelebt werden kann, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. 

Wie viel Freude macht uns unsere Arbeit?
Wie viel Unterstützung bekommen wir?
Wie notwendig ist mein Beitrag zum Familieneinkommen?
Wie flexibel ist mein Dienstgeber?
Wie sind unsere Ressourcen in punkto Kinderbetreuung?
Wie alt sind unsere Kinder?

Ich bin privilegiert. Ich mache eine Erwerbsarbeit, die mir total viel Spaß macht, bei der ich meine Stärken ausleben kann, ich bin nicht hauptverantwortlich für das Familieneinkommen, ich hab mit Menschen zu tun, kann kreativ sein und meine Ideen in meinen Workshops umsetzen, befasse mich mit Themen, die mich berühren und begeistern und darüber hinaus kann ich mir auch noch meine Zeit als Beraterin, Coach und Vortragende ziemlich frei einteilen.

Vereinbarkeit ist für mich genau deshalb überhaupt lebbar: weil ich flexibel sein kann, meine eigene Chefin bin und meine berufliche Tätigkeit so ausrichte, wie es für mich und meine Familie passt. Ich kenne auch die andere Seite. 

Bevor ich als psychologische Beraterin mein Business gegründet hab, war ich als Pädagogin angestellt, hatte fixe Arbeitszeiten, konnte keinen Urlaubstag frei wählen und musste zur Arbeit IMMER außer Haus. Obwohl ich damals viel weniger gearbeitet hab, war die Situation massiv schwieriger und komplizierter zu organisieren. Ich hab damit aufgehört, weil ich mich selbst verheizt hab und auch unsere Kinder darunter gelitten haben.  Und das wegen “nur” 10 Wochenstunden. 

Ich weiß also, welche Faktoren förderlich sein können und welche hinderlich. Zumindest in unserem Fall.
Und darum geht es VOR ALLEM: darum, dass es für UNS passt. 

Dieses “PASST” ist bei jeder Familie anders und wir dürfen uns bemühen, das jeweilig Andere zu akzeptieren und uns gegenseitig – wenn gewünscht – Erfahrungen zum Austausch anbieten, damit wir nicht alle die gleichen Fehler machen müssen. Obwohl man durch Fehler lernt und sich weiter entwickelt und vielleicht, irgendwann …. zu einem Vereinbarkeitsmodell kommt, oder je nach Lebensabschnitt verschiedenen Vereinbarkeitsmodellen kommt, die dann doch “passen”!

Wie lebt ihr in der Familie die Aufteilung von Arbeit? Erzähl doch mal ….

3 Wege, die Toten zu ehren

3 Wege, die Toten zu ehren

In diesen Tagen versammeln wir uns auf Friedhöfen und Grabstätten, wo diejenigen ruhen, die uns schon vorausgegangen sind. In den meisten Fällen werden diese Plätze auch vorher schön hergerichtet und geschmückt, wohl auch damit man während der oft länger dauernden Allerheiligen Prozedur nicht auf ein verwahrslostes Grab starren muss. 

Ich geb’s zu. Ich bin nicht der größte Fan vom Friedhof gehen. Ich mag zwar die Stille dort (wenn grad nicht Allerheiligen ist) und lese auch gern, was auf Grabsteinen steht, doch es zieht mich nicht unbedingt dorthin, wo die leiblichen Reste meiner Verwandten liegen, um ihnen nah sein zu können. 
Darum schreib ich heute darüber, welche drei Wege ich persönlich gehe (öfter als einmal im Jahr) um diejenigen zu ehren, die mir schon vorausgegangen sind.

Denn: die Heiligen und Seelen zu ehren ist mehr, als einmal im Jahr eine Stunde am Friedhof zu stehen.

Geschichten erzählen

Wir ehren die Verstorbenen vor allem dadurch, dass wir sie in Erinnerung behalten, dass wir von ihnen reden, uns Geschichten von ihnen erzählen. Wenn wir FOtos und Videos von ihnen ansehen und uns an gemeinsam erlebtes erinnern. Wenn ich daran denke, wie sich Oma einmal zu Ostern mit meinem Schwager ein Schnapsduell geliefert hat (und gewonnen hat – sorry, David!). Wie Opa bei einer Familienfeier in seiner fortgeschrittenen Demenz dieser netten Frau neben ihm (es war seine langjährige Frau, unsere Oma) einen Heiratsantrag gemacht hat und uns alle darüber abstimmen hat lassen (er war jahrelang Bürgermeister, das hat sich halt eingeprägt). Er war nach über 60 Jahren Ehe immer noch verliebt in sie – und wusste nur nicht mehr, dass er schon längstens mit ihr verheiratet ist. 
Wie in dem Film “Coco, lebendiger als das Leben” (ja, wir sind unheilbare Disney Fans) über den mexikanischen „Tag der Toten“ (Día de los Muertos) geschildert wird, sterben unsere Lieben erst, wenn niemand mehr an sie denkt. Also: lassen wir sie leben in unseren Geschichten und Erinnerungen. Das kann man auch prima nach dem Allerheiligen-Ritual am Friedhof machen. Und sowieso an jedem Tag des Jahres.

Es ihnen Ähnlich tun

Wenn ich mich in meinem erwachsenen Leben betrachte, merke ich, wie viel von meinen Vorfahren auch in mir versteckt ist. Mein politisches Interesse hat bestimmt mit der intensiven politischen Tätigkeit meines Opas (und meines Papas) zu tun und wenn ich mich heute für Politik interessiere ist es auch ein bisschen ihnen zu Ehren. Wenn ich mich im Garten beschäftige, sehe ich meine Oma, die ihren Garten immer geliebt hat, auch bei mir noch so viel geholfen hat, als es noch körperlich möglich war und wünsche mir oft mehr von ihrem grünen Daumen. Wenn ich Lektorendienst in der Kirche hab, habe ich immer meine Oma im Herzen dabei, die unzählbare Stunden – nicht nur vorlesend – in der und für die Kirche geopfert hat, für uns alle gebetet hat und in ihrem Glauben Halt fand. Wenn ich stricke oder häkle, lächle ich, und denke an Oma, die es wahrscheinlich ähnlich beruhigend fand, mit den Händen einfache Tätigkeiten zu verrichten. Wenn ich auf einen Berg gehe, denke ich praktisch jedes Mal an meinen Cousin, der mit 17 Jahren tödlich am Berg verunglückt ist und mir wird bewusst, dass es in jedem Moment vorbei sein könnte mit dem Leben. Dieser Gedanke macht mich demütig und dankbar. 
Wenn wir in unserem Leben also Facetten entdecken, die uns an liebe Verstorbene erinnern, ist das wie ein kleines Zeichen, dass sie durch uns und in uns weiterleben. Weil wir es ihnen Ähnlich tun. Und sie dadurch ehren.

Das eigene Leben leben

Es gibt einen Satz, der mich immer noch zu Tränen rührt, wenn ich an die letzten Jahre meiner Großeltern denke. Wenn ich mir wieder mal Zeit genommen hab, bei ihnen zu sitzen und mit ihnen zu plaudern (was im Angesicht ihrer Demenz zunehmend herausfordernd war), war es manchmal mühsam, manchmal humorvoll und öfters ergreifend.

“Sitz doch nicht hier herum, geh’ und lebe dein Leben!” Diesen Satz von meiner Oma werd ich so schnell nicht vergessen. Natürlich ist es auch wichtig, die alternden Personen nicht allein zu lassen. Doch klarer hätte sie es nicht sagen können, was sie sich von uns wünscht: 

Dass wir das eigene Leben LEBEN. 
Etwas daraus machen. 
Mitgestalten wollen. 
Uns interessieren.
Einbringen.
Am Leben teilnehmen.
Und es genießen.

So lange es (noch) geht.

Und das mache ich. WIR ALLE ehren unsere Verstorbenen auch …

… mit jedem Moment des Glücks.
… mit jedem guten Essen, das wir genießen.
… mit jedem getanzten Schritt.
… mit jeder belebten Erinnerung.
… mit jedem Gipfelsieg auf einem Berg.
… mit jeder politischen Diskussion.
… mit jedem Fehler für den wir uns noch entschuldigen können.
… mit jedem Glas Wein, das wir auf sie trinken.
… mit jedem Besuch an ihrem Grab.
… mit jedem Tag, den wir leben und dafür dankbar sind.

Wie ehrst du deine Lieben, die dir schon vorausgegangen sind? 

Kommentar schreibenKommentare: 1

  • #1Claudia Huber (Donnerstag, 31 Oktober 2019 16:09)Hallo Kerstin, ich sage immer und schon lange solange ich von meinen Eltern, Großeltern und Verwandten Geschichten erzählen kann und sie in Gesprächen ehre sind sie für mich nicht gestorben!